Friedrich Bauer / Enrico Seewald: Bruno Kreisky in Ost-Berlin 1978. Ein Besuch der besonderen Art (= Bruno Kreisky International Studies; Bd. 7), Innsbruck: StudienVerlag 2011, 126 S., ISBN 978-3-7065-5014-7, EUR 19,50
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Am 22. Januar 2011 wäre der frühere österreichische Außenminister und Bundeskanzler Bruno Kreisky 100 Jahre alt geworden. Rund um dieses Jubiläum erinnerten in Österreich zahlreiche Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen an den international wohl bekanntesten Politiker des Landes. In der Programmreihe "100 Jahre Kreisky" fanden Ausstellungen und Buchpräsentationen, Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen und Zeitzeugengespräche statt. [1] Dabei wurde auf Kreiskys internationale Aktivitäten in der Entspannungs- und Nahostpolitik ebenso zurückgeblickt wie auf seine innenpolitischen Reformen - mitunter nicht frei von Nostalgie.
Auch der hier vorzustellende Band wurde anlässlich des Kreisky-Jahres veröffentlicht. Unter den Neuerscheinungen fällt er vor allem durch seine Themenwahl auf. Denn der Band beschäftigt sich mit einem Aspekt der Kreiskyschen Außenpolitik, der in der bisherigen Forschung erst wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: den österreichischen Beziehungen zur DDR. [2] Das Buch nimmt sich dieses Desiderates an und konzentriert sich dabei auf ein konkretes Ereignis. Im Zentrum der Betrachtung stehen jene drei Tage, die der österreichische Bundeskanzler im Frühjahr 1978 während eines Staatsbesuches in Ost-Berlin verbrachte.
Thematisch betritt das Buch somit Neuland. Es ist das Ergebnis der Zusammenarbeit eines Zeitzeugen und eines Politikwissenschaftlers. Friedrich Bauer war nach der Anerkennung der DDR der erste österreichische Botschafter in Ost-Berlin. Später wurde er Botschafter in Bonn - deutsch-deutsche Erfahrungen, über die der Diplomat bereits vor einigen Jahren in seinem Buch "Botschafter in zwei deutschen Staaten" berichtet hat. [3] Enrico Seewalds Zugang zur Diplomatiegeschichte ist dagegen ein wissenschaftlicher. Er arbeitet im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin zum diplomatischen Corps in der DDR. Für das Buch unternahm er ausgiebige Recherchen in Wiener und Berliner Archiven. Beide Autoren führten zudem Gespräche mit Zeitzeugen, darunter mit Journalisten wie Hanni Konnitzer und Fritz Pleitgen, die den Staatsbesuch als Korrespondenten begleiteten.
Aus der Zusammenarbeit der beiden Autoren ist eine gut lesbare, bisweilen dank anekdotischer Episoden sogar unterhaltsame Darstellung des Staatsbesuchs entstanden. Diese ist kompakt - einschließlich aller Anhänge umfasst das Buch nicht mehr als 126 Seiten. Davon ist der größte Teil dem eigentlichen Besuch gewidmet, dessen Ablauf detailliert geschildert wird. Vorangestellt ist dem eine allgemeine Einführung, die neben einer biographischen Skizze zu Kreisky auch die wichtigsten Stationen in den österreichisch-ostdeutschen Beziehungen umreißt.
Diese Kontextualisierung ist wichtig, um Kreiskys Besuch in Ost-Berlin in die größeren Entwicklungslinien der österreichischen Außenpolitik einordnen zu können. Nach dem Staatsvertrag vom Mai 1955 und dem Bundesverfassungsgesetz vom Oktober desselben Jahres war Österreich ein neutraler Staat geworden - wenngleich das Land diese Neutralität nie als eine ideologische verstanden wissen wollte. Kreisky versuchte durch eine "aktive" Gestaltung der Neutralitätspolitik die Position Österreichs in den internationalen Beziehungen zu festigen. Dazu gehörte auch eine engagierte "Nachbarschaftspolitik", die sich begrifflich von der bundesdeutschen "Ostpolitik" absetzte. Kreiskys erklärtes Ziel war es, der Vorstellung vom monolithischen "Ostblock" eine Politik der individuellen bilateralen Beziehungen entgegenzustellen.
