Rita Krueger: Czech, German, and Noble. Status and National Identity in Habsburg Bohemia, Oxford: Oxford University Press 2009, IX + 290 S., ISBN 978-0-19-532345-0, GBP 40,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Von Analysen zur Entstehung und Konstruktion des Nationalstaates hat sich der Fokus des Interesses vieler historischer Arbeiten der letzten Jahre hin zu einer stärkeren Konzentration auf die Identitätsbildungsprozesse, die mit dem nation building einhergingen, verschoben. Während ältere Untersuchungen zur Entstehung des Nationalismus in den böhmischen Ländern meist auf die bürgerlichen Proponenten der tschechischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts fokussierten und den Adel als a-national aus dieser Erzählung ausschlossen, hat sich Rita Krueger in ihrem Buch vorgenommen, eine andere Geschichte zu erzählen und die Rolle des Adels in den Anfängen des tschechischen nation building neu zu bewerten: "It is a story of how and why some nobles began to see their social position through a nationalized lens, and used their social position to endow institutions to prove and promote national excellence" (5).
Diese Konstellation beschreibt die Verfasserin als Schnittstelle zweier Entwicklungen: erstens der Erschütterung traditioneller adeliger Vorherrschaft durch die politischen Ereignisse des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, allen voran die Französische Revolution, und zweitens der Neuformierung von Institutionen des öffentlichen Lebens, an der sich der böhmische Adel in großem Ausmaß beteiligte. Demgemäß beschäftigen sich auch die Kapitel des Buches zum einen mit politischen Entwicklungen im Habsburgerreich und in Europa sowie deren Auswirkungen auf und Rezeption durch den böhmischen Adel, zum anderen mit der Entstehungsgeschichte verschiedener Institutionen, die später für die tschechische Nationalbewegung von Bedeutung werden sollten, und der Rolle der in diese Gründungen involvierten Adeligen. Dass dabei die von ihr herangezogenen progressiven, von der Aufklärung beeinflussten Adeligen lediglich ein Segment der gesamten Adelsgesellschaft darstellen, verschweigt sie nicht - doch geht es ihr nicht um eine generelle Geschichte des Adels als sozialer Schicht, sondern um eine Darstellung in Bewegung geratener adeliger Identitäten; und diese Bewegung erfasste die progressiven Adeligen naturgemäß in höherem Maße als die Traditionalisten.
Die Selbstbilder der Adeligen, die Krueger aus autobiografischen Schriften und Briefen sowie reichem Archivmaterial gewinnt, changieren dabei oft je nach Situation zwischen "deutsch" und "tschechisch". Die "böhmische" Identität der betreffenden Adeligen steht hingegen meist fest - und genau an dieser Stelle ergibt sich in den Augen der Rezensentin ein Problem: Die Verfasserin betont zwar stets die Rolle und den Einsatz des Adels für nationale Ziele, scheint dabei jedoch oftmals "national-böhmisch" und "national-tschechisch" gleichzusetzen. Die "Ehrenrettung" des Adels soll also über seine Inkludierung in die tschechische Nationalgeschichte erfolgen. Nun ist dies zwar ein ehrenwertes Unterfangen, es stellt sich allerdings doch die Frage, ob es nicht lohnender wäre, die Fallen der Nationalgeschichtsschreibung noch konsequenter zu umgehen und den innovativen Ansatz des Buches, nämlich die Analyse des Wechselspiels zwischen der Neuformierung adeliger Identitäten und der Entstehung einer (später dann in erster Linie bürgerlichen) Öffentlichkeit weniger durch die Linse der späteren Nationalbewegung zu betrachten. Nicht nur die nationalen Identitäten der Adeligen waren in Bewegung, sondern auch ihre sozialen Identitäten wurden zwischen der traditionell exklusiven adeligen Unterhaltung und dem Engagement in den neuen, breiteren Bevölkerungsschichten offenstehenden Verbindungen wie Freimaurerlogen und wissenschaftlichen Gesellschaften neu definiert, ganz zu schweigen vom stets ambivalenten Verhältnis des böhmischen Adels gegenüber der habsburgischen Machtpolitik.
Während also auf einer allgemeineren theoretischen Ebene das Verhältnis zwischen den verschiedenen "nationalen Identitäten" vor oder während der Entstehung der Nationalbewegungen zwangsläufig etwas diffus bleibt, gewinnt das Buch vor allem dort, wo konkrete Beispiele veränderlicher Identitäten geschildert werden. Das Leben Kaspar Sternbergs steht dabei im Mittelpunkt und bildet neben dem seines Bruders Joachim und seines Cousins Franz gleichsam den - allerdings recht losen - roten Faden der Untersuchung. Freimaurerlogen, die Patriotisch-Ökonomische Gesellschaft, die Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften, die Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde, das Nostitz-Theater und das Nationalmuseum werden daraufhin untersucht, welchen Anteil Adelige an ihrer Konzeption hatten und welche Rolle sie wiederum für die sich verändernden adeligen Identitäten spielten. Dabei ist der Text dort am überzeugendsten, wo anhand von Archivmaterial und privaten Schriften der Proponenten auf konkrete Beispiele eingegangen wird, weniger hingegen dort, wo, wie im Falle des Nostitz-Theaters, vor allem Forschungsliteratur verwendet wird. Auf jeden Fall hat Krueger eine lesenswerte Studie vorgelegt, deren Lektüre besonders im Hinblick auf die Verbindung von politischer Geschichte, Kulturgeschichte und Identitätsbildungsprozessen spannende Einsichten bietet.
Katharina Wessely