Michael Fisch: Werke und Freuden. Michel Foucault eine Biografie (= Edition Moderne Postmoderne), Bielefeld: transcript 2011, 576 S., ISBN 978-3-8376-1900-3, EUR 39,80
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"Warum eine neue Foucault-Biographie?" Diese Frage stellt sich auch der Germanist Michael Fisch, dessen Arbeit die inzwischen vierte große Lebensbeschreibung des französischen Philosophen und Historikers darstellt. Legitimiert, so Fisch, sei ein solches Unternehmen durch die nunmehr weit fortgeschrittene Herausgabe von Foucaults Schriften und seiner Vorlesungen am Collège de France. Die Fülle der oft erstmals zugänglichen Texte erlaube einen neuen Blick auf ein umfang- und facettenreiches Werk und "lädt geradezu ein [...] diesen Autor (neu) zu entdecken" (11). Einem Diktum Foucaults folgend versteht Fisch die Texte auch als "Fragmente einer Autobiographie", und er unternimmt den "Versuch einer Darstellung und Interpretation von Biographie und Werk [...], der insbesondere die Verschränkung von Leben und Freude am Werk als Basis hat" (9).
Mit diesem Ansatz positioniert Fisch, der selbst auch eine Bibliographie zu Foucault veröffentlicht hat, sein Buch als Werkbiographie. [1] Gegenüber den Arbeiten von Eribon, Macey und Miller bietet er kaum neue biographische Details. [2] Stattdessen konzentriert er sich auf einen chronologisch geordneten Durchgang durch das Werk und die Entwicklung der großen Denk- und Lebensthemen (Wissen, Macht, Subjektivität), die Foucaults Arbeiten prägten. Sein Buch verfolgt in erster Linie ein philologisch-philosophisches Erkenntnisinteresse. Lange Abschnitte widmen sich der Synopse und Exegese zentraler Werke, wobei besonders die deutsche Forschungsliteratur auf breiter Basis erfasst wird. Historische Kontexte werden zwar angesprochen, aber oft oberflächlich behandelt. So erwähnt Fisch Foucaults Engagement in den 1970er Jahren, geht jedoch kaum auf sein politisches Umfeld im studentischen Maoismus nach 1968 ein. [3] Und wenn Fisch dann schreibt, "Foucault ist kein Linker und wird auch keiner werden" (200), entspricht dies nur zum Teil dem Zeugnis der Texte, der zeitgenössischen Wahrnehmung und - nicht zuletzt - Foucaults Selbstverständnis. Vielmehr wäre zu fragen, inwieweit Foucault Teil hatte an den zeitgenössischen Auseinandersetzungen um die Definition dessen, was "linke" Politik bedeutet. Eine weit überzeugendere Kontextualisierung liefert Fisch zu Foucaults Erfahrungen mit studentischen Protesten in Tunesien oder seiner anfänglichen Begeisterung für die Islamische Revolution im Iran 1978/79.
Die Gliederung des Buches ist entsprechend der Interessenschwerpunkte des Foucaultschen Werkes in fünf Abschnitte eingeteilt: "Stimme und Sprache 1926-1954", "Ethos des Schweigens 1955-1965", "Eine Prosa der Welt 1966-1973", "Der Wille zur Wahrheit 1974-1979" und "Die Regierung des Selbst 1980-1984". Ergänzt sind die jeweiligen Unterkapitel, die sich mit biographischen Stationen oder mit einzelnen Texten beschäftigen, durch zahlreich eingestreute Exkurse. Diese Exkurse stellen jeweils einen "Gesprächspartner" Foucaults in den Mittelpunkt, mit dem sein Werk in Beziehung gesetzt wird. Man trifft dabei auf Foucaults Lehrer wie den Hegelexperten Jean Hyppolite oder den Wissenschaftshistoriker Georges Canguilhem, auf prägende Denker wie Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger und Immanuel Kant oder auf Zeitgenossen und Freunde wie den Philosophen Gilles Deleuze oder den Dirigenten und Komponisten Pierre Boulez.
