Osman Sacarcelik: Ṣukūk: An Innovative Islamic Finance Instrument. Historical and Theoretical Foundations, Present Application and Challenges Arising from Legal and Fiqh Implications (= Arbeitsmaterialien zum Orient; Bd. 23), 2011, 129 S., ISBN 978-3-89913-824-5, EUR 24,00
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Das Feld des Islamic Banking erfreut sich seit einigen Jahren in Wissenschaft und Publizistik einer hohen Aufmerksamkeit. Die internationale Finanzkrise im Herbst 2008 hat sicherlich dazu beigetragen, dass Finanzinstrumente nach islamischem Muster, die (zumindest vordergründig) eine enge Bindung an die Realwirtschaft haben, als Alternative zu hochspekulativen Finanzmarkttransaktionen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten. Dies führte dazu, dass sogar die vatikanische Zeitung "L'Osservatore Romano" den westlichen Banken in der Krise einen Blick auf die Regeln des Islamic Finance empfahl, wie in der hier zu besprechenden Studie erwähnt wird (16).
Thema des vorliegenden Buches ist ein relativ neues Instrument, das seit seiner "Erfindung" vor etwa 25 Jahren steigende Wachstumsraten verzeichnet: Der (oder die) ṣukūk (im Deutschen als Singular oder Plural gehandhabt, obwohl es sich eigentlich um einen arabischen Plural handelt). Dies sind handelbare Investmentzertifikate, die verbriefte Eigentumsanteile an dinglichem Vermögen, Nutzungsrechten oder Investitionskapital repräsentieren (57).
Ziel der Studie ist es, vor dem Hintergrund der Ursprünge und Entwicklungen des Islamic Finance zum Verständnis der Funktionsweise von ṣukūk beizutragen. Dabei soll untersucht werden, welche rechtlichen und regulatorischen Herausforderungen zu bewältigen sind, wenn ein Finanzinstrument, das aus dem islamischen Recht abgeleitet ist, im Kontext von modernem "westlich" geprägtem Recht (zu dem aktuell auch das Wirtschaftsrecht der meisten arabischen und islamischen Staaten gehört) sowie internationalen Kapitalmärkten angewandt werden soll. Als Referenzrahmen dient hierbei vor allem das deutsche Recht. Eine wichtige Frage ist auch, welche Rolle heutige Scharia-Gelehrte für die islamische Finanzwirtschaft spielen und wie Rechtsauslegung und -fortbildung in diesem Kontext geschehen (19-22).
Der Autor weist in seinem Vorwort darauf hin, dass der Großteil der vorhandenen Literatur zum Thema aus der Sicht von Praktikern geschrieben sei, also rechtliche, steuerliche und regulatorische Aspekte behandele; wissenschaftliche Studien, die die religiösen Grundsätze untersuchen, seien hingegen rar. Insofern sei ein Forschungsansatz, der beide Aspekte verbinde, sinnvoll (11 f.).
Im Kontrast der breiten Zielsetzung zu dem eher schmalen Umfang (knapp 100 Textseiten) wird schnell klar, dass die Analyse nicht in allen Unterpunkten sehr tiefgehend erfolgen kann - eine Tatsache, derer sich der Autor sehr wohl bewusst ist, wenn er betont, dass er nicht den Anspruch habe, für das ganze Spektrum an aufgeworfenen Fragen Antworten zu bieten, sondern vor allem zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema anregen möchte (12).
Nach Einleitung und Darstellung der wesentlichen Forschungsfragen gliedert sich der Hauptteil des Buches in sechs Kapitel. Zunächst wird die historische Entwicklung von Finanzinstrumenten (Kredite, Wechsel, Zahlungsanweisungen, verschiedene Formen der Gesellschaft) in der islamischen Welt beschrieben; dann geht der Autor kurz auf das Verhältnis zwischen islamischen Recht und wirtschaftlicher Praxis sowie auf die Entwicklung des Islamic Banking in der Moderne ein. Das (sehr kurze) zweite Kapitel sucht nach möglichen Definitionen von "Islamic Finance and Banking", vor allem in der Gesetzgebung einzelner Staaten, die rechtliche Rahmenbedingungen für Islambanken festgelegt haben (Bahrein, Emirate, Jordanien). Das einzige konkrete Merkmal, das hier eruiert werden kann, ist jedoch der Verzicht auf Zinsen; ansonsten rekurrieren alle zitierten Gesetzestexte auf "Prinzipien der Scharia" oder "Übereinstimmung mit islamischen Recht", ohne dass diese näher definiert werden.
