Jörg Niemer: Vom Domplatz zum Schloss. Die Baugeschichte der Universität Münster von der Gründung bis zum Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg (= Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster; Bd. 3), Münster: Aschendorff 2010, 272 S., ISBN 978-3-402-15882-1, EUR 39,00
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Seit 2008 erscheinen in loser Reihe die Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, den eigenen Quellenbestand entlang verschiedener Themen ("Die Matrikel der Universität Münster 1780-1818" und "100 Jahre Studium für Frauen in Münster") zu publizieren. Als dritter Band dieser sorgsam edierten Reihe versteht sich die Publikation "Vom Domplatz zum Schloss" des Kunsthistorikers Jörg Niemer als eine chronologische Darstellung der Baugeschichte der Universität Münster. Hervorgegangen ist diese Arbeit aus Niemers Forschungen zum Wiederaufbau der Universität nach 1945. Neben Dokumenten aus dem Universitätsarchiv bilden Akten des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen die Grundlage der quellengestützten Arbeit.
In vier Kapiteln beschreibt Niemer die Baugeschichte der verschiedenen dezentralen Gebäude, welche die Universität im Laufe ihrer Geschichte entweder übernahm oder selbst errichten ließ. Der Untertitel der Untersuchung "Die Baugeschichte der Universität Münster von der Gründung bis zum Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg" ist dabei jedoch irreführend. Denn damit wird einerseits suggeriert, dass es sich bei der Universität um ein einziges Gebäude und ein einziges Baukonzept handele. Andererseits wird hierbei offengelassen, ob die Untersuchung mit der Gründung der ersten vier Fakultäten im Jahr 1780 oder mit der Wiedererlangung der Universitätswürde 1902, die im Jahr 1818 aberkannt worden war, beginnt.
Gegenstand des ersten Kapitels - "Die bauliche Entwicklung bis 1900" - sind die Schul- und Akademiegebäude des Jesuitenkollegs westlich des Domplatzes, die als Keimzelle der späteren Universität gelten können. Die Untersuchung setzt mit dem Baubeginn dieser Gebäude im Jahr 1590 ein, beschreibt ihren Umbau in den 1770er-Jahren anlässlich der Übernahme durch die 1780 gegründete Universität und schließt ab mit der Wiedererrichtung der Neuen Akademie 1874 und des Chemischen Instituts 1879. Die beiden Neubauten fallen in die Phase nach 1832, in welcher die ehemalige Universität zur Akademischen Lehranstalt abgestuft worden war. Sie standen durch ihre Lage am Domplatz und an Stelle der heutigen Universitätsbibliothek in engem räumlichen Zusammenhang mit den Gebäuden des ehemaligen Jesuitenkollegs.
Das zweite Kapitel umfasst die relativ kurze Zeit zwischen 1900 und 1918 ("Die bauliche Entfaltung der Neuen Universität bis zum Ende des Kaiserreiches"). Während der Neubau des Physikalischen Instituts (1898) südlich der Petrikirche noch zur Zeit der Akademischen Lehranstalt errichtet wird, entstehen alle weiteren Gebäude nach der Erhebung zur Volluniversität im Jahr 1902. Mit dem Umbau des Gardehotels verlassen universitäre Einrichtungen 1904 erstmals den Bereich um Domplatz und Aawiesen. Durch den Neubau der Universitätsbibliothek am Bispinghof im gleichen Jahr verlagern sich die universitären Funktionen nach Westen.
Das dritte Kapitel ("Baumaßnahmen, Gebäudeakquisitionen und Planungen der Universität während der 1920er und 1930er Jahre") nimmt sich der Zeit zwischen 1918 und 1940 an. Analog zu zeitgenössischen Tendenzen im Städtebau ist diese Phase geprägt von einer Dezentralisierung der akademischen Einrichtungen und Funktionen. So entstehen die Universitätskliniken am Westring (1915-1925) und die Einrichtungen für den Universitätssport am Horstmarer Landweg (1926). Besonders interessant sind die unausgeführten Pläne für das so genannte Universitätsforum am Aasee. Angelehnt an das formale Vorbild der amerikanischen City-Beautiful-Bewegung und ihrer großzügigen Malls (vgl. Chicago oder Washington) sollte eine zum See ausgerichtete Universitätsstadt mit modernen Rund- und Pfeilerbauten entstehen.
