Rezension über:

George C. Rable: God's Almost Chosen Peoples. A Religious History of the American Civil War, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2010, 586 S., mit 11 s/w-Abb., ISBN 978-0-807-83426-8, USD 35,00
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Rezension von:
John Andreas Fuchs
Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
John Andreas Fuchs: Rezension von: George C. Rable: God's Almost Chosen Peoples. A Religious History of the American Civil War, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/19801.html


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George C. Rable: God's Almost Chosen Peoples

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George C. Rable, der an der University of Alabama Southern History lehrt, gilt nicht von ungefähr als ein ausgewiesener Kenner des Amerikanischen Bürgerkrieges. Sein bereits 2002 erschienenes Werk Fredricksburg! Fredricksburg! [1] wurde unter anderem mit dem Lincoln Prize und dem Jefferson Davis Award ausgezeichnet. Auf seiner Homepage gibt Rable "watching bad baseball" als eines seiner Hobbies an. [2] Jeder der Baseball kennt, weiß, dass selbst das beste Spiel seine Längen und Wiederholungen hat. Gleiches gilt für das hier vorliegende God's Almost Chosen Peoples: A Religious History of the American Civil War. Rable gelingt es, die bisher detaillierteste Studie zur Rolle der Religion im Amerikanischen Bürgerkrieg vorzulegen. Er reiht sich damit mühelos in die Reihe der aktuellen Werke zum Bürgerkrieg von Drew Gilpin Faust, Harry S. Stout und David Goldfield, die bereits über die dominierenden Themen Nationalismus und Sklavenbefreiung hinausschauten und die Bürgerkriegshistoriographie um eine religiöse und moralische Betrachtungsweise erweiterten, ein. [3] Dabei greift der Autor nicht nur auf deren Werke zurück, sondern schöpft aus dem reichen Erfahrungsschatz der Bürgerkriegsforschung der letzten Jahrzehnte; er rezipiert die Werke von Bell Wiley, C.C. Goen, Mitchell Snay, James McPherson, Mark Noll und Charles Reagan Wilson. Leider fehlt der Blick über Sprachbarrieren hinweg: Michael Hochgeschwenders Wahrheit, Einheit, Ordnung, Die Sklavenfrage und der amerikanische Katholizismus 1835-1870 [4] hätte noch einiges zu Rables Betrachtungen, vor allem der Katholiken, beisteuern können.

Weitaus beeindruckender als die Rezeption des aktuellen Forschungsstandes ist allerdings die Berücksichtigung von Primärquellen. Von den fast hundert Seiten Bibliographie bezieht sich mehr als die Hälfte auf Primärquellen wie Predigten, Briefe, Tagebücher, Zeitungen und weitere persönliche Papiere der Soldaten, Offiziere und deren Feldkaplane. Rable gelingt es so ein lebendiges Bild der Religiosität beider Seiten, Union und Konföderation, unter Einbeziehung aller religiösen Gruppen, von Evangelikalen, über Mormonen bis zu Juden und Katholiken, zu zeichnen. Evident wird für Rable der Starke Glaube an die Vorsehung, "[...] the attributes most remarkable and most revealing about countless believers of the Civil War generation were their persistence and endurance in viewing their lives and the war itself a spart of an unfolding providential story" (9), sowie dessen mangelnde Berücksichtigung in Standardwerken zum Bürgerkrieg. Er betont: "[...] the absence of virtually any reference to religious forces in the standard Civil War narratives is remarkable" (396). Historiker bezögen sich bei ihren Analysen des Krieges nie auf die göttliche Vorsehung, was um so verblüffender sei, da die Beteiligten und Betroffenen des Krieges fest daran glaubten, dass der Ausbruch, der Verlauf und der Ausgang des Bürgerkrieges allesamt Gottes Willen wiederspiegelten.

