William Poole: The World Makers. Scientists of the Restoration and the Search for the Origins of the Earth (= The Past in the Presence), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, XVII + 234 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-1-906165-08-6, EUR 35,60
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Nicht nur in Überblickswerken wird die Wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert immer noch gerne als eine Erfolgsgeschichte standhafter Männer erzählt, die sich gegen den Dogmatismus von Kirche, universitäre Traditionen und Aberglauben stemmten und durch Beobachtung und Experiment die wissenschaftlichen Koordinaten schufen, die auch die heutige Welt zu kennzeichnen scheinen.
Nun erzählt auch William Poole ausschließlich von Männern, kehrt aber das Narrativ gleichsam um. Die Wissenschaftliche Revolution habe weniger in Ablösung von biblischen oder anderen Autoritäten stattgefunden. Die "neuen" Wissenschaften von der Natur stünden nicht im Gegensatz zur Religion. Vielmehr, so die Hauptthese Pooles, bewegten sich wissenschaftliche Problemstellungen innerhalb theologischer, ja apologetischer Denkmuster und entwickelten sich in engster Bindung an biblische Exegese weiter. Mehr noch: Folgt man Pooles Argumentation, scheinen Beobachtung und Experiment für die frühe Naturforschung zunächst weniger relevant gewesen zu sein als die Auseinandersetzung mit Texten - neben der Bibel die Überlieferungen der Antike.
Poole unternimmt nun diese gewichtige Korrektur in seinem als "essay in intellectual history" bezeichneten Buch (XII), welches er als Einführung verstanden wissen möchte (X). Als Ideengeschichte auf knappem Raum angelegt, wählt er aber mit Bedacht einen präzisen Rahmen miteinander verbundener Debatten über den Ursprung, die Geschichte und das mögliche Ende der Erde. Dabei konzentriert er sich auf die englische Diskussion zwischen 1660 und 1700, vernachlässigt aber nicht deren kontinentale Referenzen. Genauer untersucht er in erster Linie die Werke von Mitgliedern der 1660 gegründeten Royal Society. Neben Robert Boyle, Isaac Newton, Robert Hooke oder John Ray etwa stehen vor allem die "World Makers" Thomas Burnet, John Woodward und William Whiston im Mittelpunkt. Der Buchtitel der "World Makers" verdankt sich dabei einer polemisch gemeinten Zuschreibung des 18. Jahrhunderts und bezeichnete diese Gelehrten, die in ihren weitreichenden Theorien zur Erdgeschichte die biblische Wahrheit mit neuesten wissenschaftlichen Methoden und Argumenten zu verteidigen versuchten.
Das gut lesbare Buch gliedert sich in zwölf kurze Kapitel, die - der Hauptthese folgend - nach biblischer Chronologie geordnet sind. Nach den Theorien über die Schöpfung werden praeadamitischen Hypothesen, Überlegungen zur Erdchronologie, zu Sintflut und Arche Noah bis hin zum möglichen Ende der Welt diskutiert. Eingeschoben finden sich Kapitel, die verschiedene methodische Zugänge zur Erdgeschichte thematisieren: vergleichende Linguistik, Archäologie, Geomorphologie, Fossilienkunde, Meteorologie und Magnetismus. In prägnanter Kürze gelingt es Poole somit, einen breiten Überblick über Ideen, Probleme und Debatten zur Erdgeschichte zu geben.
Ein großes Verdienst liegt zum Einen in dieser Zusammenschau von Themen, die sonst kaum unter gemeinsamem Fokus betrachtet werden. Das allein ist schon ein sehr nützlicher Überblick, wie man ihn selten in so kondensierter Form bekommt. Dann ist das Reizvolle an dieser Arbeit weniger die Hauptthese - denn "the enduring presence of the Bible in the earlier phases of British institutional science" (171) ist als These schon längere Zeit keine neue Einsicht mehr und ist in so allgemeiner Formulierung auch wenig aussagekräftig. Die Durchführung aber macht die Arbeit interessant: In der Gliederung nach biblischer Chronologie wird eine ungewohnte Perspektive auf die Debatten eingenommen, die damit in neuem Licht erscheinen. Und auch die Auswahl von Texten, die in und um die Royal Society entstanden sind, historisiert die Naturforschung der Frühen Neuzeit und der Royal Society insbesondere. Denn deren Tätigkeiten wurden bisher vor allem mit empirischer, experimenteller Forschung verbunden, sehen sich nun aber stark inspiriert von antiken Autoren und Bibelexegese. Poole konfrontiert somit das auch in der Forschung oft tradierte Eigenbild der Royal Society - sinnbildlich im Motto "nullius in verba" - mit anderen Kontexten.
