Niklas H. Rossbach: Heath, Nixon and the Rebirth of the Special Relationship. Britain, the US and the EC, 1969-74 (= Global Conflict and Security since 1945), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2009, XIII + 293 S., ISBN 978-0-230-57725-1, GBP 55,00
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Die frühen siebziger Jahre waren eine Zeit des Umbruchs in den internationalen Beziehungen. Das US-Desaster in Vietnam, weltwirtschaftliche Verwerfungen, die nukleare Parität der Supermächte und Détente sowie die innergesellschaftliche Dynamik im Gefolge der Studentenbewegungen stellten bisherige bipolare Selbstverständlichkeiten im Kontext des Kalten Krieges in Frage. Diese Veränderungen konnten nicht ohne Folgen für das britisch-amerikanische Verhältnis bleiben, welches seit den Tagen des Zweiten Weltkriegs als special relationship galt. Es ist das Verdienst Rossbachs, jene außenpolitische und diplomatische Betriebsamkeit zwischen London und Washington nachzuzeichnen, die angesichts der erwähnten weltpolitischen Umwälzungen all zu leicht aus dem Blick der Forschung gerät (nicht zuletzt bei Arbeiten, deren Ausgangspunkt die US-Perspektive ist).[1]
Für die Selbstverortung Großbritanniens im internationalen Beziehungsgeflecht ist traditionell der Blick über den Atlantik ebenso essenziell wie der in Richtung Kontinentaleuropa. Es zählt bis heute zu den Herausforderungen britischer Regierungen, die relative Bedeutung dieser Bezugspunkte immer wieder neu zu definieren. In seiner am European University Institute entstandenen Arbeit geht Rossbach der Frage nach, in wie weit die europapolitischen Vorstellungen der konservativen Regierung unter Edward Heath die britischen Sonderbeziehungen zu den USA beeinflussten. Rossbachs Ausgangspunkt ist dabei die Forschung zum britischen Verhältnis zu Europa. Am Ende seiner thematisch gegliederten Studie, in der er Währungspolitik, Nuklearpolitik, Europapolitik und Diplomatie untersucht, formuliert der Autor als seine zentrale These, dass die special relationship in den Jahren 1970-74 trotz gewisser Tiefpunkte im Einzelnen mit neuem Leben erfüllt wurde - entgegen der ursprünglichen Intention von Heath und im Gegensatz zur zeitgenössischen Einschätzung.
Rossbach ist damit ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis der Neujustierungen innerhalb des westlichen Lagers im Zeitalter der Entspannungspolitik gelungen, aber auch zu einer Phase eines ungewöhnlich ausgeprägten britischen politischen Gestaltungswillens im Hinblick auf Europa. Mit seinem Fokus auf Heath betont der Autor dabei zu Recht die Bedeutung der handelnden Individuen für die konkrete Ausgestaltung längerfristiger Entwicklungen und grundsätzlichen Handlungsoptionen. Allen voran war Heath eine spezifische Sicht auf Großbritannien in Europa eigen, die über den bloßen Beitritt zum Gemeinsamen Markt hinaus reichte und eine politische Dimension im Hinblick auf die Rolle der EG aufwies. Rossbach stützt sich auf Quellen aus britischen Archiven ebenso wie aus den amerikanischen National Archives und versäumt auch nicht, wenn auch nur kursorisch, diese Sicht Heath' mit der seiner Vorgänger Macmillan und Wilson und der im Foreign und Commenwealth Office vorherrschenden Meinung zu kontrastieren.[2]
Heath verfolgte den Ansatz, den britischen Großmachtstatus zu erhalten, indem er sein Land im Innern wie in der Außenpolitik europäisierte. Dazu plante er, die bisherige britische special relationship zu den USA graduell in dem Maße aufzugeben, in dem die Europäische Gemeinschaft in diese Rolle hineinwachsen würde. Seine Vision war die einer auf zwei gleichermaßen tragenden Säulen ruhenden Partnerschaft, wie sie schon von US-Präsident Kennedy ein knappes Jahrzehnt zuvor propagiert worden war. Dazu versuchte Heath, die wirtschaftlichen, finanzpolitischen und militärischen Beziehungen zu den USA gemäß seiner Vision neu zu strukturieren. Angesichts des von Nixon verfolgten Ansatzes, die Verbündeten der USA zur Übernahme von