Nicole Grochowina: Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 26), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, IX + 451 S., ISBN 978-3-412-20289-7, EUR 49,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
In ihrer Jenaer Habilitationsschrift thematisiert Nicole Grochowina den Umgang einer juristischen Instanz mit zivilrechtlichen Eigentumskonflikten und knüpft so an neuere Fragestellungen in der Gender- und Rechtsgeschichtsforschung an. Diese haben neben den geschlechtlich konnotierten Normen in Bezug auf Eigentumsrechte nun auch die (Rechts-) Praxis des Gütertransfers und Handlungsspielräume der Akteure in den Fokus rücken lassen.
In Anlehnung daran untersucht das anzuzeigende Buch die Gutachtertätigkeit des Schöppenstuhls an der Universität Jena und erörtert, wie Auseinandersetzungen über Eigentum bewertet wurden. Die Autorin interessiert nun zweierlei: Zum einen geht sie ganz generell davon aus, dass "Eigentum soziale (Geschlechter)Beziehungen" ausgestaltet habe (12). Zum anderen rückt sie die Besonderheit des ausgehenden 18. Jahrhunderts ins Zentrum, was insofern naheliegend ist, als sich in diese Zeit das Aufkommen eines neuen Interesses an Fragen des Eigentumsrechts und -schutzes datieren lässt; auch in der Konzeption von Menschenrechten fand das Recht am Eigentum einen diskursiven Niederschlag. Laut Grochowina könne man daher von der Genese einer "Eigentumskultur" sprechen, die in einem dynamischen Prozess des Aushandelns unterschiedlicher Konfliktparteien wurzele: Vor Gericht sei nicht nur die Verteilung von Eigentum ausgestaltet worden, sondern überdies seien durch die Formulierung solcher Rechte neue Ansprüche geweckt und ein neues Bedürfnis geschaffen worden.
Die Verfasserin lässt sich bei ihrer Untersuchung von der Grundannahme leiten, dass die so definierte "Eigentumskultur" sich "in der Zusammenschau von unterschiedlichen Eigentumsformen, Rechtsmassen, Interessen der Juristen, Entscheidungen in Eigentumskonflikten und Argumentationen der Prozessparteien" beschreiben lasse (180), weshalb der eigentlichen Studie der "dynamischen Eigentumsbeziehung" eine ausführliche Einführung zur Geschichte des Schöppenstuhls vorangestellt ist (35-168). In diesem Kapitel werden die Korporationsgeschichte des Gremiums, das zwischen 1780 und 1800 über 10.000 Fälle aus unterschiedlichen Regionen des Reichs zu bewerten hatte, erläutert sowie biographische Informationen zu den Gutachtern ausgebreitet. Zudem bettet die Autorin den Schöppenstuhl in die Gerichtslandschaft des Alten Reiches ein und legt die sich daraus ergebende ökonomische und institutionelle Konkurrenzsituation dar. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Schöppen eigene thematische Schwerpunkte setzen und sich als besonders umsichtig argumentierende Gutachter einen Namen machen konnten. Die Gutachterpraxis sei daher vor dem Hintergrund individueller Interessen, konkurrierender Institutionen und Rechtslagen zu sehen.
Im Hauptteil der Studie wird anhand von Fallbeispielen untersucht, unter welchen Umständen Juristen den Frauen "Zugang zu Eigentum" gewährten oder versperrten, "Schutz von Eigentum" garantierten oder verweigerten bzw. "Verlust von Eigentum" verhinderten oder befürworteten (169-355). Indem die Verfasserin eine beeindruckende Fülle an Material zusammenbringt - die behandelten Konflikte kreisen um Erbrechtsfragen ebenso wie um das Holzschlagen, Kirchstuhlangelegenheiten, Gartenrechte und Wegerechtsnutzungen - kann sie viele interessante Beobachtungen ausbreiten, von denen drei hier vorgestellt werden sollen:
Aufgrund der vorherrschenden Konkurrenzsituation mutet erstens das Verfahren der Juristen vergleichsweise "modern" und formalisiert an. Wiederholt betont Grochowina, dass Schriftlichkeit eine große Rolle bei der Bewertung von Rechtslagen gespielt habe; man maß der Frage, ob ein Dokument äußerlich korrekt gestaltet war, großes Gewicht bei. Schriftliche Verträge und andere Formen überprüfbarer Vereinbarungen seien folglich erhaben gewesen über "Zuschreibungen an Vernunft, Alter, Zwang und Einreden" (349).
