Klaus Zmeskal: adfinitas. Die Verwandtschaften der senatorischen Führungsschicht der römischen Republik von 218 - 31 v. Chr., Passau: Verlag Karl Stutz 2009, VII + 492 S., ISBN 978-3-88849-304-1, EUR 115,00
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Prosopographische Arbeiten zur römischen Republik sind selten geworden, seitdem das Konzept verabschiedet wurde, Familienparteiungen würden als Faktionen die politischen Geschicke lenken. Klaus Zmeskal setzt nun an der alten Frage nach der politischen Bedeutung der Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse der römischen Nobilität an, versucht aber, diese neu zu akzentuieren und vor allem auf eine breite empirische Grundlage zu stellen. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die 2007 an der Universität Passau eingereichte Dissertation; der Autor ist jedoch noch während des Verfahrens verstorben, so dass die von Armin Eich herausgegebene Fassung Einblicke in ein ambitioniertes Projekt gibt, das der Autor selbst nicht mehr in eine Druckfassung überführen konnte. So manche Unzulänglichkeit ist auch diesem Umstand geschuldet.
Die Arbeit besteht aus mehreren Abschnitten, die sich auf zwei Bände und eine CD-Rom verteilen. Die "ursprüngliche diskursive Anlage des Werkes" (VII) wurde nach Eich von Zmeskal schon früh aufgegeben und nur das am weitesten ausgearbeitete Interpretationskapitel in den ersten Band aufgenommen. Der erste Teil im ersten Band besteht aus einem Personenkatalog (11-287), in dem alle bezeugten Senatoren von 218 bis 31 v. Chr. samt ihrer namentlich bezeugten Verwandten in aufsteigender und absteigender Linie bis in die 3. Generation, ebenso Geschwister, Ehepartner und Adoptivväter bzw. -söhne aufgeführt werden. Schwiegerverwandte lassen sich durch die Stammtafeln in Band 2 mittelbar erschließen; keine Aufnahme fanden jedoch Geschwisterkinder. Die einzelnen Einträge sind alphabetisch nach gentes geordnet beginnend bei den Acilii und endend mit den Volusii. Enthalten sind Verweise auf die jeweiligen RE-Artikel, das höchste erreichte Amt sowie die Generationentafel im 2. Band. Die verwandtschaftlichen Beziehungen werden dann mitsamt den Quellenbelegen aufgeführt. Verwiesen wird auch auf Münzprägeaktivitäten sowie Sekundärliteratur - jedoch nicht vollständig und systematisch. Forschungsdiskussionen um Familienzugehörigkeiten werden in Endnoten diesem ersten Teil als Anhang 1: "Erläuterungen zum alphabetischen Katalog" angefügt (S. 289-382). Ausführungen zu der Münzprägetätigkeit - wenn diese der Identifizierung von Familienzugehörigkeiten dienlich ist oder wenn in den Prägungen auf Familientraditionen angespielt wird - finden sich im zweiten Anhang (S. 383-397). Zmeskal liefert damit keine biographischen Einträge, wie sie in der "Geschichte Roms" von Drumann/Groebe zu finden sind, sondern eher eine Art Broughton für Verwandtschaftsverhältnisse [1].
Zu diesem Katalogteil korrespondieren der erste Teil im zweiten Band sowie das erste Kapitel auf der mitgelieferten CD-Rom. Im zweiten Band finden sich die Stammtafeln von 70 gentes und ihren verschiedenen Zweigen - Vollständigkeit wird hier weder erreicht noch angestrebt. Die Vorlagen liefern der Katalogteil wie auch die schon anderweitig erarbeitete Rekonstruktionen. Dem schließen sich 12 Tafeln mit Erläuterungen zu strittigen Fällen sowie drei Überblicke zur lateinischen Verwandtschaftsterminologie und der Häufigkeit und Verteilung von Praenomina auf die gentes an. Auf der CD-Rom findet sich ein 316 Seiten starkes Dokument im PDF-Format: Im "Register der Quellen" werden die im Personenkatalog genannten literarischen Quellenpassagen im griechischen bzw. lateinischen Original wiedergegeben. Zmeskal ordnet hier jedoch nicht nach Personen, sondern alphabetisch nach antiken Autoren, was die Handhabung etwas schwierig gestaltet. Unter den jeweiligen Werken finden sich alphabetisch die bezeugten Personen und Verwandtschaftsverhältnisse - zum Teil mit Verweisen auf Forschungspositionen und kurzem Kommentar.