Das dritte Kapitel stellt die Prinzipien dar, die gewöhnlich als grundlegend für das islamische Bankwesen angesehen werden. Die wichtigste Rolle spielt hier das Verbot des ribā (ungerechtfertigte Bereicherung), dessen Interpretation sowohl in historischer als auch in moderner Perspektive konzise beschrieben wird, mit einem kurzen Exkurs zur Zinstheorie in westlicher Theologie und Wirtschaftstheorie. Weitere - nur kurz angesprochene - Prinzipien betreffen die Vermeidung von Risikogeschäften, die Beteiligung an möglichen Verlusten sowie das Verbot von Investitionen in ökonomische Aktivitäten, die im Islam unzulässig sind (beispielsweise Alkohol oder Glücksspiel).
In den ersten drei eher historisch ausgerichteten Kapiteln stützt sich der Autor vorwiegend auf Sekundärliteratur; gelegentlich werden Koranzitate sowie Belege arabischer Historiker und Juristen eingestreut. Da es eher um die Darstellung des Hintergrunds und der Rahmenbedingungen für das Islamic Banking geht, scheint dieses Vorgehen hier vertretbar.
Im folgenden Kapitel werden nun vier wichtige Finanzierungsinstrumente im Islamic Banking vorgestellt; dabei wird nicht nur die jeweilige Funktionsweise beschrieben und mit Schaubildern verdeutlicht, sondern auch die Einbettung in den deutschen Rechtsrahmen sowie gegebenenfalls damit verbundene Probleme. Diese Instrumente sind für das eigentliche Thema der Studie insofern relevant, als dass sie den ṣukūk-Zertifikaten zugrunde liegen können, Forderungen aus diesen Verträgen also durch handelbare Zertifikate verbrieft werden. Beschrieben werden die murābaḥa (eine Form des Weiterverkaufs mit Gewinn), die mušāraka (ungefähr vergleichbar der Gesellschaft bürgerlichen Rechts), die muḍāraba (eine Gesellschaft mit Eigenschaften der KG oder der stillen Gesellschaft) und die iǧāra (Leasingvertrag). Der Autor gibt allerdings keine Begründung für seine Auswahl der beschriebenen Instrumente: wie er an anderer Stelle erwähnt, hat die Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Insitutions (AAOIFI) vierzehn Formen von ṣukūk-Zertifikaten abschließend anerkannt (67). Sacarcelik stellt davon nur den ṣukūk al-iǧāra und den ṣukūk al-mušāraka detailliert vor.
Den zentralen Teil des Buches bildet das fünfte Kapitel, das schlicht mit Ṣukūk überschrieben ist. Nach einer kurzen etymologischen Definition werden historische Belege für wichtige Finanzinstrumente, die Vorläufer des ṣukūk sein könnten (ṣakk, suftaǧa und ḥawāla), gegeben. Ein Exkurs über die möglichen Einflüsse dieser Instrumente auf die Entwicklung in Europa fasst (auf immerhin fünf Seiten) den Forschungsstand zusammen, trägt allerdings wenig zum eigentlichen Thema bei.
