Annika Akdeniz-Taxer: Öffentlichkeit, Partizipation, Empowerment. Frauen in der Lokalpolitik ländlich geprägter Gegenden der Türkei, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, 250 S., ISBN 978-3-531-17121-0, EUR 34,95
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Das vorliegende Buch stellt die Partizipationsprozesse der Kommunalpolitikerinnen in den ländlichen Gegenden der Türkei dar und gibt abseits von parteipolitischen Unterschieden hervorragende Einblicke in die Handlungsstrategien und Gemeinsamkeiten der 18 Bürgermeisterinnen auf ihrem Weg zur Lokalpolitikerin und während ihrer jeweiligen Amtszeit.
Nicht nur in Bezug auf den türkischen Kontext sondern auch in den theoretischen Grundlagen ihrer Studie leistet Akdeniz-Taxer in dem auf der 2009 im Fachbereich der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main eingereichten Dissertationsschrift basierenden Werk, wie Uta Ruppert im Geleitwort des Buches hervorhebt, "in mehrfacher Hinsicht Neues". Sie befasst sich nämlich mit "peripheren" Akteuren innerhalb der Transformationsforschung, die bisher vor allem auf zentrale Akteure fokussiert ist. Zudem setzt die Autorin sich kritisch mit der politischen Partizipationsforschung im Hinblick auf Frauen auseinander und bemängelt, dass deren Interesse immer noch vorwiegend der parlamentarischen Ebene gelte. Dies trifft auch für die Türkei zu, die sehr stark zentralistisch orientiert ist. Die Kommunen finden sowohl in der Politik als auch in der Forschung noch nicht das ihnen eigentlich gebührende Echo. Obwohl die Genderforschung stark vertreten ist, blieben die Partizipationsprozesse von Frauen auf der kommunalen Ebene bis zur vorliegenden Studie ein marginalisiertes Thema.
Mit ihrer empirischen Studie, die in erster Linie auf den während einer Feldforschung im Jahre 2006 geführten Leitfadeninterviews beruht, führt Akdeniz-Taxer eine neuartige Sicht in die wissenschaftliche Debatte ein. Ihre Hauptfragestellung ist die institutionell verankerte Partizipation von Frauen an der Spitze der Lokalpolitik. Darauf aufbauend thematisiert sie, wie es diese wenigen Frauen bis zum Bürgermeisteramt in den abgelegenen Kommunen geschafft haben und damit die Annahme widerlegen, die Frauen könnten höchstens in den Metropolen und Großstädten der Westtürkei gewählt werden, weil diese ohnehin europäisch geprägt seien. Außerdem nimmt die Frage, wie die Öffentlichkeit geschlechtsbezogen strukturiert wird, einen gewichtigen Anteil in der vorliegenden Abhandlung ein.
Die Arbeit zeichnet sich durch eine klare und übersichtliche Struktur aus. Abgesehen von der Einleitung und dem Schlussteil ist sie in sechs Kapitel unterteilt, wobei die letzten drei die Hauptkapitel sind, in denen die geführten Interviews ausgewertet werden. In dem einleitenden Teil erläutert die Autorin die Relevanz des Themas von Politikerinnen in ländlich geprägten Gebieten der Türkei als Forschungsgegenstand. Es folgt das erste Kapitel, das einen allgemeinen Überblick über die Partizipation von Frauen in Gesellschaft und Politik in der Türkei bietet. Zunächst skizziert die Autorin in einem kurzen aber spannenden historischen Aufriss den Anfang der Frauenbewegung, deren Wurzeln bis in die Reformepoche der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Die Gründungsjahre der Republik nach 1923 waren dann von einem kemalistischen Staatsfeminismus gekennzeichnet, der die Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit sowie die institutionell-politische Partizipation durch Wahlrechte förderte, jedoch Organisationsfreiheit nicht befürwortete. Trotz einer guten juristischen Grundlage für die Partizipation von Frauen konnte ihr Anteil nie über 4,5 Prozent in der institutionellen Politik steigen. Erst bei den Parlamentswahlen 2007 zeichnete sich ein Frauenanteil von 10 Prozent ab. Bei den Kommunalwahlen ist die Zahl noch deutlich niedriger. Obwohl mit 35 Prozent ein relativ hoher Anteil von Frauen in den staatlichen Institutionen, Universitäten und in der Wirtschaft vertreten ist, bleibt die weibliche Partizipation in der institutionellen Politik extrem niedrig. Frauen leisten zwar als Mitglieder in den politischen Parteien gute Arbeit auf der grassroot-Ebene. Werden sie aber für die Wahlen von der eigenen Partei nicht als Kandidatinnen nominiert, so bleiben sie von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Dieses Phänomen kann sogar als einzige Gemeinsamkeit von allen Parteien bezeichnet werden.
