Daniel Petry: Konfliktbewältigung als Medienereignis. Reichsstadt und Reichshofrat in der Frühen Neuzeit (= Colloquia Augustana; Bd. 29), Berlin: Akademie Verlag 2011, 250 S., ISBN 978-3-05-004939-7, EUR 59,80
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Die Vielzahl an frühneuzeitlichen Untertanen- und Verfassungskonflikten im Alten Reich fand nicht nur zeitgenössisch erhebliche Aufmerksamkeit. Seit mehreren Jahrzehnten widmet sich auch die Historiografie verstärkt diesem Themenbereich, woraus zahlreiche Studien hervorgegangen sind. Das spezielle Interesse der historischen Zunft am Konflikthaften gründet indes nicht nur in der thematischen Attraktivität oder der hohen Anschlussfähigkeit von solchen Perspektiven an diverse kultur- und rechtshistorische Forschungskomplexe. Für das Interesse gibt es auch ganz praktische Gründe: das Vorhandensein von überaus reichhaltigen und umfangreichen Archivbeständen. Insbesondere wer zur Geschichte der frühneuzeitlichen Reichsstädte arbeitet, kommt an den einschlägigen Quellenbeständen nur schwerlich vorbei. In der Regel tragen diese umfangreichen Konvolute Titel, in denen mit aller Wahrscheinlichkeit ein "contra" zwischen der Nennung zweier (Streit-)Parteien platziert ist.
Nach einer Phase der schwerpunktmäßigen Erkundung der strukturellen und der spezifischen Konfliktursachen werden allmählich auch die kommunikativen Prozesse des Konfliktverlaufs bzw. der Konfliktbeilegung stärker betont. [1] In diesem Fahrwasser ist auch die historische Dissertation (Augsburg 2008) von David Petry zu verorten, die das Hauptaugenmerk auf die Kommunikationssituation des Konfliktaustrags zwischen Reichsstadt und Reichshofrat in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts legt. In seinen eigenen Worten ausgedrückt konzentriert sich Petry auf den "Zusammenhang von Konfliktaustrag und Kommunikation" (13), was auch die Signalwörter des Titels ("Konfliktbewältigung als Medienereignis") unterstreichen. Konkret untersucht der Autor mittels eines zweigleisigen Ansatzes, der eine medien- und kommunikationshistorische Herangehensweise mit einer reichs- und landesgeschichtliche Perspektive kombinieren soll, Fallbeispiele aus den fränkischen und schwäbischen Reichsstädten Nürnberg, Augsburg, Weißenburg und Dinkelsbühl.
Den vier inhaltlichen Kapiteln sind eine knappe Einführung und einige Seiten zur historiografische Relevanz des Themas "Konflikte und Konfliktaustrag in den Reichstädten" anhand der Beispiele Augsburg und Nürnberg vorangestellt. Grundsätzlich folgt Petry der Forschungsmeinung, nach der die ansteigende Zahl von Reichshofratsprozessen während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Folge einer allgemeinen "Verrechtlichungstendenz" zu bewerten sei. Aus diesem phänomenologischen Befund leitet der Autor die These ab, dass es "im Zuge der [reichsstädtischen Reichshofrats-] Prozesse zu einer kommunikativen Verdichtung zwischen Reich und Region und damit zu einer verstärkten Integration der Territorien in das Reich [gekommen sei]" (14). Anders formuliert geht die Studie davon aus, dass das Reich besonders durch die Konfliktfälle, die auch am Reichshofrat ausgetragen wurden, in den Reichsstädten präsent war - als rechtliche Institution, auf personaler Ebene (zum Beispiel durch Lokalkommissionen), in kommunikativer Hinsicht (zum Beispiel in mündlichen Stadtgesprächen und als Thema der zeitgenössischen Publizistik), und nicht zuletzt auf ideeller Ebene (als Konfliktbeistand). Zugleich impliziert Petrys Konzept, dass die Reichsstädte durch die Inanspruchnahme der Reichsgerichte für die "Konfliktbewältigung" einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des Reiches leisteten. Ohne vorauszugreifen, sei bereits hier angemerkt, dass der Autor seine These am Ende der Studie bestätigt sieht: "Mehr Konflikte, mehr Kommunikation, mehr Reich" (177) lautet deshalb seine komprimierte Sentenz im Fazit.