Das folgende Teilkapitel über Strukturen und Hauptcharakteristika von ṣukūk beginnt mit der ältesten Stellungnahme einer internationalen islamischen Organisation, nämlich einer Resolution der Islamic Fiqh Academy der Organization of Islamic Conference (OIC) von 1986. Die zentralen Eigenschaften von ṣukūk-Zertifikaten werden auf Basis dieser Resolution allgemein vorgestellt. Anschließend werden die beiden wichtigsten ṣukūk-Varianten dargelegt und jeweils anhand einer Fallstudie erläutert, einschließlich der Probleme, die sich daraus ergeben können. Die erste, der ṣukūk al-iǧāra, ist ein Zertifikat über einen Sale-and-Lease-back-Vertrag, wobei Vermögensgegenstände durch eine Zweckgesellschaft erworben werden, die dafür über die Emission von Zertifikaten Beiträge der Finanzinvestoren einsammelt. Diese Vermögensgegenstände werden dann an den ursprünglichen Eigentümer (als Leasingnehmer) vermietet; die Leasingraten fließen über die Zweckgesellschaft an die Finanzinvestoren zurück. Diesem Muster folgt ein ṣukūk, den das Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2004 herausgegeben hat. Das Sharia Board, das diesen ṣukūkzertifiziert hat, berief sich dabei nicht nur auf formelle Argumente, sondern ausdrücklich auch auf die Notwendigkeit, trotz der engen rechtlichen Rahmenbedingungen islamische Finanzinstitutionen zu fördern; Sacarcelik sieht hier einen Beleg für das Konzept des maṣlaḥa, des öffentlichen Interesses als Methode der Rechtsfortbildung. Die zweite im Detail behandelte Form ist der ṣukūk al-mušāraka, bei dem ebenfalls eine Zweckgesellschaft gegründet wird, die dann mit dem Kapital aus dem Verkauf von Investmentzertifikaten Teilhaber einer mušāraka-Gesellschaft wird. Dies wird am Beispiel der Ports, Customs & Free Zone Corp. in den Vereinigten Arabischen Emiraten erläutert. Dieser ṣukūk hatte innovativen Charakter, da er das erste Zertifikat in Form einer Wandelanleihe war.
In einem kurzen Abschnitt werden die islamrechtlichen Probleme insbesondere der zweiten Form von Zertifikaten aufgezeigt; weitere Abschnitte befassen sich mit der wertpapierrechtlichen Klassifizierung von ṣukūk im deutschen, englischen und französischen Recht, sowie mit Fragen der Prospekthaftung, falls das Finanzprodukt die zugesicherten Eigenschaften - also die islamrechtliche Unbedenklichkeit - doch nicht aufweist. Die Frage, ob islamisches Recht von den Vertragsparteien als Vertragsrecht gewählt werden kann, wird kurz angerissen. Anschließend wird überblicksartig die quantitative Entwicklung von ṣukūk-Zertifikaten dargestellt; die Übersichtlichkeit leidet aber etwas darunter, dass die Entwicklung von 1996-2009 auf drei verschiedene Grafiken mit unterschiedlichem Maßstab verteilt wird.
Insgesamt bietet das Hauptkapitel einen fundierten Überblick über die Funktionsweise von ṣukūk-Zertifikaten und die damit verbundenen Probleme sowohl aus islamrechtlicher als auch aus Kapitalmarkt- und aufsichtsrechtlicher Sicht; dieser Überblick wird durch Zitate aus Gutachten der relevanten Institutionen sowie durch die Fallstudien angemessen illustriert. Quellenbasis sind Veröffentlichungen islamischer Institutionen, insbesondere der AAOIFI und der Islamic Fiqh Academy, Wertpapierprospekte islamischer Zertifikate sowie nationale Gesetze ausgewählter Länder. Wie jedoch schon mit Blick auf die gesamte Studie erwähnt, werden sehr viele Fragen aufgeworfen, die im gegebenen Rahmen nicht ausreichend beantwortet werden können.