Eine weitere Stärke Pooles ist die bei aller Kürze oft erfreulich differenzierte Darstellung einiger Debatten. So etwa bei der Diskussion um die Natur der Fossilien (Kapitel 9). Poole verfolgt die Entstehung der verschiedenen Positionen (organischer Ursprung oder Spiel der Natur?) seit dem 16. Jahrhundert. Die These des organischen Ursprungs beruhe dann vor allem auf kontinentalen Autoritäten, und in deren Rezeption habe sich die Position der einzelnen Gelehrten mitunter mehrfach geändert. Im Ergebnis habe sich als "neue" Ansicht die traditionelle durchgesetzt, dass Fossilien Spiele der Natur seien; die These des organischen Ursprungs habe nun als ältere Position gegolten. In solchen Passagen merkt man die Lust des Autors, allzu bekannte historiografische Denkmuster und ideengeschichtliche Kontinuitäten zu hinterfragen. So zeigt Poole auf, dass viele Diskussionen um die Erdgeschichte schon durch Schulausgaben von Aristoteles, Ovid, Plinius, Seneca oder Lucretius vorbereitet sind (zum Beispiel 98). Mit dieser Beleuchtung des Hintergrunds der Debatten, des Denkraumes der Protagonisten, wird die klassische Ideengeschichte weit geöffnet - man bedauert nur, dass Poole hier sehr knapp argumentiert.
Allgemein bringt die Anlage des Buches, auf knappem Raum eine Vielzahl an Aspekten verständlich zu schildern, einige Nachteile mit sich. Die ohnehin wenigen Fußnoten sind sehr kurz gehalten. Auch der Text selbst bietet keinen Überblick über die durchaus vorhandene Forschungsdiskussion, was der Argumentation des Buches gut getan hätte. So ist die These spannend - wenn auch nicht unbekannt [1] - dass zum Beispiel Hooke die Bibel nicht mehr als Ausgangspunkt, sondern als Argument benutzt habe (109f.). Die im Schlusskapitel angeschnittene Diskussion zum Verhältnis von Wissenschaft und Religion hingegen wird solchen Argumenten nicht gerecht. Stattdessen scheint sich bei Poole die Tendenz durchzusetzen, die Urteile der jeweiligen Kritiker seiner Protagonisten zu übernehmen und deren Argumente als "dangerous" (58) einzustufen, als "extremely heterodox" (109) gar. Damit wird letztlich doch wieder eine klare Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Religion vorgenommen. Poole selbst bietet zumindest implizit die gegenläufige These an, die viel interessanter erscheint: die Geburt der Wissenschaft aus der christlichen Apologetik. Auch die Thesenumkehr zur Wissenschaftlichen Revolution löst sich am Ende des Buches wieder auf, indem Poole den Einschnitt nach 1700 betont, als sich Wissenschaft von Religion gelöst habe (176). Diese These wird ebenso wenig belegt wie diejenige der zunehmenden Bedeutung institutioneller Strukturen (Journale, Archive, Versammlungen der Royal Society, Laborberichte etc., 172).
Allgemein gewinnt man den Eindruck, dass hier ein Buch zu schnell fertig werden sollte. Die letzten Kapitel wirken im Vergleich zu den sorgfältig argumentierenden ersten Kapiteln merkwürdig unverbunden, ja fragmentarisch. Dabei sind der Ansatz und die Problemstellungen sehr vielversprechend und verdienen, weiter verfolgt zu werden. Und insgesamt bleibt dieses Buch eine gute Einführung in den breiten Diskussionsstand um die Erdgeschichte am Ende des 17. Jahrhunderts. Auch wenn Pooles Buch die größeren Spezialstudien [2] nicht ersetzen kann, eröffnet es mit seinem spezifischen Fokus neue Perspektiven und bietet einen konzisen Überblick über miteinander verwobene Problemstellungen in der frühen Naturforschung zur Erdgeschichte.
Anmerkungen:
[1] Rhoda Rappaport: When Geologists were Historians, 1665-1750, Ithaca 1997, 82.
[2] Roy Porter: The Making of Geology. Earth Science in Britain 1660-1815, Cambridge 1977; Paolo Rossi: The Dark Abyss of Time. The History of the Earth and the History of Nations from Hooke to Vico, Chicago 1987.
Sebastian Kühn