Mit zahlreichen Anekdoten gelingt es Rable die tiefe religiöse Überzeugung der Menschen im Norden und Süden zu vermitteln und verständlich zu machen. Wenn selbst Niederlagen als Zeichen der göttlichen Zuneigung, hier der eher alttestamentarische strafende Vater, gesehen wurden und den Glauben an die Vorsehung vertieften, ist dies heute nicht mehr ganz so leicht nachzuvollziehen. Dass dies damals schon nicht immer der Fall war, zeigt der Auszug aus einem privaten Schreiben des Südstaaten Oberst Edward Porter Alexander, der nach dem Krieg zum Schluss kam, "Providence did not care a row of pins about it. If it did it was a very unintelligent Providence not to bring the business to a close [...] in less than four years of most terrible and bloody war", gleichzeitig gesteht er aber ein, "our president and many of our generals really and actually believed that there was this mysterious Providence always hovering over the field and ready to interfere on one side or the other, and that prayers and piety might win its favor from day to day." (8) Nicht nur die Offiziere hatten ihre Zweifel. Zwar sahen viele Soldaten auf beiden Seiten es so wie die "northern Methodist conference" 1862 formulierte, "Patriotism is a Christian virtue" (153), und der Kampf machte "the connection between civil religion and soldier faith [...] more vivid and meaningful" (159f.), aber dennoch bleiben die "Christian soldiers" in beiden Armeen in der Minderheit (127), wie Rable ausführt. Gegen die Versuchungen des Lagerlebens wandten sich Feldkaplane aller Denominationen, was zu Anfeindungen und Vertiefungen bestehender Gräben, aber auch zu weiteren Anekdoten führte: Nach der Schlacht von Fredericksburg teilten sich der Jesuitenpater Joseph B. O'Hagan und der puritanische Seelsorger Joseph Twitchell eine Decke. Lachend beantwortet sich der Jesuit die Frage, was die Engel wohl von den notgedrungen kuschelnden völlig unterschiedlichen Geistlichen hielten, selbst: "I think they like it" (136).

Mit der Synthese des Forschungsstandes der letzten Jahrzehnte, der immensen Zahl an Primärquellen und den anschaulichen Anekdoten hat Rable, um beim eingangs gewählten Bild von Baseball zu bleiben, hervorragende Spieler auf dem Feld. Allerdings kommt es, wie bereits erwähnt, aufgrund von Wiederholungen, die die Quellen mit sich bringen, zu Längen. Aber vor allen Dingen fehlt ein Trainer, der das Spiel dirigiert und die einzelnen Spieler zu einem Team formt. Der Autor verzichtet überraschenderweise bewusst auf eine These und entscheidet sich für eine, wie er es nennt, "broad narrative" (6). Diese dreht sich um die Rolle der göttlichen Vorsehung, die je nach Betrachter - Evangelikale, Katholiken, Mennoniten, Quäker, Nordstaaten, Südstaaten, Sklaven - eine andere Rolle erfüllt. Welche das ist, darüber reflektiert Rable nicht ausreichend, was er damit begründet, dass dies die Möglichkeiten einer Gesamtdarstellung zu sehr einschränken würde. Der Fokus auf das Wirken der göttlichen Vorsehung, ohne klare Zielvorgabe, führt auch zu Sprüngen in der Chronologie: "this is by no means a straightforward story, and the narrative has to zigzag and even backtrack" (6). Ähnlich einem Baseballspiel kann letztlich nur ein Kenner der Materie Rables Darstellung folgen. Manches bleibt zudem unscharf, wie Rabels Definition von Zivilreligion (3), oder auf der Strecke, wie Spiritualismus und nicht kirchlich gebundene Formen von Religiosität.

Rable betont die Bedeutung des unbestimmten Artikels in seinem Untertitel "A Religious History of the American Civil War" (5). Die Anzahl der Quellen, die Bedeutung des Themas und die Komplexität möglicher Fragestellungen ließen Raum für zahlreiche weitere "religious histories of the conflict" (5). Mit "God's Almost Chosen Peoples" hat er dafür eine sehr gute Grundlage gelegt, die jedem Experten empfohlen werden kann. Allein das Quellenmaterial und die Aufarbeitung des Forschungsstandes machen das vorliegende Werk, trotz der angesprochenen Mängel, zu einem sehr guten Referenzwerk.


Anmerkungen:

[1] George C. Rable: Fredericksburg! Fredericksburg!, Chapel Hill, NC 2002.

[2] Vgl. http://www.as.ua.edu/history/html/faculty/rable.html (23.01.2012).

[3] Drew Gilpin Faust: This Republic of Suffering: Death and the American Civil War, New York 2008; Harry S. Stout: Upon the Altar of the Nation: A Moral History of the Civil War, New York 2006; David Goldfield: America Aflame: How the Civil War Created a Nation, New York 2011.

[4] Michael Hochgeschwender: Wahrheit, Einheit, Ordnung, Die Sklavenfrage und der amerikanische Katholizismus 1835-1870, Paderborn 2006.

John Andreas Fuchs