Im zweiten Kapitel erläutert Akdeniz-Taxer die zentralen Begriffe der Arbeit (Repräsentation, Empowerment, Partizipation, Öffentlichkeit) im Türkeikontext. Um die Partizipationsformen von Frauen in den ländlichen Gegenden einzuordnen, entwickelt sie ein eigenes Konzept von Öffentlichkeit und Privatheit, die hier nicht zwangsläufig als Gegensätze anzusehen sind. "Öffentlichkeit" sei ein "Raum der Interaktion von Individuen und kollektiven Akteuren", in dem politische Themen diskutiert werden (63). Sie bedeute im Kontext der Kommunalpolitik, einen gesellschaftlichen Raum, in dem das Politische der Kommune verhandelt wird. Im Anschluss daran stellt die Autorin die Frage, ob sich die Öffentlichkeitsverhältnisse verändern, wenn Frauen eigene Strategien entwickeln, um politisch zu partizipieren. Um dies zu beantworten, erweitert Akdeniz-Taxer den Partizipationsbegriff durch eine geschlechtssensible Sicht, indem sie die Partizipation sowohl in der öffentlichen als auch privaten Sphäre definiert. Genau diese Perspektive verleiht ihrer Studie einen neuen Stellenwert. Da es in ihrer Studie um die Politikerinnen auf der lokalen Ebene geht, werden geschlechtsspezifische soziale und ökonomische Partizipationsstrukturen herangezogen, um Möglichkeiten und Prozesse zur Wahl einer Amtsinhaberin in den ländlichen Kommunen zu erklären. Ihre Handlungsstrategien zeigen, wie das Politische und Private miteinander verknüpft wird. "Das Geschlechtersystem in der lokalen Gemeinschaft prägt und verlangt die Herausbildung von spezifischen Partizipationsmustern, die die Wahl einer Frau erst ermöglichen" (67). In älteren Studien wie der von Horst Unbehaun (1994) spielten klientelistische und traditionelle Partizipationsformen eine Rolle. [1] Auch die Politikwissenschaftlerin Yeşim Arat stellte in ihrer Studie the patriarchal paradox aus dem 1989 fest, dass die Unterstützung männlicher Familienangehöriger und Verwandte ein ausschlaggebendes Motiv für ihre Politisierung und Entscheidung der damaligen weiblichen Parlamentsabgeordneten war. [2] Akdeniz-Taxer geht nun der Frage nach, ob Frauen noch immer nur im Rahmen patriarchalen Machtstrukturen sich politisieren und nur durch die Unterstützung männlicher Familienangehöriger und Verwandter in politische Ämter gelangen konnten. Das Ergebnis ist, wie die Hauptkapitel der Studie zeigen, differenziert.
Die Kommunalpolitik ist der Gegenstand des vierten Kapitels. Die Autorin setzt sich mit der gängigen Gegenüberstellung vom Zentrum und Peripherie auseinander, die zur Erklärung von landesspezifischen Strukturen in der Türkei gern angewendet wird. Sie weist darauf hin, dass die Begriffe Zentrum und Peripherie vor allem durch Binnenmigration keine dezidierten Grenzen mehr aufweisen. Die Kommunen aller 18 Bürgermeisterinnen in der Studie sind "ländlich geprägte Gegenden", die auch Gecekondu-Viertels am Rande der Metropole sein können, aber auch das Dorf "jenseits der Metropole". Sie sind jedenfalls von eher schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen gekennzeichnet. Des Weiteren findet sich zwar das Thema Patronage- und Klientelsystem in diesem Kapitel, doch kommt dieser Aspekt trotz seiner Relevanz für das Forschungsthema ein wenig zu kurz.
