Andrea Rzihacek / Renate Spreitzer (Hgg.): Philipp von Schwaben. Beiträge der internationalen Tagung anläßlich seines 800. Todestages, Wien, 29. bis 30. Mai 2008 (= Forschungen zur Geschichte des Mittelalters; Bd. 19), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2010, VII + 338 S., ISBN 978-3-7001-6651-1, EUR 48,00
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Im kulturellen Gedächtnis sind Person und Herrschaft Philipps von Schwaben (1177-1208), des jüngsten Sohnes von Friedrich I. Barbarossa, lange Zeit nur mit dem sogenannten deutschen Thronstreit (1198-1214/18) konnotiert worden. Der vorliegende Band, der die Vorträge einer Wiener Tagung zum 800. Jahrestag der Ermordung Philipps im Jahre 2008 vereint, schlägt neue Wege ein und präsentiert ein bisher nicht gekanntes, differenziertes Bild des Staufers und seiner Zeit. Der Fokus liegt auf der Herrschaftspraxis und der Wirkungsweise königlicher Politik unter Betonung ihrer konsensualen und performativen Elemente. Darüber hinaus besticht der Band durch die konsequente Anwendung der Methode der historischen Komparatistik. Viele Autoren vergleichen die je eigenen herrscherlichen Vorstellungen, Motive und Ziele Philipps mit denen seiner königlichen Vorgänger, Friedrich Barbarossa und Heinrich VI., und seines Thronrivalen Otto IV. Diese Neuansätze verleihen Philipps Person und politischer Handlungsweise ungleich schärfere Konturen und seinem Königtum ein deutlich eigenständigeres Profil als bisher. [1]
Peter Csendes (73-84) spricht Philipp - im Vergleich zu dessen Bruder und Vorgänger Heinrich VI. - einen dezidierten Machtwillen ab, da er bis 1201 wenig zur wirksamen Repräsentation und Inszenierung seiner Herrschaft unternommen habe. Knut Görich (129-150) misst den von Philipp inszenierten Akten öffentlicher Herrschaftsrepräsentation, in deren Zentrum der honor des Königs und der Großen stand, eine bislang unterschätzte, erhebliche stabilisierende Funktion für sein Königtum und die Ordnung des Reiches zu. Den Konflikt zwischen Philipp und Otto IV. um Vorrang und reichsweite Anerkennung deutet Görich als Kampf um die symbolische Macht.
Neues Licht wirft der Band auch auf die Medien und Instrumente von Philipps königlicher Herrschaft: auf den Hof als soziales System, höchste Entscheidungs- und Legitimationsinstanz sowie Drehscheibe des Wissenstransfers und auf die herrscherlichen Privilegien als funktionale Zeugnisse rechtlich-materieller Transaktionen und Medien schriftlich-symbolischer Kommunikation. Georg Scheibelreiters (85-98) Suche nach der Wirkung des höfischen Elements in der Darstellung von Ereignissen (Festkrönungen!) und in der Charakterisierung von Personen erweist Philipp als "Abbild des höfischen Menschen reinster Prägung" (94). Theodor Nolte (99-111) widerlegt die von der jüngsten Forschung vertretenen Spätdatierungen (nach Sommer 1204) der prostaufischen Philipp-Strophen Walthers von der Vogelweide überzeugend. Ab 1201 sieht er die pro-staufischen Tendenzen Walters einer deutlichen Distanz zum Stauferkönig weichen.
Die Editorinnen der in Wien entstehenden künftigen MGH-Ausgabe der Urkunden Philipps bieten lehrreiche Einblicke in ihre Werkstatt. Die geplante Edition wird insgesamt 215 Urkunden und Deperdita (Andrea Rzihacek, 151-161) umfassen, darunter 161 Urkunden aus Philipps zehnjähriger Regierungszeit, von denen rund zwei Drittel Produkte von Philipps Kanzlei sind. Von Otto IV. sind im gleichen Zeitraum insgesamt nur 38 Urkunden überliefert. Brigitte Merta (163-176) untersucht, inwieweit Rang und Stellung des Empfängers und das Ausfertigungsniveau der Originalurkunden aus Philipps Königszeit miteinander in Beziehung stehen. Von den 161 echten Urkunden für 147 verschiedene Empfänger entfallen 75 Prozent auf geistliche Empfänger, insbesondere auf Zisterzienserklöster. Renate Spreitzer (179-191) zeigt am Beispiel der 25 Urkunden für weltliche und geistliche Empfänger im Nordosten des Reiches, mit welchen Zugeständnissen (Reichsgut) und Privilegien Philipp Anhänger zu gewinnen oder wieder stärker an sich zu binden suchte.
