Rezension über:

David Barnouw: Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg. Eine Einführung, Münster: agenda 2010, 129 S., ISBN 978-3-89688-427-5, EUR 14,80
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Rezension von:
Katja Happe
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Katja Happe: Rezension von: David Barnouw: Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg. Eine Einführung, Münster: agenda 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 7/8 [15.07.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/07/19315.html


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David Barnouw: Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg

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Der Titel der Publikation von David Barnouw Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg lässt zunächst ein umfangreiches und hochwissenschaftliches Buch erwarten, das im deutschen Sprachraum lange überfällig ist. Umso größer ist die Verwunderung, wenn ein Buch im Umfang von gerade einmal 129 Seiten und ohne Fußnoten vorliegt. Erst der Untertitel "Eine Einführung" reduziert die Erwartungen auf ein dem Buch angemessenes Maß. Diese neuen Erwartungen werden dann aber durch ein informatives, gut geschriebenes und alle wichtigen Aspekte abdeckendes Buch reichlich erfüllt.

David Barnouw, langjähriger Mitarbeiter des niederländischen Dokumentationszentrums für Weltkriegs-, Holocaust- und Genozidforschung (NIOD), bekannt unter anderem durch seine Forschungen zu Anne Frank, hat sich der Aufgabe gewidmet, die Geschichte der Besatzungszeit in den Niederlanden in einfacher, gut verständlicher und dennoch wissenschaftlich fundierter Weise zusammenzufassen. Das vorliegende Buch, dessen niederländischer Titel Die Besatzung in einer Nussschale. Alles, was Du schon immer über den Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden wissen wolltest den Inhalt besser wiedergibt, bietet einen ersten Zugang zu den Geschehnissen in den Niederlanden und ordnet sie in größere Zusammenhänge ein. Nachdem das Buch bereits 2005 in einer niederländischen Version erschien, ist es dem Autor und dem agenda-Verlag zu verdanken, dass diese Einführung nun auch im deutschen Sprachraum vorliegt. Auch wenn die Besatzungszeit in den Niederlanden selbst gut erforscht ist, sind deutschsprachige Publikationen zu den Jahren 1940 bis 1945 Mangelware. Dass die deutschen Besatzungsbehörden unter Reichskommissar Seyß-Inquart eine gut funktionierende Zivilverwaltung aufbauten, dass zehntausende Niederländer Zwangsarbeit in Deutschland verrichten mussten und dass fast 75% der in den Niederlanden lebenden Juden im Holocaust umkamen, mehr als in jedem anderen westeuropäischen Land, ist außerhalb der Niederlande kaum bekannt. Für all diese Themen bietet David Barnouw einen guten Einstieg, bei dem er zugleich die aktuellen Diskussionen in der Wissenschaft mit einbezieht.

Das Buch beginnt mit der Vorgeschichte der Besatzungszeit, der gesellschaftlichen und politischen Situation in den Niederlanden und dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland. Aufgrund des geringen Platzes bleiben die Aussagen David Barnouws eher allgemein und beschränken sich auf die wichtigsten Punkte wie die Militarisierung Deutschlands nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und die engen wirtschaftlichen Verbindungen der Niederlande zu Deutschland. Er thematisiert das Aufkommen der nationalsozialistischen Bewegung der Niederlande (NSB) und die Vorbereitungen für den Verteidigungsfall. In den folgenden Kapiteln widmet er sich dem deutschen Angriff, der schnellen Niederlage der niederländischen Armee nach nur fünf Tagen und der Flucht von Königin und Regierung ins Exil nach London. In den Kapiteln über die Besatzungszeit geht es um den durch die Deutschen initiierten hohen Grad von Gleichschaltung der niederländischen Gesellschaft und die Kollaborationsbereitschaft der niederländischen Bevölkerung, die noch heute in der Forschung diskutiert wird. [1] Auch die Darstellung der aus Sicht der deutschen Besatzer überaus effizienten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und die Problematisierung des zunächst nur geringen organisierten Widerstands in den Niederlanden gelingt David Barnouw in prägnanter Manier. Über die Niederlande hinausgehende Kapitel schildern den allgemeinen Kriegsverlauf, die Rolle der niederländischen Exilregierung in London und die Geschehnisse in der damaligen Kolonie Niederländisch-Indien (heute Indonesien), die während des Krieges von den Japanern besetzt wurde und sich im August 1945 für unabhängig erklärte. Die verschiedenen Etappen der Befreiung (der befreite Süden der Niederlande, der Hungerwinter 1944/45 im noch nicht befreiten Norden, in dem Zehntausende an Hunger und Kälte starben, und schließlich die Kapitulation der Deutschen) werden ebenso behandelt wie die Probleme der Nachkriegszeit mit der Rückkehr der Zwangsarbeiter und der überlebenden Juden, die zwiespältig bewertete strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung der Täter und Kollaborateure sowie die Erinnerungskultur, die in den Niederlanden im Laufe der Jahre große Veränderungen erfuhr.