Um die ausgemachte "kommunikative Verdichtung" und den daran gekoppelten Integrations- und Transferprozess deutlicher zu machen, widmen sich die vier Kapitel jeweils unter einem anderen Aspekt dem "Konfliktaustrag". Zunächst stellt Petry die Leistungen der Reichsgerichtsbarkeit in den Vordergrund (Kapitel "Konfliktaustrag und Recht") und betont die Schlüsselstellung des Reichshofrats als "wichtigstes kaiserliches Machtinstrument", das als Institution stände- und konfessionsübergreifend Vertrauen vermittelte (65). Diese Ausstrahlung als unparteiische Institution ließ den Kaiser als "Hüter des Rechts" (54) erscheinen und beförderte ein "zunehmend abstraktes Systemvertrauen" (53), so der Argumentationsgang. Auf personaler Ebene sorgten die zahlreichen Gesandten und Reichshofratsagenten dafür, jenes Systemvertrauen überhaupt erst zu ermöglichen (Kapitel "Konfliktaustrag und personale Beziehungen"). Dass die zeitgenössischen Zeitungs- und Zeitschriftenperiodika implizit und explizit prozessrechtliche Informationen wortwörtlich abdruckten und somit auf breiter Rezipientenbasis ein Wissen von den Dynamiken, Strukturen und Konturen des Reichsrechts etablierten, das anhand konkreter Prozessabläufe auch en detail nachvollzogen werden konnte, ist Thema des vorletzten Kapitels ("Konfliktaustrag und Wissen"). Hier bestätigt sich abermals, dass die Zeitungsperiodika als mentalitätsprägender Faktor für breite Bevölkerungsschichten eine viel höhere Relevanz besaßen, als dies die Forschung noch vor zwei Jahrzehnten annahm. Auch Petry kann aufzeigen, dass es zwar allmählich zu einer Welle von elitären Veröffentlichungen zum Reichsrecht kam, aber dass die maßgebliche "Wissenssicherung jenseits der in Bibliotheken und Archiven akkumulierten Bestände" (122) für ein breites Publikum von der Zeitungslektüre angeregt wurde. Das letzte Kapitel ("Konfliktaustrag und Medien") behandelt in gewissem Sinne die daraus erwachsenen Konsequenzen, denn die thematischen Feedbackschleifen in der periodischen Publizität sorgten für eine sensibilisierte öffentliche Wahrnehmung der Konflikte. Petry nutzt in diesem Zusammenhang den Terminus "Medienecho", um auf die facettenreichen (mündlichen, handschriftlichen und gedruckten) Medienstrategien der beteiligten Akteure sowie deren medialen Resonanzen hinzuweisen. Indem er auch für den Reichshofrat "multimediale Strategien" (174) nachweisen kann, bestätigt er auf einer übergeordneten Ebene die Forschungsergebnisse zur zeitgenössisch typischen Zunahme von obrigkeitlichen Öffentlichkeitsaktionen (etwa von Peter Burke, Jutta Schumann oder Maria Goloubeva). Parallel zur obrigkeitlichen Aktivität stellt der Autor auch die "immer professionellere Kommunikationsstrategie klagender Bürger" (174) heraus, die oft durch den Einsatz von Flugpublizistik unterstützt wurde.
Die Studie hat ihre überzeugendsten Momente, wenn es um die These geht, nach der die Reichsstädte auch als Träger eines sich beschleunigenden Verrechtlichungsprozesses nach 1700 angesehen werden können. Zumindest für die vier exemplarisch ausgewählten Städte kann Petry diese These überzeugend erhärten. Jedoch offenbart sich in der Vielzahl an angeschnittenen kommunikations-, publizistik- und medienhistorischen Kontexten, dass die Expertise des Autors nicht vornehmlich in diesen historiografischen Teilbereichen liegt. Viele einschlägige Forschungsstände und -studien sucht man vergebens; das "Fazit" umkreist (auch deshalb) lediglich die eigenen Befunde und eröffnet keine erweiterte Perspektive zum Beispiel auf die mediale Logik der Öffentlichkeit im beginnenden 18. Jahrhundert und die daraus erwachsenden Konsequenzen für die Konfliktlösungsmechanismen im Alten Reich. Zudem wird selbst die Titelvokabel "Medienereignis" nicht hinreichend erläutert und ebenso wenig der Vorteil eines solchen analytischen Zugriffs konkretisiert.
Anmerkung:
[1] Siehe beispielsweise zur medialen Vermittlung von Rechtsprechungsprozessen im Alten Reich des 17. und 18. Jahrhundert den in Kürze erscheinenden Sammelband: Anja Amend-Traut / Anette Baumann / Stephan Wendehorst (Hgg.): Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis (= bibliothek altes Reich; Bd. 11), München 2012.
Daniel Bellingradt