Angelika Weißbach: Frühstück im Freien. Freiräume im offiziellen Kunstbetrieb der DDR. Die Ausstellungen und Aktionen im Leonhardi-Museum in Dresden 1963-1990, Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin 2009, VIII + 373 S., ISBN 978-3-8600-4237-3
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Angelika Weißbachs Monografie zum Leonhardi-Museum in Dresden schließt eine längst fällige Forschungslücke. Im Kunstsystem der DDR kam diesem Ausstellungshaus, gleichwohl es institutionell zunächst dem Staatlichen Künstlerverband und später der Stadtverwaltung unterstand, eine herausragende Bedeutung als Ort gegenkultureller Initiativen zu.
Nach dem Fall der Mauer wurde die Kunst in der DDR vor dem Hintergrund einer doktrinär verordneten Staatskunst diskutiert. Staatskünstler schienen einem autonomen Künstlertum gegenüber zu stehen, das offizielle Aufträge ebenso verweigerte wie die Einhaltung einer vorgegebenen Formensprache. Diese Einschätzung ist inzwischen einer differenzierteren Sichtweise gewichen. Wie ambivalent das Kunstsystem jedoch funktionierte und wie wenig Fallbeispiele dazu geeignet sind, verallgemeinert werden zu dürfen, haben diverse Untersuchungen hinlänglich offen gelegt. Das Kräfteverhältnis, in dem sich Kunst und Staat begegneten, oder auch die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst können nur im jeweiligen Einzelfall geklärt und bewertet werden, denn weder fügten sich die so genannten Geltungskünste (Karl-Siegbert Rehberg) in allen Fällen den staatlichen Vorgaben allzu beflissentlich, noch konnten sich dissidente Strömungen den Spielregeln der Kunstförderung völlig entziehen.
Vor diesem Hintergrund liefert Weißbachs Dissertation einen wichtigen Beitrag zu Fragen nach den kulturellen Freiräumen in der DDR, denn ihre Studie zum Ausstellungsprogramm des Leonhardi-Museums in Dresden offenbart einmal mehr, dass unangepasste, kritische Positionen nicht nur einem Insiderkreis zugänglich waren, sondern selbst in offizielle Institutionen Einzug hielten.
Die Autorin hat für ihre Untersuchung eine streng chronologische Vorgehensweise gewählt, die sich an den Dezennien orientiert und eine Ausstellungsübersicht erarbeitet. Zur Kernerarbeit, die hier nicht gescheut wurde und die notwendig war, da das Leonhardi-Museum über kein Archiv verfügt, gehört die sehr ertragreich zu nennende Sichtung und Zusammenstellung des weit verstreuten Quellenmaterials. Erst diese Sammlung erlaubte es Angelia Weißbach die einzelnen Ausstellungen zu rekonstruieren und die Namen der Akteure, der Künstler wie der Organisatoren sowie die ausgestellten Werke zu benennen und kurz zu charakterisieren. Biografische Notizen sind hinzugefügt, Hinweise auf Pressestimmen bzw. auf Bewertungen durch die Funktionäre fanden je nach Befundlage Erwähnung. Die Besprechung der einzelnen Ausstellungen folgte damit einem mehr oder weniger festgefügten Schema, das Modifikationen gemäß dem Überlieferungsstand berücksichtigte. Eine umfangreiche Quellensammlung ist auf diese Weise entstanden, die entlegenes Schrifttum erschließt und für weitere Forschungen zur Verfügung stellt.
Weißbachs detaillierte Nachforschungen zum Ausstellungsprogramm des Leonhardi-Museums wurden in einen größeren kulturpolitischen Kontext gestellt, der, ebenfalls chronologisch aufbereitet, zusammenfassende Überblicke formulierte, die offizielle Doktrin umriss und zeitgleich veranstaltete Schauen einbezog. Als kontrastierende Folie wurden immer wieder die Deutschen Kunstausstellungen in Dresden beschrieben. Diese hatten seit 1946 offiziellen Charakter: als eine Art Leitungsschau sollten sie über einen langen Zeitraum die Aufgabe erfüllen, den Fortschritt des sozialistischen Realismus in der DDR-Kunst unter Beweis zu stellen, doch öffneten sie sich, bedingt durch die fortschreitende Liberalisierung (mit der Partei und Staat dem Kunstgeschehen vor allem seit den 1970er-Jahren begegneten) zunehmend avantgardistischen Ausdrucksformen.
