Andreas Hansert: Georg Hartmann (1870-1954). Biographie eines Frankfurter Schriftgießers, Bibliophilen und Kunstmäzens, Wien: Böhlau 2009, 390 S., 35 Abb., ISBN 978-3-205-78322-0, EUR 39,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Mark Bradley (ed.): Classics and Imperialism in the British Empire, Oxford: Oxford University Press 2010
Vito Francesco Gironda: Die Politik der Staatsbürgerschaft. Italien und Deutschland im Vergleich 1800-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Fred Spier: Big History and the Future of Humanity, Hoboken, NJ: John Wiley & Sons 2010
Georg Hartmann war eine komplexe Persönlichkeit in schwieriger Zeit. Er wurde 1870 als Sohn eines alteingesessenen Frankfurter Metzgermeisters im Haus "Zur Stadt Nürnberg" geboren, besuchte das Frankfurter Realgymnasium, verbrachte einige Zeit im Ausland und wurde dann 1891 Direktor einer Karlsruher Linoleum-Fabrik. Sieben Jahre später kaufte er die Bauersche Gießerei in Frankfurt, die er zu einem erfolgreichen Betrieb auf dem Gebiet der Schriftgießerei entwickelte - nicht zuletzt durch den Zukauf weiterer Unternehmen, der Gründung einer Filiale in New York und dem Einstieg in den wachsenden Bereich der Medizintechnologie.
Leider geben die Quellen wenig darüber her, wie Hartmann dieser bemerkenswerte berufliche Aufstieg gelang. Zwar war bereits sein Vater offenbar ökonomisch sehr erfolgreich; Grund war vor allem die Entscheidung, das traditionelle Metzgerviertel zu verlassen und gegenüber dem Thurn- und Taxis'schen Palais einen exklusiveren Betrieb mit angeschlossener "Wurstfabrik" zu eröffnen. Dennoch bleibt unbekannt, wie Hartmann als immer noch relativ junger, angestellter Direktor den Kauf eines großen Betriebs finanzierte, der zwar - angesichts der Erfindung von Setzmaschinen - in eine gewisse Krise zu geraten drohte, aber im Moment noch sehr erfolgreich war.
In der Folge wird Hartmanns Strategie klarer: Den Herausforderungen eines durch Mechanisierung veränderten Marktes begegnete er einerseits durch den konsequenten Fokus auf Qualität, andererseits durch Expansion mittels neuer Betriebe und in neue Sparten, so dass seine Firma den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und das 'Dritte Reich' wirtschaftlich gut überstand.
Hansert interessiert Hartmann jedoch weniger als Unternehmer (obgleich die Geschichten seiner Betriebe, sofern Quellen vorliegen, kenntnisreich und anschaulich geschildert werden), sondern eher als Kunstmäzen und als führender Angehöriger des kulturell interessierten Frankfurter Bürgertums. Als Kunstmäzen betätigte sich Hartmann zum einen in seinem Betrieb, wo er neue Schrifttypen in Auftrag gab, die für die Buchkunst Maßstäbe setzten (die im Text intensiv behandelte Futura findet sich aber leider nur auf dem Schutzumschlag, den Bibliotheken vermutlich abnehmen werden; das Buch selbst ist in "Adobe Garamond" gesetzt) und deren Entstehung er intensiv begleitete. Zum anderen kaufte er mittelalterliche Skulpturen sowie Werke damals noch unbekannterer Künstler, so 1917 ein Gemälde Max Beckmanns, und engagierte sich intensiv im Frankfurter Kunst- und Kulturleben.
Die für Hanserts Biographie entscheidende Phase, die auch knapp die Hälfte des Textes einnimmt, ist das 'Dritte Reich'. Hartmann erwies sich hier als Mann der öffentlichen Kompromisse und des geheimen Dissens. Als Unternehmer passte er sich dem 'Dritten Reich' an, wenn er auch seine amerikanischen Interessen so lange wie möglich zu wahren suchte und geringen Enthusiasmus für die Übernahme nationalsozialistischer Umgangsformen in den eigenen Betrieb aufbringen konnte. Er profitierte jedoch von Rüstungsaufträgen, die auch dazu führten, dass ihn der NS-Staat gegen Beschwerden wegen Devisenvergehen in Schutz nahm, und produzierte im Krieg den für den 'Führer' bestimmten Katalog geraubter Kunstwerke, der die Gründung des Linzer Museums vorbereiten sollte.
Parallel dazu ließ Hartmann freilich eine Version von Max Beckmanns Apokalypse anfertigen, was seine immer weiter gehende Desillusionierung durch den NS-Staat und den Kriegsverlauf deutlich machte. Ganz ähnlich stellt sich sein Bild in der Öffentlichkeit dar: (mehr oder weniger erzwungener) Konformismus gepaart mit (begrenztem) Widerstand, etwa bei der "Arisierung" des Städel oder dem Versuch, das Frankfurter Kulturleben gleichzuschalten. Aus dieser Haltung erwuchs im Laufe der Zeit eine wachsende Nähe zum NS-Oberbürgermeister Krebs, den Hartmann im Entnazifizierungsverfahren unterstützte, allerdings nur solange, bis Krebs versuchte, eine neue politische Karriere zu beginnen.
Hansert hat eine umfassende, hervorragend recherchierte Biographie vorgelegt, die den verschiedenen Facetten Hartmanns als Unternehmer, Bibliophiler, Kulturmanager, Konformist und Dissident in abgewogener Form gerecht wird und zugleich eine Kultur- und Politikgeschichte bildungsbürgerlicher Eliten in Frankfurt im 'Dritten Reich' bietet.
Andreas Fahrmeir