Klaus Krüger / Leena Crasemann / Matthias Weiß (Hgg.): Re-Inszenierte Fotografie, München: Wilhelm Fink 2011, 298 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7705-5133-0, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Valeska von Rosen / Klaus Krüger / Rudolf Preimesberger (Hgg.): Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003
Klaus Krüger (Hg.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit, Göttingen: Wallstein 2002
Klaus Krüger: Politik der Evidenz. Öffentliche Bilder als Bilder der Öffentlichkeit im Trecento, Göttingen: Wallstein 2015
Als Ende der 1970er-Jahre in der Kunst und infolge auch in der kunst- und kulturwissenschaftlichen Diskussion die Appropriation als Phänomen der strategischen Aneignung künstlerischer und massenmedialer Bilder deutlich hervortrat, befragte man im engen Rahmen die sogenannte Appropriation Art, im erweiterten Rahmen die postmoderne Bildkultur insgesamt auf ihre "Prozesse des Zitierens, Exzerpierens, Rahmens und Aufführens" von Kunst beziehungsweise von Bildern im Sinne postmoderner Repräsentationskritik. [1]
Phänomene der Appropriation stehen auch im Zentrum der Überlegungen des Aufsatzbandes "Re-Inszenierte Fotografie", der jedoch durch die Zuspitzung auf das Medium Fotografie einen gegenüber der Appropriation engeren, durch die Rede von der Re-Inszenierung zugleich einen weiteren Begriff der Aneignung veranschlagt. Ausgangspunkt der Überlegungen - und historisches Zentrum der Argumentation - ist zudem die jüngste Fotokunst. Acht von zwölf Beiträgen beziehen sich auf Fotografien der 1990er- und 2000er-Jahre, wobei die Autoren in ihren meist werkanalytisch ausgerichteten Untersuchungen der Arbeiten von Aneta Grzeszykowska, Tatiana Antoshina, Rita Nowak, Andrea Robbins/Max Becher, Taryn Simon, Tom Hunter, Steven Meisel/Madonna, Sally Barnard und anderen zwar gelegentlich den Blick zurück auf die Appropriation der 1970er-Jahre richten, insbesondere auf Cindy Sherman, jedoch weniger an historischen Fragen denn vielmehr daran interessiert sind, die interpikturalen Bezüge und medialen (Selbst)Reflexionen der re-inszenierten Fotografie offenzulegen.
Die Publikation geht auf eine Vortragsreihe des kunsthistorischen Teilprojekts "Die Performativität fotografischer Menschenbilder" im Rahmen des Sonderforschungsbereiches "Kulturen des Performativen" an der Freien Universität Berlin zurück. Wie Leena Crasemann und Matthias Weiß in ihrer Einführung in das Buch deutlich machen, liegt dem Band "kein fest gefügter Begriff Re-Inszenierter Fotografie" (21) zugrunde. Betont wird zudem, dass sich im dem veranschlagten Verständnis von Inszenierung, so Crasemann/Weiß, "die Mise en scène nicht auf vorfotografische Arbeitsschritte reduzieren" (18) lässt, sondern im Gegenteil gerade die fotografische Inszenierung bedacht werden soll. Das Buch votiert damit für ein Konzept des Fotografischen, das die kontextuellen Bezüge von Fotografie, insbesondere aber "Handlungstheorien des Bildes" (7) berücksichtigt, weshalb der "Begriff des Performativen eine Schlüsselkategorie" (7) und theaterwissenschaftliche Perspektiven einen Ausgangspunkt darstellen.
Die zwölf Beiträge widmen sich unterschiedlichsten Beispielen re-inszenierter Fotografie. Die Anordnung der Beiträge wird chronologisch legitimiert ("von der Gegenwart [zurück] ins 19. Jahrhundert" (21), da neben die bereits erwähnten, auf aktuelle Positionen bezogenen Texte mit Gerald Schröders Untersuchung von Arnulf Rainers Re-Inszenierung psychiatrischer Fotografie, Astrid Bährs Überlegungen zur Inszenierung der Architektur des Neues Bauens in der Fotografie der 1920er-Jahre, Lars Bluncks Beitrag zum Phänomen der Re-Inszenierung am Beispiel fotografischer Totendarstellungen des 19. Jahrhunderts und Friedrich Tietjens Rekonstruktion der visuellen Topoi früher fotografischer (Gruppen-)Porträts Aufsätze treten, die das Phänomen der Re-Inszenierung nicht als ein spezifisch aktuelles begreifen. Die chronologische Anordnung der Beiträge macht auch eher darauf aufmerksam, dass es nicht ganz einfach ist, neben dem von allen Autoren geteilten Interesse an der Re-Inszenierung motivische, theoretische, mediale oder methodische Schwerpunkte zu benennen. Immerhin versuchen die Herausgeber in der Einleitung die Vernetzung der Beiträge zu skizzieren, ohne dass diese Überlegungen dem Band jedoch zu einer anderen Gliederung verholfen hätten.