Die Durchsetzung und Bewahrung von Philipps Königtum, auf dessen rechtliche Begründung vor allem zeitgenössische Chronisten abhoben (Bernd Schütte, 113-128), deuten mehrere Beiträge des Bandes als eine primär politische Angelegenheit. Die Ordnung des Reiches drohte an den seit 1198 entstehenden und miteinander rivalisierenden Parteiungen der Reichsglieder zu zerbrechen. Ob Fürst oder Reichsministeriale, auf jedem einzelnen lastete der politische Druck, selbst eindeutig Partei zu ergreifen, das heißt gegebenenfalls auch die bisherige Partei zu wechseln. Tobias Weller (193-214) attestiert Philipps dynastischer Politik zwei vorrangige Ziele: Die Heiratsprojekte seiner Töchter und Nichten dienten allein dem politischen Zweck der fürstlichen Parteibindung oder der Rekonziliation (mit dem Papst beziehungsweise seinem Thronrivalen Otto IV.). Christian Friedl (215-225) führt den (wiederholten) Parteiwechsel mancher Fürsten nicht auf politischen Pragmatismus oder reines Machtkalkül zurück, sondern sieht ihn in einem zeitweilig nicht lösbaren Konflikt mit dem staufischen König begründet. Martin Wihoda (227-244) benennt die Voraussetzungen, Faktoren und Probleme, die die wechselhaften Beziehungen Otakars von Böhmen zum staufischen beziehungsweise welfischen König bestimmten. Bernd Ulrich Hucker (245-262) untermauert seine schon früher vorgetragene These mit neuen Argumenten: Zeitgenössische Dichtungen (Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, 'Der Nibelungen Not') hätten gezielt zu den politischen Ereignissen von 1201 bis 1208 Stellung bezogen. Dabei würden sie scharf die jeweilige Rolle der Reichsministerialen attackieren, die den als schwachen König apostrophierten Philipp dominierten. Christoph Egger (263-275) zeigt anhand von Beispielen aus dem Kölner Raum, wie sich meist unbekannte Geistliche einschlägige päpstliche Briefe zu den aktuellen Geschehnissen des Thronstreits zu beschaffen wussten und diese zu umfangreichen Kompendien zusammenstellten. Steffen Krieb (277-291) vergleicht die im deutschen Reich bekannten Handlungsmuster und während des Thronstreits entwickelten Initiativen der Konfliktlösung mit entsprechenden - oft nur partiell geeigneten - Verfahren zur Beilegung von Thronstreitigkeiten in Dänemark (Anrufung eines Schiedsrichters; faktische Teilung des Reiches) und Ungarn (Entscheidung durch kaiserliche Intervention beziehungsweise mit Hilfe juristischer Kategorien).
Weitere Beiträge des Bandes thematisieren Philipps Bild in der Historiografie des 19. und 20. Jahrhunderts (Rudolf Schieffer, 1-6), seine Ermordung am 21. Juni 1208 in Bamberg (Andreas Bihrer, 9-24), die Reaktionen Papst Innozenz' III. sowie die straf- und prozessrechtlichen Verfahren gegen die Königsmörder und ihre mutmaßlichen Helfer (Werner Maleczek, 25-58), die von Friedrich II. veranlasste Umbettung von Philipps Leichnam nach Speyer in die Grablege der römisch-deutschen Könige (Olaf Rader, 59-69) [2], Ende Dezember 1213. Ein detailliertes Orts- und Personenregister rundet den überaus instruktiven Band ab, der zu weiteren vergleichenden Forschungen (insbesondere mit Otto IV.) [3] einlädt. Die hier angemahnte Vorab-Publikation der Texte der künftigen MGH-Edition der Urkunden Philipps von Schwaben im Internet böte künftiger Forschung ein trag- und ausbaufähiges Fundament, um zentrale Aspekte der Umbruchzeit um 1200 weiter zu vertiefen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Hubertus Seibert: Rezension zu Peter Csendes: Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 .
[2] Zu Philipps Bleisarg und den in seinem Grab gefundenen wertvollen Seiden- und Goldtextilien vgl. jetzt die Beiträge im Begleitband zur gleichnamigen Sonderausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer, vom 10. April bis 30. Oktober 2011. Des Kaisers letzte Kleider. Neue Forschungen zu den organischen Funden aus den Herrschergräbern im Dom zu Speyer, hg. vom Historischen Museum der Pfalz Speyer, München 2011, 196-211 u. 224-226.
[3] Leider haben die zahlreichen neuen Erkenntnisse zu Person und Herrschaft Ottos IV., die die Niedersächsische Landesausstellung "Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum", vom 8. August bis 8. November 2009 im Braunschweigischen Landesmuseum, und der gleichnamige Katalog erzielt haben, in den Beiträgen dieses Bandes keine Berücksichtigung mehr gefunden.
Hubertus Seibert