Nach einem kurzen Abschnitt über die Arbeitsmethoden (qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung, Leitfadeninterviews mit Bürgermeisterinnen sowie weitere Interviews mit politischen Aktivistinnen) bietet Akdeniz-Taxer in den letzten zwei Hauptkapiteln hochinteressante Erkenntnisse, die durch eine sehr präzise Auswertung der geführten Interviews gewonnen wurden. Die 18 Bürgermeisterinnen wurden nicht in den westtürkischen Metropolen gewählt, sondern ausschließlich in den ländlichen Kommunen. Geographisch unterscheiden sich diese Kommunen voneinander stark. Auch die Politisierungsgründe der Bürgermeisterinnen sind unterschiedlich. Dabei spielen frauenspezifische Lebensbedingungen nicht immer eine Rolle. Auch the patriarchal paradox Yeşim Arats in Form von männlichen Verwandten als Rollenmodell oder "Frau des Ehemannes" spielt lediglich in einigen Beispielen eine Rolle. Politisierungsgründe sind nach Akdeniz-Taxers Studie wesentlich heterogener als in Arats Untersuchung. Trotz dieser Unterschiede weisen die Selbstdarstellungen von Kommunalpolitikerinnen aber auch eindeutige Gemeinsamkeiten in den Handlungsstrategien auf. Sie führen einen bemerkenswert sorgfältigen und geschlechtersensiblen Wahlkampf durch und erobern auf diese Weise die männlich dominierte Lokalpolitik. Die mit den Frauen in den Kommunen geführten Interviews bekräftigen, dass sie ihre Bürgermeisterinnen als Vorbilder sehen, wodurch ihre Bewusstwerdung und ihr Empowerment steigen. Schließlich kann festgehalten werden, dass die weiblichen Amtsinhaberinnen an der Spitze der Kommunalpolitik zu einer Veränderung der Öffentlichkeit und der politischen Partizipation beitragen, indem sie private Sphäre zugunsten der Partizipation von Frauen politisieren und auch frauenspezifische Problematiken in die Öffentlichkeit tragen. Auffällig ist, dass die interviewten Bürgermeisterinnen es überwiegend als selbstverständlich betrachten, dass sie als Frauen gemeinsame Interessen der Frauen vertreten. Dies zeigt, dass die Politikerinnen sich als "Gruppe Frauen" betrachten (197).
Insgesamt wirft Akdeniz-Taxer in ihrer äußerst lesenswerten Abhandlung eine Reihe neuer Fragen im Hinblick auf die politische Partizipation von Frauen jenseits von Metropolen auf. Sie zeigt, wie die Bürgermeisterinnen die vorhandenen Räume neu definieren und diese für ihre neue Handlungsstrategien geschickt nutzen, ohne die vorhandenen Strukturen radikal in Frage zu stellen. Somit agieren sie als eine Art Brücke zwischen zwei Sphären. Die Autorin unterstreicht deutlich, dass es ihr nicht um parteiideologische Differenzen der Politikerinnen geht, sondern um Partizipationsbemühungen und -muster von Kommunalpolitikerinnen jenseits der Parteipolitik. Ausgezeichnet ordnet sie die Schnittstellen zwischen der Genderforschung und der Transformationsforschung in den türkischen Kontext mit Fokus auf die Lokalpolitik ein. Insbesondere hat sie es geschafft, den zumeist auf Makroebenen gerichteten Blick auf die "Peripherien" zu lenken. Daher lege ich das Buch allen ans Herz, die sich für Genderfragen, Partizipationsforschung und für Türkeithemen interessieren.
Anmerkungen:
[1] Horst Unbehaun: Klientelismus und politische Partizipation in der ländlichen Türkei. Hamburg 1994.
[2] Yeşim Arat: the patriarchal paradox: women politicians in Turkey. London / Toronto 1989.
Gül Şen