Margarethe Billerbeck / Christian Zubler (Bearb.): Stephani Byzantii Ethnica. Vol. II: Delta - Iota (= Corpus Fontium Historiae Byzantinae; Vol. XLIII/2), Berlin: De Gruyter 2011, XI + 310 S., ISBN 978-3-11-020346-2, EUR 128,00
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Otto Bardenhewer: Geschichte der altkirchlichen Literatur, 2. Aufl., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
Die neue Edition und deutsche Übersetzung der Ethnika des Stephanos von Byzanz im Rahmen des 'Corpus Fontium Historiae Byzantinae' schreitet voran. Nachdem Margarethe Billerbeck im Jahr 2006 den ersten Band mit ausführlicher Einleitung und Edition der Lemmata zu den Buchstaben A-Γ vorlegen konnte [1], ist im Jahr 2011 der hier anzuzeigende zweite Band erschienen (Δ-Ι). An den Editions- und Präsentationsprinzipien [2] hat sich im Vergleich zum ersten Band nichts geändert (mit Ausnahme der Einfügung einer Zeilenzählung in den kritischen Apparat zur Ermöglichung einer rascheren Orientierung). Hingegen wurde dem inschriftlichen Parallelbefund größere Aufmerksamkeit geschenkt; dieser ist auch in die "Addenda und Corrigenda zum 1. Band" (307-310) mit eingeflossen, in dem sich die Editoren u.a. mit Kritik, die in Rezensionen zum ersten Band geäußert wurde, sehr sachlich auseinandersetzen. Auf eine erneute ausführliche Einleitung wurde hingegen verzichtet. Die im ersten Band angekündigte Stellungnahme zum Milieu, in dem Stephanos zu verorten ist, zu seiner Arbeitsweise, den Quellen und insbesondere zum Verhältnis der ursprünglichen (nicht mehr erhaltenen) Fassung des Lexikons und der vorliegenden, gegenüber dem Originalwerk deutlich gekürzten Epitome wurde ausgelagert und soll zusammen mit weiteren Detailuntersuchungen nach Abschluss des Editionsprojektes in einer eigenständigen Monographie erfolgen.
Freilich bietet der 2. Band der Edition gerade zum letztgenannten Punkt wichtige Aufschlüsse, da für den Buchstaben Delta insgesamt 13 Lemmata nicht nur in der epitomierten Fassung überliefert sind, sondern sich zusätzlich in einer Handschrift aus dem 11. Jahrhundert (Parisinus Coislinianus 228 [Fragment S]) finden, die "den ursprünglichen oder, verglichen mit der Epitome, zumindest einen viel umfangreicheren Text" wiedergibt. [3] Ein Vergleich der beiden Fassungen der betreffenden Lemmata (139 Dymanes - 151 Dotion [68-123]) gibt einen Eindruck davon, "wieviel wertvolles Überlieferungsgut, gerade auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht, durch das Messer des Epitomators für immer verlorengegangen ist" (VII). Offenbar hat der Epitomator (Hermolaos aus Konstantinopel, 6. Jahrhundert?) vor allem Hand an die mythhistorischen Detailinformationen des Stephanos gelegt und sich eher an sprachlichen, etymologischen und grammatischen Fragen interessiert gezeigt. Dadurch sind nicht nur wichtige Nachrichten über die Geschichte von Städten, Landschaften und Völkern verloren gegangen, sondern auch zahlreiche Zitate aus früheren Autoren, deren Werke nicht überliefert sind. Insbesondere ein Blick auf die Einträge etwa zu Dyme (70-75), Dyrrhachion (78-85), Dodone (88-99), Dorion (102-111), Doros (112-117) und Dotion (118-123) bezeugen, wie reichhaltig das ursprünglich von Stephanos ausgebreitete (Zitaten-)Material gewesen sein muss.
Dennoch ermöglicht auch die Epitome noch interessante Aufschlüsse, namentlich zu den mythhistorischen Hintergründen von Stadtgründungen (so etwa zu Damaskos [8f.], Dardanos [12f.], Hekatesia [130f.], Ephyra [192f.], Zoster [206f.], Thasos [228f.], Ikonion [276f.]). Dabei fällt immer wieder auf, in welch starkem Maße mythische Berichte gegenüber solchen bevorzugt werden, die sich mit bekannten historischen Personen in Verbindung bringen lassen (seltene Ausnahmen, z.B. Ephesos [Lysimachos, 188-191], Thessalonike [Philipp II., 238f.]). Auch stößt man kaum auf Rückbezüge auf biblisches Material (s. aber das Lemma zu Zoara [204f.]). Vor diesem Hintergrund verwundert es dann kaum mehr, dass etwa im Lemma zu Helike (140f.) die völlige Zerstörung der Stadt durch Erdbeben und Tsunami im Jahr 373 v. Chr. keine Erwähnung findet. Immerhin wird auf die Umbenennung Antiocheias in Theoupolis durch Justinian im Jahr 528 hingewiesen (232f.), woraus sich ein terminus post quem für die Datierung der Ethnika ergibt. Die insbesondere im Kontext des 6. Jahrhunderts n.Chr. bemerkenswerte (aber durchaus nicht singuläre) Wahl der Schwerpunkte durch den Autor ermöglicht jedenfalls mannigfache Einblicke in das intellektuelle Milieu, in dem man Stephanos ansiedeln muss. Dieses ist im Übrigen durchaus nicht nur durch ein Interesse an topographischen, geographischen und grammatischen Fragen gekennzeichnet, sondern besaß offenbar einen viel weiteren Horizont. Dafür steht die Aufnahme von Lemmata, wie z.B. Demos (36f.), Druiden (66f.), Heliaia (212f.) oder auch Hemikynen ("Halbhunde", 216f.).
Bereits dieser kleine Einblick zeigt, wie wichtig die nun bereits großenteils vorliegende Edition der Stephanos-Epitome ist. Sie wird sich in Zukunft für all diejenigen, die sich näher mit der Geschichte des 6. Jahrhunderts beschäftigen, als unverzichtbar erweisen. Die Ethnika des Stephanos von Byzanz bieten weitaus mehr als lediglich einen Steinbruch für verstreute Sachinformationen.
Anmerkungen:
[1] M. Billerbeck (Ed.): Stephani Byzantii Ethnica, Volumen I: A-Γ, Berlin / New York 2006.
[2] Siehe dazu meine Rezension in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.3.2010]: http://www.sehepunkte.de/2010/03/12499.html
[3] Billerbeck (wie Anm. 1), 5*.
Mischa Meier