Rezension über:

Erich Donnert: Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches. Johann August Starck (1741-1816), Ludwig Adolf Christian von Grolman (1741-1809) und Friedrich Nicolai (1733-1811), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, 344 S., ISBN 978-3-631-61301-6, EUR 54,80
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Rezension von:
Wolfgang Burgdorf
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Burgdorf: Rezension von: Erich Donnert: Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches. Johann August Starck (1741-1816), Ludwig Adolf Christian von Grolman (1741-1809) und Friedrich Nicolai (1733-1811), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/20020.html


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Erich Donnert: Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches

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Am Vorabend der Französischen Revolution befand sich der Protestantismus in Deutschland in einer Krise. Die Orthodoxie sah sich bedrängt von Pietisten und Schwärmern auf der einen und von Neologen, "zudringlichen Religionsaufklärern", auf der anderen Seite. Letztere versuchten, ein "vernünftiges schriftmäßiges Christentum" durchzusetzen (305). Hier drohte von theologischer Seite die rationalistische Zersetzung der Offenbarung. Das waren eigentlich genügend Schwierigkeiten, aber in dieser Situation beschuldigten sich dann noch prominente Vertreter der lutherischen Konfession gegenseitig des Krypto-Katholizismus, Jesuitentums und sogar des Judaismus. Dahinter stand unter anderem die Krise der Freimaurerei. Diese Streitigkeiten wurden auf verschiedenen Ebenen und Schauplätzen zwischen den unterschiedlichsten Personen ausgetragen.

Sie sind auch Gegenstand der hier anzuzeigenden Darstellung und Edition von Erich Donnert. Sujet des Buches ist die Gegenbewegung zur Aufklärung, die in Europa bereits vor Ausbruch der Französischen Revolution im Gewand konservativer Publizistik, aufgefächert in zahlreiche Strömungen, in Erscheinung trat und auch zum Erlass des Wöllnerschen Religionsediktes durch den preußischen König Friedrich Wilhelm II. am 9. Juli 1788 führte.

Im Mittelpunkt stehen die Aktivitäten und Schriften des protestantischen Theologen und Freimaurers Johann August Starck sowie des Gießener Regierungsdirektors Ludwig Adolf Christian von Grolman einerseits und der Berliner Aufklärer um Friedrich Nicolai und den lutherischen Pastor Karl Dietrich Wehrt in Kurland andererseits. Daneben waren auch weitere Personen wie der Obskurant Johann Georg von Zimmermann, aber auch die Freifrau Elisabeth von der Recke beteiligt.

Der erste Teil des Buches ist der Darstellung des Konfliktes gewidmet. Die beiden letzten Drittel enthalten Faksimiles der Texte, in denen sich die Parteien gegenseitig diffamierten. Ursprünglich waren alle an der Auseinandersetzung beteiligten Männer aufklärerisch orientiert und in der Freimaurerei engagiert. So versuchte Strack während seines Aufenthaltes in Kurland 1777 bis 1781 ein Hochgradsystem zu etablieren, welches angeblich auf den Templerorden zurückging: das sogenannte "Klerikat". Es gelang ihm aber nicht, dafür eine breitere Akzeptanz zu erreichen. Dies führte zu seiner Distanzierung von früheren Weggefährten und ließ den gegen Starck erhobenen Vorwurf des Krypto-Katholizismus naheliegend erscheinen. Dieser Vorwurf war der Anlass für einen von Starck angestrengten Injurienprozess sowie für eine Vielzahl von wechselseitigen Pamphleten.

Interessant ist, dass die Gegenaufklärer in dieser Auseinandersetzung das Vokabular der Aufklärung übernahmen. So richtete sich Karl von Eckhartshausen schon 1785 in einer Schrift "Über die literarische Intoleranz unseres Jahrhunderts" gegen die "einförmige Gleichheit", die Diskursherrschaft der Aufklärer und "aufgeklärte Despoten" wie Kaiser Joseph II. (15).

Dass sich auch eine Frau wie Elisabeth von der Recke innerhalb der Auseinandersetzung äußerte, wurde von den Gegenaufklärern als Grenzüberschreitung dargestellt, und mit dem Versuch quittiert, die Autorin lächerlich zu machen. Durch die Offenbarung dieses bornierten Geschlechterbildes wird die Edition auch für die Genderforschung interessant. Starck warf Frau von der Recke vor, sie habe die "Kabbala der Berliner adoptiert", um aus "Zahlen und Buchstaben den heimlichen Jesuitismus hervorzuzaubern", obwohl sie doch einst eine "Schoßjüngerin" Cagliostros gewesen sei (220f.). Durch ihr Eingreifen in die Debatte habe sie sich "über alles hinaus" gesetzt, während Nicolai bei ihrer Schrift über Cagliostro die "Hebamme gemacht" habe (225). Unordentlicherweise waren also hier für Starck die Geschlechterrollen vertauscht worden. Letztlich habe Frau von der Recke "die Lächerlichkeit und Verblendung so weit" getrieben, "dass sie sich zur Kunstrichterin" über seine Verteidigungsschrift aufgeworfen habe. Sie habe sich "prostituiert", ohne "darüber nachzudenken, dass Frauenzimmer über Freimaurerei gar nicht urteilen" können (226). Das Engagement von Frau von der Recke erlaubte es Starck, die gesamte Argumentation der Gegenseite als "Geklatsche und wahres Weibergetratsche" zu denunzieren (259 und 311).