Die Exkurse durchbrechen die Chronologie, denn Fisch nimmt sie zum Anlass, im gesamten Werk nach einschlägigen Bezügen zu suchen. Somit zieht er immer auch Texte hinzu, die gemäß ihrer chronologischen Einordnung in Foucaults Schaffensperioden eigentlich erst Gegenstand späterer Kapitel wären. Dieses Verfahren hat Vor- und Nachteile. Einerseits erlaubt es, Interessenkontinuitäten in Foucaults Werk über die in der Forschung häufig betonten Brüche hinweg zu verfolgen. Andererseits läuft Fisch dadurch bisweilen Gefahr, die spezifische Entwicklungsdynamik des Foucaultschen Denkens zu vernachlässigen. Denn die Perspektive, die Fisch einnimmt, ist meist diejenige des abgeschlossenen Werkes. Und aus diesem Blickwinkel gewinnen manche der analysierten Bücher eine andere Bedeutung, als sie in den zeitgenössischen Debatten hatten. Dies gilt etwa für die Arbeiten der 1960er Jahre und die Frage nach ihrem Bezug zum "Strukturalismus".
Die angestrebte "Verschränkung von Leben und Freude am Werk" (9) gelingt Fisch besonders dann, wenn er sich mit Foucaults Spätwerk und seiner Hinwendung zu den Themen der "Sorge um Sich" auseinandersetzt. So stellt er plausible Bezüge zwischen Foucaults Suche nach einer spezifischen und eigenständigen "homosexuellen Lebensweise" im bewussten Widerstand gegen die gesellschaftliche "Normierung" (408) und der Frage nach der Hervorbringung einer neuen Subjektivität her. Hier umgeht Michael Fisch auch, im Gegensatz zur Biographie von James Miller, die Falle eines plumpen Psychologismus. Während Miller Foucaults Werk auf einen Schlüsselroman über dessen Sexualität reduziert, zeigt Fisch auf nachvollziehbare Weise, inwiefern dieses Lebensthema zwar auch Fragestellungen und Theorieinteressen anregte, ohne jedoch deswegen als alleiniges Interpretament für das Gesamtwerk in Frage zu kommen.
Fischs Werkbiographie hätte durchaus das Potential, einen biographisch grundierten Zugang zur Fülle und Vielfalt des Foucaultschen Gesamtwerks zu bieten. Durch ihren umfassenden Anspruch könnte sie auch die vorliegende Handbuchliteratur zu Foucault ergänzen. Die Entscheidung für Endnoten und das Fehlen eines Sachregisters reduzieren jedoch den Nutzen der Werkbiographie als Nachschlagewerk. Auch ein gründlicheres Lektorat hätte dem Band nicht geschadet und dazu beigetragen, vereinzelte sprachliche Schwächen und inhaltliche Ungenauigkeiten zu vermeiden.
Werke und Freuden ist vor allem für diejenigen von Interesse, die sich für die philosophischen Einflüsse interessieren, die das Denken Foucaults geprägt haben. Hier weist Fisch, aus einem breiten Textkorpus schöpfend, eine Fülle interessanter Bezüge nach. Denjenigen, die sich für das Leben Foucaults in seinen zeitgenössischen Kontexten interessieren, seien hingegen weiterhin die Biographien von Didier Eribon und David Macey empfohlen.
Anmerkungen:
[1] Michel Fisch: Michel Foucault - Bibliographie der deutschsprachigen Veröffentlichungen in chronologischer Folge (1954-1988), Bielefeld 2008.
[2] Didier Eribon: Michel Foucault. Eine Biographie. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen, Frankfurt a.M. 1991; David Macey: The Lives of Michel Foucault. A Biography, London 1993, und James Miller: Die Leidenschaft des Michel Foucault. Aus dem Amerikanischen von Michael Büsges. Unter Mitwirkung von Hubert Winkels, Köln 1995.
[3] Zu Foucaults komplexem Verhältnis zum Maoismus nach 1968 vgl. Richard Wolin: The Wind from the East. French Intellectuals, the Cultural Revolution, and the Legacy of the 1960s, Princeton/Oxford 2010, 288-349.
Martin Kindtner