Der Blick auf die Praxis offenbart indes zweitens, dass die Juristen bei der Bemessung von Konfliktlagen über große Handlungsspielräume verfügten. Dies gilt zum einen für die Frage, welchem Rechtstext der Vorrang bei der Bewertung eines Eigentumskonfliktes einzuräumen war. Die Gewichtung von lokalen und überregionalen Normen konnte von Fall zu Fall recht unterschiedlich ausfallen. Zum anderen zeigt sich dies beim Umgang mit Rechtsstreitigkeiten, bei denen entscheidende Argumente nicht durch schriftliche Dokumente gestützt werden konnten, die Expertise also allein durch den Eindruck zustande kam. Grochowina bescheinigt den Juristen daher wohl nicht ganz zu Unrecht ein "beachtliches Maß an Kreativität" (305).
Schließlich ist drittens aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive die Einschätzung interessant, beim Eigentumsrecht sei auch Geschlecht als Kategorie hinter der schriftlich nachweisbaren Rechtslage zurückgetreten. So wurde beispielsweise ein Familienvertrag als Beweisdokument verworfen, da die von dieser Vereinbarung betroffene Frau ihm nicht schriftlich zugestimmt hatte. Grochowina argumentiert in diesem Sinne ferner, die vielfach von den Konfliktparteien angestrebte Instrumentalisierung von Geschlechterstereotypen (wie etwa "Blödsinnigkeit" von Frauen) habe sich nicht durchsetzen lassen.
Allerdings finden sich in den vorgestellten Konflikten eben auch Fälle, bei denen die "Kreativität" zu Gunsten einer männlichen Konfliktpartei ausfiel und geschlechtsspezifische Rollenerwartungen angesprochen wurden. So wurde etwa in einem Rechtsstreit die Ansicht vertreten, ein klagender Ehemann erhebe nicht zuletzt deshalb rechtmäßigen Anspruch auf das Erbe seiner Frau, weil - verkürzt nacherzählt - seine verstorbene Gattin ihren Arbeiten im Hauswesen nicht nachgekommen und er dadurch benachteiligt worden sei. Folglich relativiert auch die Autorin ihren an mehreren Stellen betonten Befund, im Kontext von Eigentumsprozessen sei eine Nivellierung von Geschlechterhierarchien vorgenommen worden. In ihrem Fazit heißt es, die Juristen hätten die Geschlechterordnung nachhaltig geprägt und die Eigentumskultur geschlechtlich konnotiert.
Das ambitionierte Projekt stößt hier an seine Grenzen. Hinzutritt, dass etliche Themenbereiche mehrfach vorkommen, wie beispielsweise das "Erbe" bzw. "Erben", dem in jedem der drei Abschnitte des Hauptteils "Zugang", "Schutz" und "Verlust" ein Kapitel gewidmet ist. Da in den Teilkapiteln zudem ähnliche Beispiele vorgestellt werden, erscheint die Zuordnung bisweilen etwas beliebig. Aus der so gewählten Anlage ergeben sich daher Unklarheiten, und auch die Geschichte der "Eigentumskultur" und die Dynamiken des Aushandelns finden darin keinen angemessenen Platz. Eine stärker systematisierend argumentierende Gliederung der Einzelfälle wäre dem Erkenntnisinteresse daher vermutlich zuträglicher gewesen und hätte dem Leser überdies die aufschlussreichen Befunde Grochowinas zur "kreativen" Gutachterpraxis zugänglicher gemacht.
Elizabeth Harding