Rezension über:

Oliver Schipp: Die Adoptivkaiser. Nerva, Trajan, Hadrian, Antonius Pius, Mark Aurel, Lucius Verus und Commodus (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, VII + 136 S., ISBN 978-3-534-21724-3, EUR 14,90
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Rezension von:
Stefan Priwitzer-Greiner
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Priwitzer-Greiner: Rezension von: Oliver Schipp: Die Adoptivkaiser. Nerva, Trajan, Hadrian, Antonius Pius, Mark Aurel, Lucius Verus und Commodus, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/19823.html


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Oliver Schipp: Die Adoptivkaiser

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Die Reihe "Geschichte kompakt" der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft ist ein Versuch, zumindest in Hinblick auf die Zielgruppe der Studierenden und Prüfungskandidaten den Erfolg der "Beck Wissen"-Bändchen zu kopieren. Beiden Reihen ist das Problem gemein, mit einer begrenzten Seitenzahl auskommen zu müssen. Solange das Thema eng gefasst ist, stellt dies kein Problem dar, aber nun hat Oliver Schipp einen Band zu den Adoptivkaisern, von Nerva bis Commodus (96-192 n.Chr.), vorgelegt. Allen sieben Kaisern dieses Zeitraumes gerecht zu werden, ist angesichts von knapp 130 Seiten schwer möglich, zumal auch strukturelle Themen behandelt werden.

Diese 130 Seiten sind zudem nicht sonderlich überlegt genutzt. Nach einem kurzen Überblick zu Quellen und - enttäuschend - zur Forschungsgeschichte [1] geht Schipp nämlich erst einmal ausführlich auf Entstehung und Grundlagen des Prinzipats ein (10-14). In anderen Kapiteln kehrt Schipp gleichfalls gerne zu den Wurzen der behandelten Themen zurück (z.B. Gesellschaftsordnung (84-95) und Wirtschaft (96-109)) oder er belegt mit Quellen aus der Zeit nach den Adoptivkaisern [2], so dass viele Partien an eine Einführung in das Studium der Alten Geschichte bzw. der römischen Kaiserzeit erinnern, das spezielle Thema des Bandes gerät dabei in den Hintergrund. Eine gewisse Vorkenntnis bzw. die Fähigkeit, sich Unbekanntes selbstständig zu erschließen, darf vom Zielpublikum wohl erwartet werden.

Schon im ersten Kapitel zum eigentlichen Thema ("Expansion und Stagnation" (19-45)) lässt sich ein weiteres, noch gravierenderes Problem erkennen: Das äußerst knappe Literaturverzeichnis, das zudem nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt worden zu sein scheint. Denn wenn es um die Frage geht, wer die treibenden Kräfte hinter der Adoption Traians durch Nerva waren (21), müssen die Forschungen von W. Eck erwähnt werden. [3] Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die neuere Forschung, selbst wenn der Titel im Literaturverzeichnis auftaucht, unzureichend rezipiert wurde. [4] Wichtige Fragen, wie die Beweggründe für die Erhebung des Lucius Verus zum Mitkaiser durch Marcus Aurelius, werden kommentarlos übergangen: "Zum ersten Mal hatte das Imperium zwei formal gleichberechtigte Augusti" (61).

Sinnentstellungen und Ungenauigkeiten [5], Personen, die erwähnt, aber erst später erläutert werden [6]: In dieser Form ist die Darstellung keine Hilfe für Studenten.

Die bereits entstandenen Magenschmerzen werden durch peinliche Lektoratsfehler verstärkt: Der gröbste findet sich im grau abgesetzten Quellenkasten zum Regenwunder im Quadenland, in dem zunächst Cassius Dio fälschlicherweise in indirekter Rede wiedergegeben wird, um dann übergangslos in den Originaltext überzugehen (69). [7]

Dem Kapitel "Kunst und Kultur" (110-126) fehlen sicherlich aus Kostengründen jegliche Abbildungen oder Pläne. Wenn aber hier und an anderen Stellen derart detailliert auf archäologische Quellen eingegangen wird, muss entweder der Verlag in den sauren Apfel beißen [8] oder der Autor sein Konzept ändern, worauf dann Herausgeber oder Lektorat drängen müssen. Als Minimum wäre zumindest die Angabe der RIC-Nummern zu erwarten gewesen, wenn Münzen besprochen werden (6; 22 u.ö.), sowie ein Stammbaum, um die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse nachvollziehen zu können. Dann kann es auch nicht zu Aussagen wie dieser kommen: "Hadrian etwa war Trajans nächster männlicher Verwandter. Bei den anderen Adoptionen scheint es tatsächlich keinerlei Verwandtschaftsbeziehungen zu geben" (17). Immerhin war Antoninus Pius angeheirateter Onkel des Marcus Aurelius; diese entscheidende Verbindung wird auch an anderer Stelle unterschlagen (53).

