Iris Fleßenkämper: Considerations - Encouragements - Improvements. Die Select Society in Edinburgh 1754-1764 (= Colloquia Augustana; Bd. 27), Berlin: Akademie Verlag 2010, 399 S., ISBN 978-3-05-004476-7, EUR 69,80
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Die Select Society in Edinburgh, zu deren Mitgliedern so bekannte Persönlichkeiten wie William Cullen, David Hume, Alexander Monroe und Adam Smith gehörten, zählte zu den wichtigsten Gelehrteninstitutionen der schottischen Aufklärung. Die renommierte Sozietät dient Iris Fleßenkämper als Beispiel, um die Kommunikationsformen und sozialen Netzwerke der schottischen Aufklärer aus kulturgeschichtlicher Sicht zu analysieren. Die 2006 von der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg angenommene Dissertation entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs "Wissensfelder der Neuzeit. Entstehung und Aufbau der europäischen Informationskultur". Diesem Entstehungskontext entsprechen die formulierten Forschungsperspektiven (Teil I). Die Verfasserin geht von der Voraussetzung aus, dass wissenschaftlicher Wandel nicht nur im Aufkommen neuer Ideen, Methoden und Gegenstände des Wissens besteht, sondern auch im Wandel der Strukturen und Institutionen der Wissensproduktion, des Wissensaustauschs und der Wissensdistribution. Entgegen der bisher vor allem ideengeschichtlich ausgerichteten Forschung versteht sie die schottische Aufklärung weniger als individuelle Leistung grosser Denker, sondern versucht sie aus der spezifischen Struktur ihrer kollektiven Organisation und ihrer Kommunikationsformen zu erklären. Gleichzeitig ist sie sich bewusst, dass sich die gelehrten Gesellschaften des 18. Jahrhunderts innerhalb eines konkreten politischen, sozialen und kulturellen Systems konstituierten und deshalb nicht von diesem isoliert betrachtet werden können. Folgerichtig umreisst Iris Fleßenkämper in den geistes- und sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen (Teil II) zum einen die kommunikationsgeschichtlichen Voraussetzungen für die Entstehung einer sozietären Gelehrtenkultur (Gelehrtenrepublik, Druckmarkt, Vorbild Royal Society) und zum anderen die sozio-politischen Kontexte der Aufklärung in Edinburgh sowie in Schottland überhaupt. Diese Tour d'Horizon ist kenntnisreich, aber vielleicht etwas zu breit angelegt und nicht ganz ausreichend auf die folgenden empirischen Teile ausgerichtet.
In Teil III wird das soziale Profil der Select Society analysiert. Die Mitglieder entstammten mehrheitlich der bildungsbürgerlichen Mittelschicht oder der niederen Gentry, hatten eine umfangreiche Ausbildung genossen und waren mit der klassischen Literatur und Philosophie vertraut. Besonders positiv hervorzuheben ist hier das methodische Vorgehen. Erstens werden in der prosopographischen Auswertung neben den insgesamt 163 Mitgliedern auch die 62 abgewiesenen Kandidaten berücksichtigt. Die gelehrte Vernetzung wird dabei als ein zentrales Kriterium im Selektionsprozess der Sozietät sichtbar. Zweitens werden sowohl der ausgeübte Beruf bei der Aufnahme in die Sozietät als auch die in späteren Jahren erworbenen Ämter erfasst; auf diese Weise lassen sich Rückschlüsse auf die beruflichen Aufstiegschancen eines jeweiligen Bewerbers ziehen, die für die Kooptation möglicherweise eine entscheidende Rolle spielten. Drittens finden soziale Interaktion und Vernetzung innerhalb der Sozietät starke Berücksichtigung, dies v.a. auf der Grundlage von rund 200 ausgewerteten Briefen wichtiger Mitglieder. Die Verwandtschafts-, Freundschafts- und Patronagebeziehungen helfen die zusätzliche Funktion der Sozietät als übergreifende Kontakt- und Vermittlungsstelle zu verstehen. Überzeugend kann die Verfasserin den Schluss ziehen: "Die Select Society war demnach ein sozialer Raum, in dem die Mitglieder eine Vielzahl von Beziehungen aktivieren und mobilisieren konnten, die früher oder später einen unmittelbaren Nutzen versprachen." (231) Dieser freundschaftlich geprägte Austausch von Hilfsleistungen, der sich einerseits an Kategorien der Zweckdienlichkeit orientierte und anderseits Ausdruck moralischer und gemeinschaftlicher Verbundenheit in der Gelehrtenreplik war, entspricht dem Konzept der "nützlichen Freundschaft" [1], auf das aber kein direkter Bezug genommen wird.
Anschliessend nimmt Iris Fleßenkämper die Organisationsformen und die kommunikative Praxis der Select Society in den Blick (Teil IV). Schön herausgearbeitet werden dabei das "Prinzip der Egalität", das "Primat der Toleranz" sowie das stetige Bemühen um "Disziplin und Engagement" der Mitglieder. Das gemeinnützige Aktionsfeld der Select Society kommt anhand ihrer Zweiggesellschaften zur Darstellung. Die Select Society for Promoting the Reading and Speaking of the English Language in Scotland zielte auf die Förderung des Englischen. In führenden Gelehrtenkreisen galt der schottische Dialekt als provinziell und vulgär, ein akzentfreies reines Englisch hingegen wurde zum Ideal erklärt. Die Society for the Encouragement of Arts, Sciences, Manufactures, and Agricultures in Scotland suchte die agrarische und gewerbliche Produktion durch kritische Diskussion und jährliche Preisausschreiben zu fördern. Ihre Bedeutung erkennt die Verfasserin weniger im direkten wirtschaftlichen Erfolg, als vielmehr in der Verbindung neuer kommunikativer und pädagogischer Konzepte, die auf breiter gesellschaftlicher Ebene erst die Entwicklung der Industrialisierung ermöglichten. Ein Befund, der auch im jüngsten Überblick zur Ökonomischen Aufklärung bestätigt wird. [2]
Die vorliegende Arbeit sieht sich als Versuch, das bisherige Forschungsfeld der schottischen Aufklärung um zentrale kommunikations- und wissenschaftsgeschichtliche Aspekte zu erweitern. Dieses Ziel wurde übers Ganze gesehen zweifellos erreicht. Allerdings wäre eine verstärkte Verzahnung der personalen und formalen Strukturen und Kommunikationsvorgänge mit den eigentlichen Wissensinhalten wünschbar gewesen. Dies hätte aber wohl den Rahmen einer Dissertation gesprengt und bleibt künftigen Forschungen vorbehalten. Iris Fleßenkämper hat dazu eine hervorragende Grundlage geliefert.
Ein Verzeichnis mit allen Mitgliedern der Select Society und den abgewiesenen Kandidaten, einem Personenregister sowie einem kombinierten Orts- und Sachregister schliessen den ergiebigen Band ab.
Anmerkungen:
[1] Hubert Steinke (Hg.): Der nützliche Brief. Die Korrespondenz zwischen Albrecht von Haller und Christoph Jakob Trew 1733-1763, Basel 1999, hier 15-20.
[2] Marcus Popplow: Die Ökonomische Aufklärung als Innovationskultur des 18. Jahrhunderts zur optimierten Nutzung natürlicher Ressourcen. In: Ders. (Hg.): Landschaften agrarisch-ökonomischen Wissens. Strategien innovativer Ressourcennutzung in Zeitschriften und Sozietäten des 18. Jahrhunderts, Münster [u.a.] 2010, 3-48.
Martin Stuber