mehr (verteidigungspolitischer) Verantwortung zu ermuntern und wegen weiterhin weitgehender Übereinstimmung in Sicherheitsfragen, erfreute sich Heath im Grundsatz der Unterstützung des Weißen Hauses. Der amerikanische Alleingang in Sachen China und der Nixon-Schock vom Sommer 1971 zeigten jedoch deutlich die Grenzen der Gemeinsamkeit auf. Der Tiefpunkt im transatlantischen Verhältnis war im Oktober 1973 erreicht. Henry Kissinger, im Zuge von Watergate zum maßgeblichen Gestalter der US-Außenpolitik aufgestiegen, verfolgte eine schwerpunktmäßig an Sicherheitserwägungen orientierte US-Interessenpolitik. Es ist dabei bezeichnend, dass gerade Kissinger als vermeintlich "europäischster" Kopf der außenpolitischen Entscheidungsträger in Washington die traditionelle Rolle der Europäer als Juniorpartner der USA festschreiben wollte. Auch für London war in diesem Szenario nicht mehr vorgesehen als das, was Rossbach als die "mythische" Interpretation der special relationship bezeichnet, nämlich die Rolle eines loyalen, vertrauenswürdigen Juniorpartners (206).[3] Eine solche Sichtweise hatte Kissinger als Immigrant im Rahmen seiner politischen Sozialisation im Nachkriegsamerika aufgesogen und beibehalten. Dies überrascht wenig angesichts der Tatsache, dass Kissingers legendäres transatlantisches Netzwerk vor allem kontinentaleuropäisch ausgerichtet war, sprich Frankreich und noch weit mehr die Bundesrepublik im Blick hatte.
Die Dominanz von Sicherheitsüberlegungen im Kontext des Kalten Krieges machen für Rossbach die Notwendigkeit und auch die Haltbarkeit der Sonderbeziehung London-Washington evident. Statt die europäische Währungszusammenarbeit zu befördern, blieb Großbritannien in diesem Bereich von den USA abhängig; um die britische Abschreckungsfähigkeit zu erhalten, fiel Heath nolens volens auf die special relationship zurück. Im Zuge der Supermacht-Détente wurden die Konsultationen zwischen Weißen Haus und Downing Street gemäß traditioneller Muster wieder intensiviert. Rossbach sieht dabei der special relationship eigene Tendenzen am Werk, die Heath' Vorhaben letztlich konterkarierten.
Insgesamt hat Rossbach die Forschung zur Umbruchphase der internationalen Beziehungen Anfang der Siebziger um eine wichtige Facette bereichert. Indem er die Standardnarrative zur special relationship grundlegend hinterfragt, ermöglicht seine gut strukturierte Studie eine fundierte Einschätzung der europapolitischen Rolle Großbritanniens bis in die Gegenwart. Allerdings hätte sich der Rezensent auch eine grundsätzliche Erörterung des Begriffs special relationship als wissenschaftlicher Kategorie gewünscht. Der erklärende Gehalt dieses Ausdrucks, der bis heute als griffige Beschreibung des bilateralen Verhältnisses zwischen London und Washington herhalten muss, ist kritisch zu hinterfragen. Gerade die zentrale Rolle Bonns für die US-Position in Europa während des Kalten Krieges wie auch für die Détentebemühungen des Weißen Hauses - und die enge Zusammenarbeit über geheime Kanäle dabei -, schufen "besondere Beziehungen" auch anderorts. Außerdem bleibt eine synthetisierende Studie, die die zahlreichen entspannungspolitischen Initiativen und die relative Bedeutung der einzelnen bilateralen Beziehungen zu einem Gesamtpanorama zusammenfügt, weiterhin ein Desiderat.
Anmerkungen:
[1] Exemplarisch für die Kissinger-Forschung: Jussi Hanhimäki: The Flawed Diplomat. Henry Kissinger and American Foreign Policy, Oxford 2004.
[2] Zu Haltung und Denkansätzen innerhalb der britischen Ministerialbürokratie und zur europapolitischen Einhegung des FCO liefert Jens Kreutzfeldt: "Point of no Return". Großbritannien und die Politische Union Europas, 1969-1975, Stuttgart 2010, eine fundierte Ergänzung.
[3] Zu den Ambivalenzen in Kissingers Verhältnis zu Europa siehe Jeremi Suri: Henry Kissinger and the American Century, Cambridge, MA 2007 und Holger Klitzing: The Nemesis of Stability: Henry A. Kissinger's Ambivalent Relationship with Germany, Trier 2007.
Holger Klitzing