Neben der Deutschen Kunstausstellung präsentierte Weißbach zahlreiche weitere Räume, die teils privat organisiert, teils von staatlicher Seite unterhalten wurden. Sie schuf damit ein größeres Panorama, das die Vielfalt des Ausstellungsbetriebs ins Bewusstsein rückt und die diffizilen Verknüpfungen zwischen autonomen und konformen Bestrebungen aufdeckt. So können wir an ihren Zusammenstellungen ablesen, in welcher Weise etwa staatsferne Künstler, die eigenwillige künstlerische Praktiken wählten, dennoch von den Galerien Kunst der Zeit, die der Genossenschaft bildender Künstler unterstanden, vertreten wurden. Die hier vorgenommene Kontextualisierung ist sinnvoll und notwendig, denn sie ermöglichte es erst, die Aktivitäten des Leonhardi-Museums zu verorten und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung und Spielräume eines autonomen Künstlertums zu bewerten.
In ihrer Rekonstruktion der einzelnen Ausstellungen kann Angelika Weißbach mit vielen Einzelheiten aufwarten, wovon einige herausgestellt werden sollen. So zeigt sie etwa auf, dass das Leonhardi-Museum in den 1960er-Jahren vor allem Vertreter der klassischen Moderne präsentierte. Damit reagierte das Museum auf die offiziellen Doktrinen, denn mit den beiden Formalismusdebatten (1948 und 1951) und dem Bitterfelder Weg (1959 und 1964) waren die Vertreter des deutschen Expressionismus und des Bauhauses sowie die internationalen Avantgarden als potentielle Bezugspunkte für die DDR-Kunst ausgeschieden - sie waren als Vertreter des Klassenfeindes diskreditiert. Während die BRD dieser Kunst in den Nachkriegsjahren eine Reihe an Ausstellungen widmete, um Künstler nach der Verfemung durch die Nationalsozialisten zu rehabilitieren, stand im Leonhardi-Museum eher die Absicht im Vordergrund, einen bewussten Gegenakzent gegen anhaltende Diskriminierungen zu setzten. Doch war das Leonhardi-Museum keineswegs die einzige Institution, die sich der doktrinären kulturpolitischen Haltung verweigerte, vielmehr ist es in ein breites Aktionsfeld eingebunden zu sehen. Mit der "Galerie konkret" in Berlin (1960) oder Lothar Langs institutseigenem Kunstkabinett in Berlin-Weißensee, das seit 1962 im monatlichen Wechsel junger Kunst ein Podium bot, gründeten sich in den 1960er-Jahren erste Künstler-Selbsthilfe-Galerien. Und selbst im Puschkinhaus, dem Sitz der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, gelang es, 1965 Arbeiten von Ralf Winkler (später A.R. Penck), Peter Hermann u.a. zu zeigen.
In den 1970er-Jahren konzentrierte sich das Ausstellungsprogramm des Leonhardi-Museums vor allem auf Dresdner Zeitgenossen. Die Namen der Akteure zählen heute zu den international renommierten Künstlern; so waren etwa Max Uhlig, Dieter Goltzsche, Wieland Förster, Strawalde, A.R. Penck, Eberhard Göschel, Günter Hornig, Robert Rehfeldt, Cornelia Schleime oder auch Via Lewandowsky vertreten. Neben diesen Einzelausstellungen waren es vor allem Gruppenausstellungen, die Aufsehen erregten und die mitunter auch die Staatsmacht auf den Plan riefen. Zu derart als störend und staatsfeindlich verstandenen Aktionen gehörte etwa die "Türenausstellung" (1979). Bei ersterer hatten sich die beteiligten Künstler auf ein verbindliches Material verständigt, das als bearbeitetes Objekt oder eingebunden in Environments und Happenings vielfache Assoziationsspielräume zur DDR-Realität eröffnete und dessen kritischer Charakter nicht verborgen bleiben konnte.
