Tanja Bührer: Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung 1885-1918 (= Beiträge zur Militärgeschichte; Bd. 70), München: Oldenbourg 2011, XI + 532 S., 4 Kt., 89 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-70442-6, 49,80
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In der deutschen Historiographie zur Kolonialgeschichte hat "Deutsch-Ostafrika" (DOA) gegenüber anderen ehemaligen deutschen Kolonien einen qualitativen Vorsprung erlangt. Während die Diskussion um "Deutsch-Südwestafrika" sich zwischenzeitlich auf die Königsfrage einer möglichen Verbindung "von Windhoek nach Auschwitz" verengt hat, blieb die Forschung zu DOA auf dem Boden der kolonialen Tatsachen. [1]
Dies gilt auch für die hier zu besprechende Dissertation von Tanja Bührer. In zehn Kapiteln werden die Organisation der "Kaiserlichen Schutztruppe" und die deutsche Kriegführung gegen afrikanische und europäische Gegner von 1885 bis zur Kapitulation 1918 untersucht; auch Formen afrikanischer Kriegstaktik und das soziale Umfeld in der Kolonie werden in den Blick genommen. Die Frage nach der Verbindung von deutscher und afrikanischer Kriegführung zieht sich leitmotivisch durch die Arbeit. Das Titelbild eines verletzten deutschen Offiziers, der von zwei Askaris weggetragen wird, gibt einen guten Teil der These von der Abhängigkeit des Kolonialmilitärs von afrikanischer Unterstützung wieder.
Während das Einleitungsessay zu "Imperialismus und Gewalt" zu weitschweifig erscheint; zumal es ohnehin nur Oftzitiertes wiederholt, sind die übrigen Abschnitte aus den Quellen geschöpft. Die ersten Kapitel analysieren Organisation und Personal der Schutztruppe in DOA. Waren die Kolonialtruppen anfangs "private" Söldner des Kommissars Hermann Wissmann, so gelangten die Reichsbehörden in den frühen 1890er Jahren zu der Einsicht, dass der Staat sich weder institutionell noch finanziell aus seinen Kolonien würde heraushalten können. Mit Recht verweist Bührer darauf, dass die Schutztruppe zuerst kaum das Interesse der Parteien im Reichstag auf sich zog (89). Gleichwohl, die Schutztruppe wurde 1896 durch das Schutztruppengesetz zu einem "Parlamentsheer", über dessen Verwendung der zivile Leiter der Kolonialverwaltung entschied. Bührer begründet diesen Bruch mit dem herrschenden Prinzip der außerkonstitutionellen Stellung des Militärs im Kaiserreich mit dem Unwillen der Führungsinstanzen von Heer und Marine, Verantwortung für die Kolonialtruppe zu übernehmen.
Das militärische Rückgrat der Schutztruppe in DOA bildeten afrikanische Söldner (1906: 1.848 Mann). Diese blieben meist auf die Mannschaftsdienstgrade (Askari) beschränkt, einigen war der Aufstieg in Unteroffiziersränge (Schauisch) möglich. Afrikanische Offiziere (Effendi) gab es ab 1910 "kaum mehr" (149). Die Askari wurden meist in Ägypten, Eritrea und Mosambik für fünf Jahre angeworben. Später rekrutierten sie sich auch aus der Kolonie. Dienstsprache war das Kisuaheli. Die Offiziere "bevorzugten eindeutig Askaris muslimischen Glaubens" auf Grund der ihnen nachgesagten Abstinenz, Sauberkeit und Loyalität (138). Bührer referiert die "Eigenschaften" dieser Männer mitunter etwas unkritisch aus den Quellen: waren "Zulus" tatsächlich "kriegerischer" und hatten "mehr Energie" als die "Sudanesen" (132)? Auch sonst fällt auf, dass die Autorin ihre Aussagen, etwa zur "afrikanischen Kriegführung", vorrangig auf Grund von deutschen Berichten trifft und deren Beurteilungen allzu kritiklos wiedergibt (256f.).
Während die Askari oft länger als zehn Jahre dienten, tendierten deutsche Offiziere und Unteroffiziere dazu, nach einer Dienstperiode von drei Jahren in ihre heimischen Verbände zurückzukehren. Für sie war die Chance, in DOA an einer Krankheit zu sterben höher, als im Gefecht zu fallen. Die Frage danach, ob die Schutztruppenoffiziere eine "Elite innerhalb des Offizierskorps" darstellten, erscheint überzogen angesichts Bührers Schilderung der "Geringschätzung" der Kolonialarmee durch Militär und Gesellschaft des Reiches. Schutztruppenoffiziere galten als "suspekte Sonderlinge", die ihre herausragende Ausbildung für eine "minderwertige Sache" verschwenden würden (123). Wiederholt wurden in Berlin Überlegungen angestellt, den Dienst in der Schutztruppe prestigeträchtiger zu gestalten (305).