Die Auswertung der gesammelten Daten wurde auf dreierlei Weise vorgenommen. Zum einen "klassisch" analytisch: Im Kapitel "Gestiftete Verwandtschaften" (Band 1, 399-464) liegt der Fokus auf Eheschließungen und Adoptionen. Zmeskal fragt jeweils nach den Gründen sowie den Wirkungen, um Grundtypen und Konstellationen feststellen zu können. Die Diskussion erfolgt anhand einer Auswahl besonders aussagekräftiger Fälle - hier finden sich vor allem für den Abschnitt zur Ehe die üblichen Verdächtigen Pompeius, Caesar und Sulla sowie der "Frauentausch" zwischen Hortensius und Cato minor, wobei zu diskutieren wäre, inwiefern diese als exemplarisch für das Heiratsverhalten innerhalb der Nobilität zu sehen sind. An der Festigkeit politischer Eheschließungen äußert Zmeskal Zweifel: eine Ehe konnte instrumentalisiert werden, musste aber nicht. Adfinitas wird als politisch nicht handlungsbestimmend bewertet und die These von politischen Allianzehen in Rom damit geschwächt. Der Autor wertet diese eher als "Standortbestimmung" und "Signal nach außen" (428), auch wenn er in seiner Analyse Vokabeln wie "Koalition", "Bündnis" und "Metellische Guppe" verwendet, die noch der Faktionentheorie eines H. H. Scullard zuzuordnen sind [2]. Das im Mittelmeerraum besondere stark exogame Heiratsverhalten der Römer wird nicht diskutiert, Zmeskal hält jedoch fest, dass Gruppenfremde über das Mittel der Ehe integriert werden konnten, und gibt Beispiele für Ehen der Nobilität mit dem italischem Adel (429-431). Er konstatiert, dass politische Konkurrenz sich nicht in einer sozialen fortsetze(435), leistet aber keine systematische Untersuchung etwa der Vergabe des conubium, der Heiratsverbote bzw. sozialen Heiratsgebote und der Bedeutung von adfinitas sowohl im sozialen Handeln als auch als gruppenbildendes Moment. Die Adoptionen werden im Anschluss etwas kürzer nach den gleichen Kriterien wie die Eheschließungen untersucht; neben dem Fortbestand der Linie gilt auch hier als wichtigster Grund das Knüpfen von Beziehungen.
Neben der Diskussion ausgewählter, gut dokumentierter Fälle findet sich auf der CD-Rom ein neuer Weg der Auswertung der so akribisch gesammelten Personendaten: "Kapitel II: Statistische Auswertung". Zmeskal geht in mehreren Schritten vor, um das Verhältnis zwischen sozio-politischem Rang und Familienzugehörigkeit empirisch nachzuvollziehen. Er fragt nach dem Zusammenhang zwischen den bekleideten Ämtern und denen des Vaters und, inwiefern der Status des Vaters Einfluss auf Rang des Sohnes und Enkels hat. Dabei geht der Autor in mehreren Schritte und Berechnungen vor, die in 109 Tabellen und Diagrammen dokumentiert und erläutert werden. Die Ergebnisse zeigen den oben genannten Zusammenhang: Häufig war nur der älteste Sohn politisch erfolgreich. Die Karriereverläufe sind als sehr gleichmäßig, quasi standardisiert anzusehen und zeigen die grundlegende Homogenität der Spitze auf, die jedoch eingebettet in eine breitere Gruppe von Personen ist, die zwar den Senatorenstand erreichen, in den Quellen aber kaum abgebildet werden (150). Zmeskal kommt hierbei zu ähnlichen Ergebnissen, die uns als Überlegungen zum Aufbau der Nobilität schon vorliegen, nun aber auf umsichtig argumentierten statistischen Berechnungen und Tabellen vorliegen, so dass Leser gut daran täten, diesen Teil auszudrucken.
In einem dritten Schritt sollen die Familienverbindungen zwischen den gentes in sogenannten Generationentafeln optisch dargestellt werden. Im zweiten Band wird anhand von 13 Tafeln der Versuch unternommen, verwandtschaftliche Beziehungen in einem dreidimensionalen Raum zu projizieren, um Überschneidungen und Ballungen über die Zeit deutlich zu machen. Zmeskal gibt selbst an, dass ein solches Unterfangen auf einem PC einfacher zu realisieren war und in der zweidimensionalen Papierform der Sache gemäß verflachen musste. Dem Leser präsentiert werden daher sehr umständliche und erklärungsreiche Karten, die aber zumindest die Notwendigkeit deutlich machen, die verwandtschaftlichen Verflechtungen innerhalb der Nobilität synchron wie diachron als die gesamte Führungsgruppe betreffend zu betrachten und nicht in Ausschnitten auf wenige Personen bezogen.
Zmeskal hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das seine beeindruckende Kenntnis der Familienkonstellationen bezeugt. Es verweist auf einen ehrgeizigen Plan, über die Verwandtschaftsverhältnisse in empirischer Weise die Struktur und Funktionsweise der römischen Führungsschicht analysieren zu wollen, den der Autor aufgrund seiner Krankheit jedoch nicht selbst abschließen konnte. Das hinterlassene Gerüst seiner Forschungsarbeit stellt jedoch ein wichtiges und nützliches Instrument für eine moderne, prosopographisch orientierte Forschung zur Elite der römischen Republik dar und kann somit Grundlage für Überlegungen werden, die der Autor selbst nicht mehr niederschreiben konnte.
Anmerkungen:
[1] W. K. Drumann: Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung oder Pompeius, Caesar, Cicero und ihre Zeitgenossen, hrsg. v. P. Groebe, 6 Bde., Königsberg 2. Aufl. 1899-1929 (ND Hildesheim 1964); T. R. S. Broughton: The Magistrates of the Roman Republic, 3 vol., New York 1951-1952 (ND mit Suppl. Atlanta/Ga. 1986).
[2] Vgl. H. H. Scullard, Roman Politics 220-150 B.C., Oxford 1951.
Ann-Cathrin Harders