Das analytisch stärkste Kapitel, in dem der übergreifende Ansatz von Rechts- und Islamwissenschaft vielleicht am konsequentesten verwirklicht ist, ist Kapitel VI über die Rolle der "Sharia Supervisory Boards", die für die islamrechtliche Legitimierung von Finanzprodukten zuständig sind. Hier stellt der Verfasser zunächst die klassischen Institutionen des islamischen Rechts vor: von der ratgebenden Versammlung šūrā, über den Richter qāḍī, den Rechtsgutachter muftī, die Rechtsgelehrten fuqahāʾ bis zum Marktaufseher muḥtasib. Er kontrastiert diese mit dem modernen Institut des Sharia Supervisory Boards und kommt zu dem Ergebnis, dass letzteres keine direkten Vorläufer in der islamischen Geschichte hat. Anschließend untersucht er die Rollen und Aufgaben, die die Sharia Supervisory Boards in den institutionellen Richtlinien der AAOIFI und in der Gesetzgebung von Bahrein und Jordanien haben. Am Beispiel des rechtlichen Rahmens in Deutschland demonstriert er die Probleme, die ein solches Gremium aufwerfen kann: aufsichtsrechtlich ist es nicht vorgesehen; es hat keinen direkten Einfluss auf das operative Management einer Bank, beeinflusst das Geschäft durch seine Entscheidungen aber dennoch stark. Das Board hat Zugang zu sehr detaillierten und vertraulichen Informationen, was wettbewerbsrechtliche Probleme aufwirft, da die bekanntesten Islamrechtler gleichzeitig in den Sharia Supervisory Boards verschiedener Banken tätig sind. Als neutrales Gremium müssten die Board-Mitglieder eigentlich unabhängig sein von ihren Auftraggebern, dürfen also auch nicht über Anteile oder Bonuszahlungen am Erfolg der Banken beteiligt sein; dies wird jedoch nicht kontrolliert. Ein weiteres Problem ist die Intransparenz der Entscheidungen: die meisten Gutachten haben maximal den Umfang einer Seite und bieten keine ausführliche Begründung, so dass die Ergebnisse kaum extern überprüfbar sind. Dieses Kapitel zeigt also eindrucksvoll, wie sich neue Institutionen zur Fortentwicklung des islamischen Rechts herausbilden, aber ebenso, welche schwerwiegenden Probleme trotz der großen Wachstumsraten des Islamic Banking hier noch ungelöst sind.
Einige Anmerkungen sind noch zu den Formalia angebracht: Die Transkription orientiert sich generell an den Regeln der DMG, allerdings mit kleinen Inkonsequenzen. Das Buch enthält ein detailliertes Literaturverzeichnis, das ebenfalls nicht frei ist von Flüchtigkeitsfehlern. Der angefügte Index ist nur begrenzt hilfreich: die Auswahl und die Sortierung der indizierten Begriffe wirken etwas willkürlich, hingegen vermisst man ein Abkürzungsverzeichnis, zumal nur ein Teil der verwendeten Abkürzungen im Index aufgeführt ist.
In der vorliegenden Studie zeigt Sacarcelik sehr klar auf, wie "Islamic Banking and Financing" funktioniert, auf welchen religiösen und historischen Grundlagen es beruht und mit welchen Problemen es aktuell konfrontiert ist. Dass er dies (weitgehend) am aktuellen, konkreten Beispiel der ṣukūk-Zertifikate tut, kommt dem Buch zugute. In Teilen des Buches ist der übergreifende Ansatz zwischen Rechts- und Islamwissenschaft sehr fruchtbar, im Ganzen hätte eine stärkere Fokussierung auf die eigentliche Fragestellung gutgetan: wer sich für die islamrechtlichen und historischen Grundlagen des Islamic Banking interessiert, kann schließlich auf eine breite Auswahl bereits vorhandener Literatur zurückgreifen. Der insgesamt etwas unausgewogene Gesamtaufbau der Studie mit relativ umfangreichen Grundlagenkapiteln ist wohl primär den Anforderungen an eine Qualifikationsschrift geschuldet (es handelt sich um eine islamwissenschaftliche Magisterarbeit). Leser mit geringen Vorkenntnissen finden einen brauchbaren Überblick über Islamic Finance; am speziellen Thema Interessierte finden vor allem in den Kapiteln V und VI interessante Anregungen, die eine Vertiefung lohnen würden.
Der Verfasser setzt seine Forschungen zum Thema fort (am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster); auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.
Volker Hubert-Köster