Die Details der kolonialen Kriegführung in DOA analysiert Bührer systematisch anhand einer Typologie von Gefechtssituationen. Sie geht dabei auf die Kriegsursachen und -gegner ein, aber auch auf einzelne Kriege, etwa den "Vernichtungsfeldzug" (262) gegen die Wahehe oder den Maji Maji Krieg. Eine genozidale Kriegführung erkennt sie bei diesem nicht. Doch spricht sie von einer "besonderen Brutalität von Imperialkriegen". Zur Erklärung dieser entgrenzten Gewalt verweist sie nicht allein auf die Asymmetrie der Gegner oder auf die Intention deutscher Soldaten, das Kriegsrecht auf Grund rassistischer Annahmen nicht zu beachten. Vielmehr betont sie den "Einfluss der afrikanischen Kriegführung auf die Gewaltausübung der Schutztruppe" (271). Angesichts dieser "transkulturell geprägten Gewalthandlungen" müsse "nicht nur von einer Entgrenzung, sondern auch von einer 'Afrikanisierung' der Gewalt die Rede sein." (275) Bührer weiß um das kolonialapologetische Fahrwasser, in das sie sich mit dieser These begibt und fügt daher an, dass damit die Brutalität der Kolonialkriege nicht entschuldigt werden könne.
Die Frage, welche Lehren aus diesen Kolonialkriegen zu ziehen seien, wurde in Berlin ab 1908 diskutiert. Zu der angedachten global einsatzfähigen deutschen Interventionsarmee aber kam es so wenig wie zu einer kolonialen Aufrüstung; einiger paramilitärischer Siedlerformationen ungeachtet. Die Schutztruppe sollte in der Lage sein, innere Unruhen zu bewältigen. Die Verteidigung der Kolonien gegen europäische Gegner aber sollte die Marine in der Nordsee übernehmen. Bührer belegt, dass selbst das Schutztruppenkommando in Berlin davon überzeugt blieb, dass das Schicksal der Kolonien auf dem Kriegsschauplatz in Europa entschieden würde. Nur der Kommandeur in DOA, Lettow-Vorbeck, war anderer Ansicht und wagte während des Ersten Weltkriegs einen "Militärputsch" gegen den Gouverneur Schnee (473). Er setzte den Krieg gegen dessen Willen fort und konnte den Verlust der deutschen Kolonien doch nicht abwenden.
An diesem abschließenden Kapitel zeigt sich einmal mehr, dass die Stärke der Arbeit in ihren darstellenden Passagen liegt. Dagegen sind manche von Bührers Analysen überfrachtet mit Bezügen auf die Gegenwart oder persönlichen Einschätzungen (etwa darüber, was Gouverneur Schnee im Krieg hätte machen können [476]). Fraglich scheint auch der analytische Mehrwert von Parallelisierungen mit historischen oder "aktuellen Tendenzen" (65f.; 83) und allzu subjektiven Stellungnahmen zu aktuellen Fragen (334). Die Autorin zeigt keine Scheu vor Urteilen und Adjektiven. Wo sonst findet man Gustav von Goetzen als den "idealen Gouverneur" charakterisiert (179)? So viel Wert auf die foto- und kartographische Ausstattung des Bandes gelegt wurde, so wenig Beachtung hat der Schreibstil gefunden. Sprünge in den Tempusformen, umgangssprachliche Formulierungen und Füllwörter wie "natürlich", "ziemlich" etc. erschweren den Lesefluss ebenso wie die gelegentlich überbordenden Fußnoten.
Ungeachtet dieser Mäkeleien: Dieses Buch ist keine Spezialstudie über die Schutztruppe, sondern eine breit angelegte Untersuchung des Kolonialismus in DOA und darüber hinaus. Die künftige Forschung zur Kolonialgeschichte Tansanias wird an dieser Arbeit nicht vorbeikommen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Michael Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt/M. 2005; Ders.: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt/M. 2010; Eckard Michels: "Der Held von Deutsch-Ostafrika" Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Paderborn 2008.
Jakob Zollmann