Stärker als in den 1960er-Jahren war das Kunstgeschehen nun begleitet von der Gründung kleinerer Galerien und Künstlergruppen. "Lücke frequentor" in Dresden setzte sich 1970 über das generelle Verbot der Gruppenbildung hinweg, verstand sich als Kollektiv und trat mit Gemeinschaftsbildern an die Öffentlichkeit. In diesem Jahrzehnt etablierte sich auch der Staatliche Kunsthandel der DDR, der im Ausland das Ausstellungs- und Verkaufsmonopol inne hatte und seit 1974 Galerien unterhielt bzw. sich private Gründungen aneignete. Zu solchen "Übernahmen" zählten z.B. die Galerie am Sachsenplatz in Leipzig oder die Galerie Arkade in Berlin, die sich dennoch ihren experimentellen Charakter über mehrere Jahre bewahren konnten. Daneben wurden von offizieller Seite die ersten Stadtbezirksgalerien eröffnet, deren mitunter erstaunlich avantgardistisch anmutendes Programm eine Lockerung der bis dato restriktiven Kulturpolitik widerspiegelte.
In den 1980er-Jahren übten die Galerie Clara Mosch (1982) im heutigen Chemnitz und der autonome "1. Leipziger Herbstsalon" (1984), der als "konterrevolutionär" eingestuft wurde, größte Anziehungskraft auf die jungen Künstler aus. Installationen und Performances waren auch in der DDR die neuen Äußerungsformen. Entsprechende Initiativen hatten sich auch in Dresden beispielsweise mit der "Intermedia" (1985) gebildet.
Im Leonhardi-Museum hingegen sorgten die Behörden für die Durchsetzung stärkerer Kontrollmaßnahmen, um die autonomen Bestrebungen zu zerschlagen. Aus diesem Grunde wurde das Haus 1981 in administrativer Hinsicht dem Stadtbezirk unterstellt und eine Volkskunst-Galerie, die im Erdgeschoss eingerichtet wurde, sollte mit ihrer linientreuen Leiterin die Erziehung zur sozialistischen Kunstanschauung sicherstellen. Da die AG des Leonhardi-Museums ihre Ausstellungspolitik jedoch unbeirrt fortsetzte, wurden schließlich drakonischere Maßnahmen ergriffen und der große Ausstellungssaal unter dem Vorwand unaufschiebbarer Renovierungsarbeiten geschlossen. Einer neuen Ausstellungs-AG sollte es wenige Jahre später gelingen, das Haus wieder zu eröffnen und das alte Programm fortzuführen.
Wie dies gelingen konnte, wie das ständige Kräftemessen zwischen Funktionären und Künstlern ausbalanciert wurde bzw. wie Machtfunktionen auch auf Seiten der staatsfernen Akteure besetzt werden konnten, wird in Weißbachs Darstellung leider wenig beleuchtet. Überhaupt nehmen analytische Erörterungen einen nur geringen Anteil ein. Die Dissertation konzentriert sich stattdessen auf faktische und quantitative Dokumentationen, in die kulturpolitische Erläuterungen lediglich eingeflochten sind; als Leser würde man sich hier dezidiertere Bewertungen und Einschätzungen der Abläufe sowie kritische Zusammenfassungen wünschen, die das dargebotene Material einer intensiveren Befragung unterziehen. Durch die Kleinteiligkeit des chronologischen Abschreitens und das Geflecht der zahllosen Namen, die sich nur dem ohnehin Kundigen erschließen, büßt der Text mitunter seinen Lesefluss etwas ein und das bemerkenswerte Phänomen einer autonom arbeitenden "Produzentengalerie" gerät aus dem Blick. Als ein Sammel- und Nachschlagewerk hingegen, das weit verstreute Quellen erstmals zugänglich macht, liefert die Publikation jedoch einen wertvollen Beitrag zur DDR-Forschung.
Sigrid Hofer