Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.): Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, 327 S., ISBN 978-3-422-07016-5, EUR 34,90
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VIAGGIO IN ITALIA. KÜNSTLER AUF REISEN 1770-1880 lautet der Titel der großen Ausstellung, die vom 11. September bis 28. November 2010 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen war. Als Kuratorin fungierte Astrid Reuter, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kupferstichkabinett der Kunsthalle unter Mitarbeit von Kathrin Wranek. Der Ausstellungskatalog entstand unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute, die für Essays und Aufsätze zum Ausstellungsthema gewonnen werden konnten. Mit der Schau VIAGGIO IN ITALIA folgt auch die Sammlung in Karlsruhe dem seit mehreren Jahren äußerst beliebten und publikumswirksamen Trend zur künstlerischen Interpretation und Rezeption Italiens. Erfolgreich kam dieses Genre bereits im Landesmuseum Münster (Orte der Sehnsucht) 2008, in der Akademie der bildenden Künste in Wien (Niederländer und Italien) 2008, in der Neuen Pinakothek München (Kennst Du das Land. Italienbilder der Goethezeit [1]) 2005 sowie im Jahr 2000 in der Grafischen Sammlung Albertina Wien (Italienische Reisen) zur Umsetzung.
Anlässlich der Ausstellung in Karlsruhe erschien ein sehr kompakter, rund 330 Seiten starker Katalog, der auf den ersten Blick durch ein äußerst zurückhaltendes Cover und schlichte Titelgestaltung wenig verspricht. Der Leser wird dafür bereits beim ersten raschen Durchblättern mit einer reichen, durchweg farbigen Bebilderung entschädigt.
Die Ausstellung folgt einem nun auch im deutschsprachigen Raum aufgegriffenen, in der anglo-französischen Museumslandschaft sehr verbreiteten Ausstellungsmodell, dem Publikum eine Schau anzubieten, die sich ausschließlich anhand von Objekten aus dem ureigenen Museumsbestand erschließt und dabei auf kostspielige Fremdleihgaben verzichtet. Der Kuratorin Reuter gelang es, aus dem reichen Sammlungsbestand der Kunsthalle Karlsruhe einen spannenden Bogen der Italienrezeption innerhalb eines klar festgelegten Zeitkorsetts, und zwar von der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert bis in die Hochzeit des industriellen Zeitalters im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zu spannen.
Der Aufbau des Kataloges gliedert sich in die traditionelle Danksagung durch die Museumsleitung von Direktorin Pia Müller-Tamm (6-15). Müller-Tamm liefert unter der Überschrift "Chronotop" Italien einen knappen Überblick zur bisherigen Forschungslage zum Thema der Italienreise, fokussiert dabei speziell das Phänomen und die Wahrnehmung der Stadt Rom um 1800 mit einem konkreten Bezug zur Staatlichen Kunstsammlung Karlsruhe.
Es folgt ein erster Block im Katalog, der sich aus vier erläuternden Aufsätzen zusammensetzt, die als eigenständige Essays das eigentliche Ausstellungsthema unter verschiedenen Gesichtspunkten aufgreifen und als erweiterndes und ergänzendes Rahmenwerk zu verstehen sind. Astrid Reuter eröffnet unter der Überschrift Die Bedeutung Italiens für die Karlsruher Kunsthalle und ihre Sammlung (16-25). Sie liefert hierbei einen geschichtlichen Abriss über die Entstehung der Karlsruher Sammlung und streicht dabei die grundlegende Idee des Hauses bei seiner Gründung als zentraler Ort der großherzoglich-badischen Kunstsammlungen heraus. Ulrich Maximilian Schumann gewährt unter dem Titel Eingebildete Bauten - Italienerfahrung und Bilderfindung von Architekten zwischen Aufklärung und Romantik einen fokussierten Blick auf die Architektur- und Dekorationsgeschichte des Gebäudes der Staatlichen Kunsthalle (26-39). Hierbei wird nochmals auf die Intention des Baues und die damit bezweckte Absicht des Auftraggebers, Großherzog Leopolds von Baden, verwiesen. Zu Recht wird der immanente baugeschichtliche Einfluss Italiens, im speziellen der klassisch-römischen Formen, auf die Architektur in Deutschen Landen im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts aufgezeigt und auf die bekannten Rezipienten, wie Karl Friedrich Schinkel in Berlin und Leo von Klenze in München verwiesen. Steffi Roettgen geht im Aufsatz Natur und Kultur Italiens in der Wahrnehmung der "nordischen Wanderer" auf die bereits häufig in der Fachliteratur zur Italienreise bearbeitete Wahrnehmung von Natur, Landschaft, Kultur und Licht durch Besucher vor und nach 1800 ein (40-57). Die Abhandlung ist präzise und geschickt auf die Zeitspanne zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts bis in die späten 1880er-Jahre zugeschnitten, die auch für die Ausstellung gilt. Erfreulicherweise widmet sich Roettgen einem gerne vernachlässigten "Italienaspekt" im beginnenden frühen Tourismuszeitalter der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier kam es durch die Industrialisierung und durch die gängige Verwendung der Eisenbahn als Transportmittel zu einem geänderten Reiseverhalten. Roettgen geht dabei detailliert auf die gängige, populäre und übliche Reiseliteratur Ende des 18. und 19. Jahrhunderts ein. Richtigerweise wird betont, dass "Klassiker" zum Italien-Thema von der Feder Johann Wolfgang von Goethes oder eines Gregorovius das Italienbild entscheidend bereits vor dem Besuch der Apenninenhalbinsel prägten. Lediglich die Begriffe "Nordeuropäer" und "nordische Wanderer" erscheinen unklar, eine grundlegende Erläuterung dazu vermisst man, eine geografische Zuordnung bleibt offen - werden tatsächlich Reisende Nordeuropas oder jegliche Interessenten nördlich der Alpen damit skizziert. Werner Busch schließt diesen Themenblock mit dem Aufsatz Unklassische Italienreisen als willkommene Ergänzung und Erweiterung des Abschnitts von Roettgen ab (58-72).
Der eigentliche Katalogteil ist nicht traditionell aber sehr geschickt aufgebaut. Es werden die ausgewählten Exponate der Kunsthalle nach bestimmten Kriterien in 11 Rubriken sortiert und jedem gewählten Abschnitt nochmals ein ausführliches und erläuterndes Essay vorangestellt, in den die Ausstellungsstücke eingebettet sind. So reicht das Themenspektrum von der Französischen Tradition der Romreise (74-85), zur Landschaftsmalerei in Italien um 1800 (86-109), über Druckgraphische Italienansichten (110-129) und Der badischen Architekturschule im Spiegel ihrer Italienerfahrung (130-151), hin zu Bilderzählungen der Nazarener (152-171), weiter zu Naturstudien der 1820er und 1830er Jahre (172-199) und zu Italienische Lebenslust (200-219), beschreibt Johann Wilhelm Schirmers italienische Impulse (220-235), skizziert das Modell Nanna Rissi (236-243), liefert Werke von Böcklin, Kanoldt, Thoma (244-263) und schließt mit Alexander Kanoldt, ein moderner Deutschrömer den Bogen (264-273).
Der Ausstellungskatalog kann in Folge dieses geschickt gewählten Konzepts durchaus den Anspruch eines Bestandskatalogs zu den Sammlungen der Karlsruher Kunsthalle unter bestimmten Sachthemen beanspruchen.
Die in der Ausstellung gezeigten Objekte werden anhand ganzseitiger Farbabbildungen dem Leser präsentiert, die in einer knappen Bildunterschrift Informationen zu Künstlernamen, Titel und Datierung liefern. Hilfreich ist dabei ein dem Katalog als Annex beigefügter Anhang Ausgestellte Werke, wo diese mitsamt ihrer Ausstellungsnummer, der Nennung des Künstlers, dem Werktitel, der Datierung, den technischen Daten und Massen, der Inventarnummer sowie einer übersichtlichen, knappen Literaturangabe im Kurzzitat aufgelistet sind (274-287). Der Ausstellungskatalog verfügt weiterhin über einen Abschnitt Biographien mit kurzen und kompakten Künstlerangaben jener Persönlichkeiten, deren Werke in der Schau präsentiert wurden. Auch ein ausführliches Literaturregister ist vorhanden und schlüssig gestaltet (288-324).
Viaggio in Italia. Künstler auf Reisen 1770-1880 ist als schön gestalteter Katalog zu beurteilen, der durch großzügiges Bildmaterial in guter Qualität punktet. Die präsentierten Exponate gewinnen durch die zurückgenommene Schriftlichkeit und den reduzierten fachlichen Überbau und ermöglichen dem Leser, die Ausstellungsstücke konzentriert auf sich wirken zu lassen. Die fachlich gediegenen und gut lesbaren Aufsätze und Essays gestatten ein intensiveres Eindringen in die Thematik der Italienreise in der Zeitspanne von 1800 bis ins späte 19. Jahrhundert.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu die Besprechung von Ekaterini Kepetzis in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/03/8631.html.
Thomas Kuster