Am Ende steht der Rezensent vor einigen ungelösten Fragen: Warum wurde Oliver Schipp, der bisher mit Publikationen zur Spätantike auf sich aufmerksam gemacht hat, als Autor gewonnen? Findet der Herausgeber Kai Brodersen neben seinen zahlreichen eigenen Publikationen und sonstigen Aktivitäten [9] noch Zeit, Manuskripte kritisch durchzulesen? Wirft das Lektorat der WGB überhaupt noch einen Blick in Manuskripte oder wird aus Kostengründen alles ungesehen in den Druck gegeben? Für die Zukunft der Reihe darf über diese Probleme gerne einmal nachgedacht werden. Denn dass es besser geht, zeigen ja einige sehr gute Bände.


Anmerkungen:

[1] Zitat (8): "Die ausführlichste und präziseste deutschsprachige Darstellung der Adoptivkaiserzeit hat Karl Christ im Rahmen seines Werkes Geschichte der römischen Kaiserzeit vorgelegt." Oder der Verweis auf die eher kompilierende Arbeit von Susanne, nicht wie angegeben Sabine (9), Mortensen (Hadrian. Eine Deutungsgeschichte, Bonn 2004).

[2] Hier auch falsch die Überschrift "[...] Einrichtung eines Markttages" (106): Es geht um drei Markttage.

[3] Werner Eck: An Emperor is Made. Senatorial Politics and Trajan's Adoption by Nerva in 97, in: Philosophy and Power in the Graeco-Roman World: Essays in Honour of Miriam Griffin, hrsg. v. Gillian Clark / Tessa Rajak, Oxford 2002, 211-226.

[4] Einige Beispiele: Zu den Alimentarstiftungen (u.a. 30f.) nur aus der deutschsprachigen Forschung: L. Wierschowski: Kaiserliche Wirtschaftspolitik und das Alimentarprogramm für Italien, Laverna 10 (1999), 38-59; G. Seelentag: Der Kaiser als Fürsorger: die italische Alimentarinstitution, Historia 57 (2008), 208-241. Der Tempel des Traiansforum kann eindeutig nicht nördlich der Säule liegen (vgl. bereits R. Meneghini: L'architettura del Foro di Traiano attraverso i ritrovamenti archeologici più recenti, MDAI(R) 105 (1998), 127-148); dies könnte aber bedeuten, dass die Traianssäule eben nicht innerhalb des Pomerium lag (dagegen Schipp (34 und 110f.)). Auch die Beurteilung von Faustina minor (androzentrisch und misogyn: "Sie war eine junge Frau und wurde oft allein gelassen." (55)) und Commodus hängt noch zu sehr an der negativen Darstellung in den literarischen Quellen. Überholt ist das Urteil über den Beginn des Konfliktes mit den Parthern unter Marcus Aurelius ("Auf einen solchen Vorstoß war man nicht vorbereitet" (62)) seit Peter Weiss: Militärdiplome und Reichsgeschichte: Der Konsulat des L. Neratius Proculus und die Vorgeschichte des Partherkriegs unter Marc Aurel und Lucius Verus, in: Herrschen und Verwalten: der Alltag der römischen Administration in der Hohen Kaiserzeit, hrsg. v. Rudolf Haensch / Johannes Heinrichs, Köln / Wien 2007, 160-172.

[5] "Die Senatoren in Rom verweigerten Hadrian zunächst auch die Vergöttlichung. Erst als der Nachfolger Antoninus Pius drohte, er wolle nicht mehr Kaiser sein, [...] gaben sie ihre Einwilligung zur Konsekration Hadrians" (44). Welche Herrschaftslegitimation hätte Antoninus Pius denn gehabt, wenn sein Adoptivvater im schlimmsten Fall der damnatio memoriae verfallen wäre? Fehler wie in der Zeittabelle zum Kapitel "Blüte und Frieden" (46): Hier stirbt Faustina minor im Jahr 167, ein paar Seiten später dann im Jahr 176 (55; 71), richtig ist zudem das Jahr 175 (vgl. Maria Laura Astarita: Avidio Cassio, Rom 1983, 137f.; ihr folgend Antony R. Birley: Marcus Aurelius. A Biography, London 21987 (zahlreiche Ndr.), 191).

[6] Aelius Caesar und Lucius Verus (53).

[7] Vgl. auch den Kasten zu "Cassius Dio über seine Zeit" (3), in dem am Ende noch ein Satz steht, der in den Fließtext gehört.

[8] Dass diese Möglichkeit besteht, beweist ja der Band "Caesar und Pompeius" von Ernst Baltrusch.

[9] Siehe http://www.uni-erfurt.de/?id=4623.

Stefan Priwitzer-Greiner