Katharina Lippold: Berliner Terrakottakunst des 19. Jahrhunderts, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2010, 280 S., 20 Farb- und 141 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2597-6, EUR 39,00
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Als eine Facette der Berliner Industriekultur im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Terrakottafabrikation, die während der Jahrzehnte um die Jahrhundertmitte zu einer bedeutenden Lieferantin für Baudekor und -plastik wurde. Katharina Lippold hat es in ihrem Buch unternommen, diese Entwicklung in ihrer Gesamtheit nachzuzeichnen und einer Bedeutungsanalyse im nationalen wie internationalen Vergleich zu unterziehen.
Das Buch folgt einem logischen und klaren Aufbau. Die Arbeit ist in neun Abschnitte unterteilt und streng chronologisch gegliedert. Die Autorin setzt an Stelle einer Einführung ein dreiteiliges Kapitel, das eine Spezifizierung des Werkstoffs ebenso umfasst wie eine Darstellung der Herstellungs- bzw. Verarbeitungstechniken und der Entwicklung der Terrakottakunst von der Steinzeit bis zum Klassizismus. Letzteres geschieht erfreulicherweise in gebotener Kürze und gilt der Eruierung der künstlerisch bearbeiteten Terrakotta als ständigem Begleiter der menschheitlichen Entwicklung. Bereits hier wird allerdings die Neigung der Autorin zur Aufzählung deutlich, in dem sie in dichter Folge Beispiele prähistorischer, antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Terrakottaplastik vorführt.
Der folgende Abschnitt ist dem Beginn der klassizistischen Terrakottakunst gewidmet, der in England zu finden ist und dessen bedeutendste Vertreterin die Londoner Firma von Eleanor Coade (1733-1821) war. Auf dem Kontinent wirkte sie Vorbild gebend, in Deutschland war es Martin G. Klauer (1742-1801), der sich als Erster in Weimar an tönerner Großplastik und irdenem Bauschmuck versuchte. Ihm folgte in Berlin schließlich über den 'Umweg' der Ofenfabrikation die Manufaktur Höhler & Feilner. Im Buch schließen sich daher zwei Kapitel an über die erste Phase der Baukeramik in Berlin bis zum Ende der 1830er-Jahre, deren Entwicklung maßgeblich von Tobias Feilner (1773-1839) als Fabrikanten und Karl Friedrich Schinkel als Künstler bestimmt wurde.
In der Zusammenarbeit mit Schinkel konnte sich die Terrakottakunst vom Ofenschmuck emanzipieren und zum "bedeutsamen Teil der preußischen Architektur" (52) werden. Lippold behandelt ausführlich als frühestes Beispiel das Terrakottarelief mit der Apotheose der Königin Luise, das von Feilner 1811/12 nach einem Entwurf von Johann Gottfried Schadow ausgeführt worden ist. Diesem Muster folgt die Autorin auch in den folgenden Kapiteln, welche die wesentlichen Phasen der Berliner Entwicklung umfassen. Es treten dabei neben die fortlaufende Darstellung der Fabrik- und Fabrikantengeschichte ausführliche Passagen, die Einzelprojekte und -objekte hervorheben, die als Marksteine die jeweilige Phase bündeln und charakterisieren.
In diesem von Schinkel künstlerisch dominierten Abschnitt gelang mit der Bauplastik für dessen Friedrichwerdersche Kirche ein erster Höhepunkt, bald selbst übertroffen von seiner Bauakademie, bei der erstmals ein umfangreiches Figurenprogramm in gebranntem Ton zur Anwendung gelangte. Mit der Verwendung von Terrakotten am Alten Palais von Karl Langhans Unter den Linden sowie in den Römischen Bädern im Park von Sanssouci erfuhr der Werkstoff quasi eine Nobilitierung.
Nach dem Tod von Feilner (1839) und Schinkel (1841) übernahmen Ernst March (1797-1847) bzw. dessen Witwe und Söhne als Fabrikanten und Friedrich August Stüler als Architekt in den nächsten Jahrzehnten die Staffelstäbe für die sich immer stärker ausweitende Nutzung der Terrakotta als Bauplastik. Die Fabrik von Feilner bestand trotzdem weiter erfolgreich unter dessen Nachfolgern bis zur Schließung 1870. March war ein Schüler Tobias Feilners gewesen, die Familien pflegten freundschaftlichen Umgang und so waren trotz der Konkurrenzsituation Kooperationen möglich. Der auf die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. folgende Bauboom erzeugte einen stetig wachsenden Bedarf an irdener Bauplastik in Berlin und Umgebung. Kriegsministerium, Neues Museum und Matthäuskirche in Berlin sowie italianisierende Villen und viele weitere Bauprojekte in Potsdam belegen diese Entwicklung. Die Höhepunkte sind schließlich mit der Neuen Orangerie von Sanssouci und dem Roten Rathaus erreicht. Für den monumentalen Ziegelbau des letzteren lieferte March ab 1861 neben unzähligen Ornamentteilen und Wappenmedaillons einen technisch wie künstlerisch anspruchsvollen Relieffries, der auf 36 Platten an den vier Eckrisaliten und der gesamten Hauptfassade die Geschichte der Stadt Berlin erzählt. Die Arbeiten dafür zogen sich bis 1879 hin.