Keines der insgesamt elf Kapitel umfasst mehr als 13 Seiten, so dass Tiefe und Komplexität der Darstellung notwendigerweise darunter leiden. Auch die fehlenden Fußnoten behindern eine weitergehende Beschäftigung mit interessanten Themen und Fragestellungen, die im Text zwar angerissen, aber nicht ausführlich behandelt werden können. Dennoch merkt man dem Buch an, dass der Verfasser ein ausgewiesener Kenner der Materie ist, der die neuesten Forschungen in den Niederlanden rezipiert und in die Darstellung eingearbeitet hat. Das gilt zum Beispiel für die Erwähnung der regionalen Unterschiede bei der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und deren Überlebenschancen, die in den letzten Jahren genauer erforscht worden sind. [2] Ergänzt wird das Buch von einer Zeitleiste und deutschen Literaturempfehlungen. Hier führt David Barnouw fast alle auf Deutsch erschienenen wichtigen Monographien zum Thema auf (bis auf einige ebenfalls veröffentlichte Tagebücher, wie das von Helga Deen oder Edith Velmans-van Hessen). Dies macht jedoch das grundsätzliche Dilemma des Buches deutlich: Auf Deutsch gibt es kaum ausreichende Literatur, um sich wirklich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, während die Nutzung der umfassenden niederländischen Literatur bei vielen Lesern an den Sprachkenntnissen scheitern wird.

Dieses Dilemma ist jedoch weder dem Autor noch seiner Einführung in die Geschichte der Niederlande im Zweiten Weltkrieg anzulasten. Ganz im Gegenteil: Das Buch bietet einen guten und differenzierten Einstieg in das Thema, in dem auch Wissenschaftler, die kein Niederländisch lesen können und trotzdem eine erste Annäherung an das Geschehen und die Strukturen in den Niederlanden 1940 bis1945 benötigen, einen fundierten und den neuesten Forschungsstand widerspiegelnden Text erhalten, der kurz und bündig die wesentlichsten Punkte zusammenfasst. Dabei hat David Barnouw keine reine Ereignisabfolge geschrieben, sondern reichert seine Schilderungen immer wieder mit kleinen Seitenblicken an (siehe die Schenkung einer NSB-Glocke an Hermann Göring), die die handelnden Personen in den Vordergrund rücken.


Anmerkungen:

[1] Krijn Thijs: Kontroversen in Grau. Revision und Moralisierung der niederländischen Besatzungsgeschichte, in: Nicole Colin (Hg.): Täter und Tabu. Grenzen der Toleranz in deutschen und niederländischen Geschichtsdebatten, Essen 2011, 11-24.

[2] Marjolein J. Schenkel: De Twentse paradox: De lotgevallen van de joodse bevolking van Hengelo en Enschede tijdens de Tweede Wereldoorlog, Zutphen 2003 und Marnix Croes/ Pieter Tammes: 'Gif laten wij niet voortbestaan'. Een onderzoek naar de overlevingskansen van joden in de Nederlandse gemeenten 1940-1945, Amsterdam 2004.

Katja Happe