Der DDR schenkte Kreisky dabei zunächst keine besondere Aufmerksamkeit. Die früheren Staaten der Donaumonarchie waren dem Österreicher, dessen Familie böhmisch-mährische Wurzeln hatte, schon allein biographisch näher. Der Vertiefung der bilateralen Beziehungen zur DDR waren zudem vor dem Grundlagenvertrag vom Dezember 1972 klare Grenzen gesetzt: Die Beziehungen zur BRD hatten hier unzweifelhaft Priorität. Dennoch kommt eine umfassende Geschichtsschreibung zur österreichischen Neutralität an der Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen Wien und Ost-Berlin nicht vorbei. Das zeigt sich an Kreiskys Staatsbesuch besonders deutlich. Mit dem Besuch baute er das Markenzeichen "aktive Neutralitätspolitik" weiter aus: Er war der erste westliche Regierungschef, welcher der DDR einen Staatsbesuch abstattete.
Während diese Kontextualisierung im Buch recht knapp ausfällt, werden der eigentliche Besuch und dessen organisatorische Vorbereitung detailliert und atmosphärisch dicht geschildert. Die Erinnerungen Bauers, damals Leiter der Ostabteilung im österreichischen Außenministerium, machen für den Leser das plastisch, was sich in anderen Studien oft nur recht diffus hinter dem Begriff "Besuchsdiplomatie" erahnen lässt. Sehr anschaulich werden die Persönlichkeit, der Tonfall und der politische Stil des österreichischen Bundeskanzlers herausgearbeitet - etwa wenn geschildert wird, mit welcher Irritation er auf den militärischen Empfang am Flughafen reagierte oder mit welcher Vehemenz er sich für die Interessen der mitreisenden westlichen Journalisten einsetzte.
Ein weiterer Verdienst des Bandes liegt in dem ausgiebigen Dokumentationsteil im Anhang. Die Autoren haben darin unterschiedliche Quellen zusammengestellt - Fotos vom Staatsbesuch, zeitgenössische Zeitungsberichte, Faksimiles von Akten aus Ost und West. Dieses Quellenmaterial ist eine gelungene Ergänzung zum Textteil.
So fruchtbar sich die Zusammenarbeit von Zeitzeugen und Politikwissenschaftler in diesem Buch erweist, so bringt sie doch auch einige Nachteile mit sich. Das Buch ist, und das verstecken die Autoren nicht, aus Sympathie zu Kreisky geschrieben. Dies ist vermutlich in erster Linie auf Bauer zurückzuführen, der über viele Jahre hinweg eng mit Kreisky zusammenarbeitete. Die positive Schilderung des Bundeskanzlers geht manchmal etwas zu weit, etwa wenn es über ihn und seinen deutschen Amtskollegen Helmut Schmidt heißt, sie seien "eng befreundet" (44) gewesen. Irritierend ist auch, dass Bauer sowohl als Autor des Buches aufscheint als auch gleichzeitig in dritter Person im Text vorkommt. Hier wäre es sinnvoll gewesen, die einzelnen Kapitel je einem Autor zuzuordnen, um für den Leser ersichtlich zu machen, was aus der Perspektive des Zeitzeugen und was aus jener des Wissenschaftlers geschrieben ist. Zusammen mit dem fehlenden Literaturverzeichnis erschwert dies leider die wissenschaftliche Zitierbarkeit des ansonsten sehr nützlichen und lesenswerten Bandes.
Das Buch ist die erste, auf umfassenden Archivrecherchen basierende Beschäftigung mit Kreiskys Staatsbesuch in der DDR und damit für jeden lesenswert, der sich für die Geschichte der österreichischen Außenpolitik in der Zweiten Republik interessiert. Einige Fragen bleiben darin leider offen - so wüsste man beispielsweise gerne mehr über Kreiskys Interventionsschreiben für politische Gefangene in der DDR, ein Thema, das der Band nur kurz streift. Doch sprechen diese offenen Fragen auch für das Buch: Sie zeigen, was für ein interessantes Thema hier noch in den Anfängen der Forschung ist und machen gespannt auf weitere Studien in diesem Bereich.
Anmerkungen:
[1] Einen Überblick zu den Veranstaltungen des Kreiskyjahres bietet die von der Bundesgeschäftsstelle der SPÖ betreute Website http://www.kreisky100.at.
[2] Zum Forschungsstand siehe: Maximilian Graf: Austria and the German Democratic Republic 1949-1972. Diplomatic and Political Contacts in the Period of Non-Recognition, in: From the Austrian Empire to Communist East Central Europe (Europa Orientalis 10), hg. von Arnold Suppan / Maximilian Graf, Wien 2010, 151-177.
[3] Friedrich Bauer: Botschafter in zwei deutschen Staaten. Die DDR zwischen Anerkennung und Auflösung (1973-1990), Wien 2006.
Elisabeth Röhrlich