Zudem eröffnet die Edition einen Blick auf die Entstehung des Antisemitismus. Da die Berliner Aufklärer um Nicolai mit Moses Mendelssohn verkehrten, wurden sie mit Juden identifiziert, und es wurden tradierte negative Konnotationen auf die Aufklärung übertragen. Dabei wurde aber nicht theologisch-antijudaistisch argumentiert. Das hätte nicht zur gemeinsamen "rationalen" Sprache der Auseinandersetzung gepasst. Man begnügte sich damit, das schlechte Image der Juden auf die Aufklärer zu übertragen. So erschienen die Aufklärer als Sekte, implizit verbunden mit Ritualmord und Gottesmord. So schwang der Hauptvorwurf gegen die Aufklärung mit, ohne ausgesprochen zu werden. Genauso sprach Johann Georg von Zimmermann 1788, als er versuchte, den verstorbenen "Friedrich den Großen" gegen die Aufklärung zu positionieren, von der "Aufklärersynagoge" und den "Judenkniffen" der Aufklärer. Er konnte hier an eine Grundeinstellung des preußischen Königs anknüpfen, der sich ebenfalls in die Frühgeschichte des Antisemitismus eingeschrieben hatte, 1742 die Juden aus Breslau ausweisen und ab 1772 Zehntausende von Juden aus Westpreußen vertreiben ließ. Auch der König argumentierte nicht theologisch, sondern mit dem schädlichen Geschäftssinn und den angeblichen Charaktereigenschaften der Juden.

Es war Karl Dietrich Wehrt, der 1789 anknüpfend an die bereits seit Jahren geführte Krypto-Katholizismus-Debatte, behauptete, Starck sei in Wahrheit Katholik, trage unter der Perücke eine Tonsur und sein "Klerikat" diene der Proselytenmacherei. Er berief sich dabei auf einen "rechtschaffenden und determinierten Mann", der die "sichersten Beweise" dafür beibringen könne, ihm jedoch sein Ehrenwort abgenommen habe, keinen öffentlichen Gebrauch von diesen Informationen zu machen (12). Die Lüftung der Identität dieses Mannes wurde zu einem Hauptgegenstand der weiteren öffentlichen Auseinandersetzungen. Als die Debatte immer weitere Kreise zog, gab er sich schließlich selbst zu erkennen.

Es zeigte sich, der Ursprung des Streits war ein Scherz, den sich der Geheime Legationsrat Christopher Luther von Dörper in Kurland erlaubt hatte. Dörper mokierte sich bereits seit Längerem über die "unablässliche Katholiken- und Jesuitenricherei" (322 und 329) der Berliner Aufklärer. Zeigte sich doch hier trotz der fast vollständigen Abwesenheit von Katholiken in Norddeutschland eine zunehmend bizarre Katholikenphobie, eine Phobie, die zudem der Inquisition verwandte Züge offenbarte.

Die Realsatire begann, als Dörper in Kurland während einer Gesellschaft auf Wehrt traf und in ihm einen "gläubigen Jünger der Berliner Zionswächter" erkannte (326), was ihm sehr missfiel. Weil er ihn aber dennoch mochte und "gute Absichten mit ihm im Sinne hatte, seine Verschwiegenheit prüfen wollte", berichtet Dörper, "so machte ich ihm die fausse decouverte, die doch eigentlich nichts als Persiflage der Berliner Offenbarungen war, Starck mag wohl eine Tonsur haben, aber die Berliner werden es ihm nicht beweisen - aber Parole! Sagen sie es niemanden, denn ich habe es ihm versprochen!"

Dörpers Absicht war es, die angebliche "Lächerlichkeit der Berliner Monatsschrift" in "ihrer ganzen Blöße öffentlich erscheinen" zu lassen (330). "Wenn der lutherische Doktor Theologiae und Oberhofprediger Herr Starck ein Jesuit" ist, "so sind seine Gegner Juden, welche den Modekram von Publizität, Aufklärung und Geheimnisverräterei vor dem neugierigen und leichtgläubigen Publikum auftischen um ihrem Warenlager mehr Käufer zu verschaffen" (327). Neben Starck wurden auch der Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi und der reformierte Pfarrer Johann Caspar Lavater als Krypto-Jesuiten verdächtigt.

Die Lektüre der Edition macht wenig Vergnügen, da die Argumentation auf beiden Seiten von einer Unzahl von Redundanzen und insgesamt von einer extremen Kleingeistigkeit gekennzeichnet ist. Leider ist auch die einleitende Darstellung nicht frei von Wiederholungen. Irritierend ist, dass die Edition des Initialtextes von Wehrt unvermittelt, mitten im Wort abbricht (210).

Aber: Quelleneditionen sind grundsätzlich verdienstvoll. Die Darstellung und Edition von Erich Donnert liefert wertvolle Aufschlüsse zur Geschichte der Öffentlichkeit, der Aufklärung und Gegenaufklärung, zur katalysatorischen Funktion der Französischen Revolution für diese deutsche Debatte, aber auch zur Geschichte der Geschlechter, der Religion, der Freimaurerei und des frühen Antisemitismus. Hauptsächlich ist das Werk der Gegenaufklärung gewidmet, die jüngst von Annette Meyer erörtert wurde. [1]


Anmerkung:

[1] Annette Meyer: Die Epoche der Aufklärung (=Akademie Studienbücher: Geschichte), Berlin 2010, 171-174.

Wolfgang Burgdorf