Rezension über:

Beata Dudek: Juden als Stadtbürger in Schlesien. Glogau und Beuthen im Vergleich 1808-1871 (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 60), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2009, 462 S., ISBN 978-3-8300-4505-2, EUR 98,00
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Rezension von:
Manfred Hettling
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Hettling: Rezension von: Beata Dudek: Juden als Stadtbürger in Schlesien. Glogau und Beuthen im Vergleich 1808-1871, Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 1 [15.01.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/01/21122.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Beata Dudek: Juden als Stadtbürger in Schlesien

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Der Emanzipationsprozess der Juden in den deutschen Staaten ist oft analysiert worden, wobei in der jüngeren Zeit nicht zuletzt Regional- und Stadtstudien die Forschung vorangebracht haben. Denn nur in kleinräumigen Analysen können die jeweiligen strukturellen Rahmenbedingungen (rechtlicher, ökonomischer, sozialer, politischer Art) und die Veränderungen der jüdischen Minderheiten genauer analysiert werden. Dadurch hat sich das Verständnis für die durchaus differenzierte Situation in Deutschland, aber auch innerhalb Preußens, sehr vertieft.

Beata Dudeks Studie untersucht zwei schlesische Städte, die beide einen hohen Anteil jüdischer Bevölkerung aufwiesen: Glogau zu Beginn des 19. Jahrhunderts gut 10 Prozent, im frühen Kaiserreich circa sieben Prozent; Beuthen kontinuierlich zehn Prozent und mehr. Glogau als niederschlesische Festungsstadt wies ein bescheidenes Bevölkerungswachstum im Untersuchungszeitraum auf (von 10 000 auf circa 15 000 Einwohner 1880); Glogau, im oberschlesischen Bergbaurevier gelegen, wuchs hingegen im 19. Jahrhundert von knapp 2 000 auf über 40 000 Einwohner an. Die Verfasserin schildert in drei systematischen Teilen zuerst und bei weitem am ausführlichsten die zunehmende Teilnahme der Juden an der Stadtgesellschaft (in den Bereichen Rechtsstatus und kommunale Selbstverwaltung, Wirtschaftsleben, Vereins- und Schulwesen, Militärdienst), dann in knapperen Teilen die jüdischen Kultusgemeinden und den religiösen Wandel innerhalb der Gemeinden.

In den allgemeinen Ergebnissen spiegelt die Situation in beiden Städten das bekannte Bild wider. So entwickelte sich die überwiegend im Handel angesiedelte Erwerbsstruktur der Juden vom Kleinhandel zu mittelständischen Kaufleuten hin, im oberschlesischen Beuthen war dabei die Berufsstruktur - wie auch in den polnischen Nachbargebieten - differenzierter: Sowohl im Handwerk als auch im Schank- und Brennereiwesen waren Juden tätig, man findet sie dort auch in erheblichem Ausmaß als Besitzer von Bergbaubetrieben. In beiden Städten findet man sowohl Juden als Mitglieder in nicht konfessionell gebundenen Vereinen als auch ein entwickeltes jüdisches Vereinswesen. Was aber jüdische Mitgliedschaften in nicht konfessionsgebundenen Vereinen über die Integration in die städtische Gesellschaft aussagen und inwiefern es auch Exklusionsmechanismen formeller wie informeller Art gab - dazu erfährt man nichts. Unterschiede gab es hinsichtlich der religiösen Prägung: Die Glogauer Juden schlossen sich ganz überwiegend dem Liberalismus an, in Beuthen blieb die Gemeinde traditionsorientiert, modernisierte aber dennoch das Synagogenleben.

Die Arbeit ist in der Anlage sehr kleinteilig verfasst. Sie sammelt und präsentiert zu beiden Städten jene Befunde, in denen Juden im Stadtleben greifbar werden. Diese Ausrichtung ist einerseits der begrenzten Quellenlage geschuldet und andererseits dem Problem, dass Stadtstudien dieser Art oft ein sehr hohes Maß an empirischer Arbeit benötigten, um wirklich fruchtbare vergleichende Aussagen treffen zu können. Dennoch hätten einige Verallgemeinerungen und vergleichende Blicke der Arbeit gut getan. So stand die traditionelle religiöse Orientierung der Beuthener Juden einer Teilhabe an der städtischen politischen Selbstverwaltung nicht im Wege, politische Beteiligung setzte hier zudem viel früher ein und war deutlich umfangreicher als im religiös-liberal geprägten Glogauer Judentum. In Beuthen gab es, im Unterschied zu Glogau, eine erhebliche polnische Minderheit; diese Konstellation veränderte auch die Position, Handlungs- und Integrationschancen der Juden im Emanzipationsprozess. Nicht nur hierzu wären einige systematische, weiterführende Bemerkungen und eine intensivere Kontextualisierung wünschenswert gewesen.

Manfred Hettling