Die auf die aktuelle Fotokunst bezogenen Beiträge beabsichtigen zunächst, das interpikturale Geflecht von re-inszenierenden Bezugnahmen zu beschreiben. Astrid Köhler und Eva Wilson beschäftigen sich mit Fotografien, die demonstrativ auf kunsthistorisch nobilitierte Vorbilder zurückverweisen. Wilson untersucht Tom Hunters "Persons Unknown" und deren Re-Inszenierung nach Vermeer, während Köhler fotografische Reprisen nach Manets "Olympia" untersucht. Dabei betonen beide Autorinnen, dass nicht das einfache Zitat, sondern die palimpsestartige Überlagerung von Bildern entscheidend sei, insofern erst in der Mehrschichtigkeit "Metabilder, also [...] Bilder zweiter Ordnung" (47) entstünden.
Wenn in diesen Aufsätzen bzw. Bildern der Sprung auf die Metaebene zuweilen plakativ erscheint, wird das Geflecht der Bezüge bei Grzeszykowska, Simon und Robbins/Becher komplexer bzw. differenzierter auseinander genommen. Sykora verfolgt Aneta Grzeszykowskas "Untitled Film Stills", die auf Shermans "Untitled Film Stills" verweisen, welche ihrerseits den Typus des Filmstills als Fotografie im Kontrast zum Film als bewegtes Bild thematisieren. Dabei versteht Sykora Grzeszykowskas Ansatz dezidiert nicht als "Nachstellen eines fotografierten Tableau vivant", sondern als Rückbezug "auf die imitierende Performanz Shermans" (33), sodass durch das Artefakt hindurch der doppelte Akt der Aneignung präsent bleibt. Im Fall der Fotografien von Taryn Simon, die irrtümlich als Gewaltverbrecher verurteilte Personen an einem tatsächlichen Tatort re-inszeniert, entsteht die Komplexität der Bezüge im Abgleich mit den Mustern und Funktionen kriminalistischer Tatortfotografie. Jonas Beyer zeigt, wie bei Simon die fotografische Inszenierung als Inszenierung offengelegt wird und gerade dadurch die Imagination eines Zusammenhangs zwischen Schauplatz und Täter dekuvriert. Bedacht wird dabei auch, in welch hohem Maß die Kontextualisierung von Simons Serie als Kunstfotografie bei der Rezeption mitspricht.
Auch Leena Crasemann und Matthias Weiß gehen ausführlich auf die Handlungsfelder der re-inszenierten Fotografie ein, Crasemann, indem sie "Global Village" von Robbins/Becher nicht nur vor dem Hintergrund des "visuellen Erbes" (87) der frühen sozialdokumentarischen Fotografie thematisiert, sondern auch in Gegenüberstellung zu dem Internetauftritt eben jenes Themenparks, dessen rekonstruiertes Slumviertel in "Global Village" abgelichtet ist. Ihr Text endet mit der Frage, "ob sozialdokumentarische Fotografie nicht recht eigentlich erst durch die stete Re-Inszenierung visueller Topoi kritisch wirksam werden kann" (96). Und Matthias Weiß interpretiert die Re-Inszenierung erotischer und pornografischer Fotografie in Madonnas Fotobuch "SEX" als ein mehrfaches Scheitern, das durch die - inszenierte? - Verwechselung der Szenen von performance art und performing art bedingt ist.
Die Texte, die weniger die aktuellen Positionen der re-inszenierten Fotografie betreffen, bereichern den Band insbesondere dort, wo verstärkt medientheoretische Argumente verfolgt werden. Dies ist bei Steffen Siegel der Fall, der fotografierte Texte, Bücher und Bibliotheken als "fotografische Re-Inszenierung des fotografietheoretischen Diskurses" (130) untersucht, mit Schwerpunkten bei Andreas Gursky und Adrian Sauer. Und auch Lars Bluncks Text zur Postmortem-Fotografie fokussiert weniger historische Positionen einer re-inszenierten Fotografie denn die Semiopragmatik "zirkulierende[r] Referenzen" (276).
Mit der Appropriation Art der 1970er-Jahre hat sich in der Kunsttheorie die Auffassung durchgesetzt, dass die Analyse strategischer Bildaneignungen nicht darin bestehen kann, "ikonografische Nachahmungslinien zu konstruieren, um phänomenologische Ursprungsquellen ausfindig zu machen". [2] Auch die Aufsätze des Buches "Re-Inszenierte Fotografie" gehen davon aus, dass die Behauptung solcher Ursprungsquellen obsolet ist. Fast alle Texte weisen in diesem Zusammenhang auf Klaus Krügers Rede vom Barthesschen Palimpsest als "operativem Denkmodell" hin. [3] Gerade weil der Band mit Sorgfalt und Erkenntnisgewinn diesen Palimpsesten nachfragt, hätte man sich an der einen oder anderen Stelle gleichwohl auch noch ein Nachdenken sowohl über den historischen Index re-inszenierter Fotografie als auch über die "strukturtheoretische Kategorie" des Palimpsests "in Hinblick auf den Status des Bildes" gewünscht. [4]
Anmerkungen:
[1] Stefan Römer: Appropriation Art, in: DuMonts Begriffslexikon zur Gegenwartskunst, hg. von Hubertus Butin, Köln 2002, 15.
[2] Ebd.
[3] Klaus Krüger: Bild - Schleier - Palimpsest. Der Begriff des Mediums zwischen Materialität und Metaphorik, in: Begriffsgeschichte im Umbruch?, hg. von Ernst Müller, Hamburg 2005, 81-112, hier: 91.
[4] Ebd., 106.
Martina Dobbe