Mit dem Erlöschen der Firma March 1899 nach einer verheerenden Brandkatastrophe betrachtet die Autorin die Epoche der Berliner Terrakottakunst als beendet. Deren Bedeutung war im vorangegangenen Jahrhundertviertel bereits sukzessive zurückgegangen zugunsten der im Wilhelminismus bevorzugten Werksteinopulenz. Das Buch schließt mit einer vergleichenden Analyse, um die Bedeutung der Berliner Terrakottakunst im nationalen wie internationalen Rahmen zu ermessen. Einerseits bestellten Kunden außerhalb Berlins und Preussens bei Feilner und March, andererseits dienten die erfolgreichen Berliner Unternehmungen als Vorbilder, so etwa für München. Hier bleibt die Autorin allerdings vage und nennt explizit keinen bayerischen Betrieb, der Anregungen aus Berlin aufgriff.
Im Vergleich mit der englischen Konkurrenz zeigt sich zwar deren technologische Überlegenheit, doch werden Terrakotten auf der Insel als Surrogate für Steinskulpturen betrachtet und entsprechend geringer geschätzt. In Berlin hingegen war durch Schinkel schon frühzeitig eine Würdigung des Materials ästhetisch erfolgt und durch Einsatz bei entsprechend hochrangigen Bauprojekten demonstriert worden. Im internationalen Vergleich stellen sich die Berliner Fabriken als quantitativ wenig bedeutend dar - auf dem Weltmarkt hatten sie keine Chance gegen die englische Konkurrenz. Ein Exportinteresse stand gegenüber der künstlerischen und technologischen Entwicklung augenscheinlich nicht im Fokus der Berliner Fabrikanten. Hier interessierte mehr die Marktführerschaft in der Berliner Region und in Preußen, da beispielsweise für March die Baukeramik nur einen Produktionszweig seiner Firma ausmachte. Der qualitative Hochstand von Feilner und March wurde hingegen insbesondere in Österreich und Ungarn wahrgenommen und als Anregung begriffen.
Der Autorin ist mit ihrem Buch ein konzises, sehr angenehm lesbares Kompendium zur Berliner Terrakottakunst gelungen. Gleichwohl hinterlässt die Lektüre ein ambivalentes Gefühl, was die wissenschaftliche Relevanz ihres Werkes anbelangt. Es beginnt bereits damit, dass ein wenigstens kurzer Abriss des Forschungsstandes zum Thema fehlt. So ergibt sich der Eindruck, dass Lippold letztlich die Ergebnisse und Erkenntnisse einer Vielzahl von Autoren zu einer Gesamtdarstellung kompiliert, ohne ersichtlich nennenswerte neue, eigene Forschungen zu betreiben. Das Literaturverzeichnis gibt davon beredt Ausdruck, führt es doch nur wenige Sekundär- und keine Primärquellen auf. Sicherlich, Archivrecherchen waren kaum nötig, da die behandelten Firmen hinreichend monografisch in der Vergangenheit bearbeitet worden sind und auch zu den wesentlichen Künstlern (Schinkel, Stüler, Schadow, Rauch usw.) ein entsprechendes Schrifttum existiert, wie auch einzelne Bauten (z.B. Bauakademie und Rotes Rathaus) bereits umfassend bearbeitet worden sind. Umso mehr wäre daher zu wünschen gewesen, wenn die Autorin die Ebene der Darstellung verlassen hätte, um sich einer übergeordneten Fragestellung zuzuwenden. So unterlässt sie es beispielsweise, die für die Kunst (und selbstverständlich auch die angewandte Kunst!) des Untersuchungszeitraumes so evidenten und virulenten Aspekte wie Materialästhetik, Materialgerechtigkeit und Polychromie zu problematisieren. Diese werden wiederholt erwähnt, aber inhaltlich nur angerissen - obgleich die Autorin die Bedeutung der Materialsichtigkeit und somit -ästhetik postuliert. Doch insbesondere dieser wesentliche und interessante Punkt wird nicht entwickelt, was sehr zu bedauern ist. Als Fazit die ungebrochene ästhetische Qualität der Berliner Terrakotten zu loben, erscheint vor diesem Hintergrund als zu wenig.
Christian Lechelt