Das vierte und letzte Kapitel widmet sich schließlich dem von Niemer bereits behandelten Thema "Zerstörung, Wiederaufbau und Neuplanung bis zum Abschluss der ersten Ausbauphase". Im Gegensatz zu den vorherigen Kapiteln gliedert sich dieser Teil in weitere Unterpunkte und wird somit thematisch strukturiert. Einer dieser Unterpunkte befasst sich mit der "Entstehung eines neuen Universitätszentrums am Schloss", ein weiterer mit dem "Wiederaufbau und Neuplanungen im alten Universitätsquartier". Niemer macht hier deutlich, mit welchem Konzept der Architekt des Universitätsneubauamtes Hans Malwitz zum Einen eine aufgelockerte Neubebauung des alten Universitätsareals um die Aawiese und zum Anderen die Errichtung eines neuen Universitätskomplexes am Schloss vorantrieb. Nicht mit einbezogen in diese bipolare Darstellung sind die bereits bestehenden und in den kommenden Jahrzehnten ausgebauten dezentralen Einrichtungen am Ring sowie am Coesfelder Kreuz.
Die Arbeit Niemers hat ihre Verdienste darin, dass sie erstmalig die Baugeschichte der einzelnen universitären Gebäude anhand ihrer Quellen in einem Gesamtzusammenhang nachvollziehbar macht. Durch den qualitativ hochwertigen Abdruck einiger Originalpläne ermöglicht die Publikation formale sowie stilistische Vergleiche. Insgesamt fehlt es der Untersuchung jedoch an einer stringenten Gliederung sowie einer analytischen Aufbereitung des umfangreichen Materials. Ausgehend vom Aufbau des letzten Kapitels sowie der Überschrift des gesamten Buches, scheint es - so ist die zentrale These Niemers aufzufassen - um die Verschiebung der universitären Funktionen von der Aa zum Domplatz zu gehen.
Der Anspruch einer solchen Argumentation lässt sich jedoch an der Gliederung nicht ablesen. Während der Autor sämtliche bauliche Ereignisse chronologisch abhandelt, bewegt sich die Einteilung der Kapitel auf divergierenden Ebenen. Die Überschrift des ersten Kapitels bezieht sich auf ein (wahlloses) Datum, die des zweiten auf eine national-politische Zäsur, die des dritten auf eine architektur-historisch zusammenhängende Phase und die des letzten Kapitels hebt auf lokale universitäre Bedürfnisse des Wiederaufbaus ab. Sinnvoller wäre es gewesen, eine Gliederung entweder nach der Institutionsgeschichte der Universität (Gründung, Aberkennung, Neugründung, Erweiterung) oder nach Baukonzepten bzw. topografischer Lage der Einrichtungen (Aa, Domplatz, Bispinghof, Ring, Aasee, Schloss, Coesfelder Kreuz) vorzunehmen. Entgegen Niemers eigenen Vorbehalten (253) wäre eine solche Einteilung durchaus möglich gewesen und hätte außerdem schnell gezeigt, dass eine vermutete bipolare Struktur nicht eindeutig auszumachen ist - eine Tatsache, die Niemer selbst einräumt, wenn er abschließend von einem "Konzept der Dreiteilung" spricht (254).
Des Weiteren wäre eine Einbettung der verschiedenen baupolitischen Phasen in einen internationalen Kontext wünschenswert gewesen. Zwar bemüht sich der Autor, im ersten Kapitel auf zwei Seiten einen Überblick über den Universitätsbau vom Mittelalter bis zur Neuzeit zu geben, und deutet an, dass im 19. Jahrhundert wichtige Universitätsgebäude in Wien, Berlin, Leipzig und Aachen entstehen (17), doch werden solche Vergleiche nicht weiter verfolgt. Dabei böte etwa Hans-Dieter Nägelkes Studie zum "Hochschulbau im Kaiserreich" (2000) einen schnellen Zugriff auf deutsche Universitätsprojekte des 19. Jahrhunderts und Paul V. Turners "Campus: an American planning tradition" (1984) einen Einblick in amerikanische Universitätsplanungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Auch die 2009 im Kunsthistorischen Institut Kiel unter der Leitung von Klaus G. Beuckers abgehaltene Tagung zum Thema "Architektur für Forschung und Lehre - Universität als Bauaufgabe", auf welcher frühneuzeitliche und moderne, amerikanische und europäische Beispiele gegenüber gestellt wurden, wären eine Erwähnung wert gewesen.
Als Einstieg in die umfangreiche Quellenlage ist die vorliegende Publikation durchaus eine Bereicherung, einen wirklich überzeugenden Überblick sowie eine Einordnung der Münsteraner Universitätsbaugeschichte in größere Zusammenhänge leistet sie dagegen leider nicht.
Christine Beese