Michael Schilling (Hg.): Illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit. Kommentierte Edition der Sammlung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg (= magdeburger museumshefte; Sonderheft), Magdeburg: Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2012, 142 S., 53 Abb., ISBN 978-3-941057-08-1, EUR 9,50
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Der Magdeburger Germanist Michael Schilling, Spezialist für frühmoderne Flugblattpublizistik, hat Flugblätter aus der Grafischen Sammlung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg in den Mittelpunkt seines akademischen Lehrbetriebs gestellt. Gemeinsam mit Studierenden hat er diesen Quellenbestand aufgearbeitet, die Ergebnisse in einer musealen Ausstellung gezeigt und in der hier vorliegenden Publikation dokumentiert. Aus dem Bestand von rund 140 Einzelstücken sind 53 Einblattdrucke ausgewählt worden, von denen drei aus dem 16., einer vom Anfang des 18., die übrigen aus dem 17. Jahrhundert stammen. Jedes Flugblatt ist eigens reproduziert worden, die Kommentierung pro Quelle umfasst ungefähr eine gute Druckseite.
Den Flugblattkommentaren vorgestellt ist eine knappe Einleitung, in der Michael Schilling das Flugblatt als Medium der Frühen Neuzeit skizziert und seine Produktion, den Vertrieb sowie die Themenvielfalt erläutert; schließlich stellt er kurz die Magdeburger Sammlung vor, aus der die bearbeiteten Blätter entnommen wurden (9-15). Anschließend widmet sich Karin Kanter, die Betreuerin der Magdeburger Sammlung, kurz den drei kolorierten Flugblättern, die hier vorgestellt werden (17-20). Diese gehören zu den insgesamt acht Blättern, die allein in dieser Sammlung überliefert sind; manche sind in anderen Druckvarianten greifbar, andere aber auch motivisch ein Unikat. Zehn weitere Flugblätter sind nur noch ein weiteres Mal überliefert, sodass insgesamt ein knappes Drittel der hier vorgestellten Quellen von exzeptionellem Wert ist.
Die publizistischen Zeugnisse behandeln ganz unterschiedliche Themen und lassen dabei viel von dem Reichtum der inhaltlichen und gestalterischen Möglichkeiten erkennen, der das Medium der Flugblätter kennzeichnet. Die Flugblätter, die politische und militärische Themen aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs aufgreifen, sind der Forschung wohlvertraut, so etwa die Blätter zum Untergang Magdeburgs (Nr. 2-5), zur Schlacht von Breitenfeld (Nr. 6-9) oder dem Tod Gustav Adolfs (Nr. 10, 11). Andere Druckgrafiken haben deutlich offiziellen, auch panegyrischen Charakter und zeigen Ereignisse im Umfeld dynastischer Feierlichkeiten wie etwa der Hochzeit Kaiser Leopolds I. im Jahr 1666 (hier Nr. 14, 15, siehe ferner auch 13 und 16).
Viele Blätter haben einen moraldidaktischen, auch satirischen Zug, wenn sie den Alkoholmissbrauch und überhaupt das Trinkgebaren thematisieren (Nr. 21-23), meist verbunden mit sexueller Zügellosigkeit (Nr. 38-40). Ferner werden allgemein Geldgier und Wucher kritisiert (Nr. 30, 35-37), mitunter kombiniert mit einer Diffamierung der Juden (Nr. 31). Deutlich zeitgebundener sind die Blätter, die vor dem Hintergrund der Münzverschlechterung im Dreißigjährigen Krieg (Kipper und Wipper) die Habgier anprangern (Nr. 28, 29); ähnlich argumentieren zwei Flugblätter, die die Schwierigkeiten des Kreditwesens in diesen Zeitläufen aufgreifen, allerdings eher unter moralischen denn ökonomischen Kategorien (Nr. 32-34).
Als typisches Thema kommt in zwei Beispielen des Alamode-Flugblatts die zeitgenössische Modekritik vor, die stets auch moralische und patriotische, d.h. antifranzösische Aspekte transportierte (Nr. 41, 42). Weiterhin werden religiöse Themen aufgegriffen. Neben dem sog. "Fastenwunder" eines jungen Mädchens (Nr. 43) und einem Flugblatt, das das Fastengebot für eine protestantische Zielgruppe erklärt (Nr. 51), rekapituliert ein anderes die Biografie des Reformators Luther aus Anlass des 150. Jubiläums der Reformation im Jahr 1667 (Nr. 17). Neben diesen positiv gewendeten Blättern fehlt aber auch die klerikale Kritik nicht; ein Blatt wirft den Geistlichen Trunksucht vor (Nr. 24). Die Sensationsgier der Zeit bedienen Flugblätter zu Wunderzeichen und außergewöhnlich anmutenden Geschichten (Nr. 44-48). Gleichsam als Kontrast dazu findet sich aber auch ein Flugblatt, das mit dem Vanitas-Motiv einen überaus typischen Aspekt des barocken Lebensgefühls aufgreift (Nr. 53).
Soweit es sich nicht um allgemeine Themen, sondern um solche mit Bezug auf konkrete Ereignisse oder Verhältnisse handelt, widmen sich die hier aufgearbeiteten Flugblätter praktisch ausschließlich Ereignissen aus dem Heiligen Römischen Reich. Eine Ausnahme bildet ein Flugblatt, das über die Pulververschwörung in England im Jahr 1605 und das Schicksal der Attentäter berichtet (Nr. 1). Fast alle Flugblätter richten sich an ein deutschsprachiges Publikum; nur ganz wenige sind in niederländischer oder französischer Sprache abgefasst (Nr. 18 und 19). Immerhin verlangt eine ganze Reihe der Druckerzeugnisse vom Leser ein gewisses Bildungsniveau, nicht nur aufgrund des Latein wie in Nr. 16, sondern weil Anspielungen in Wort und Bild einfach entsprechende Literaturkenntnisse voraussetzen.
Einen thematischen Schwerpunkt oder sonst irgendeine Tendenz lässt sich für die hier dargebotenen Flugblätter nicht aufzeigen. Dafür bietet das Konvolut insgesamt ein doch zu kleines Sample; auch zeigt die Sammlungsgeschichte, die erst nach 1945 einsetzte, dass hier kein wirklich gewachsener Bestand vorliegt, der einer bestimmten Ratio gefolgt wäre (vgl. dazu Schilling in seiner Einleitung, 13f.). Da somit übergeordnete Kriterien nicht auszumachen sind, bleibt nichts anderes, als in der Sammlung eine Summe von Einzelstücken zu sehen, die gleichwohl für sich genommen und je nach Forschungsinteresse von hohem Wert sein können.
Die Edition folgt dem bewährten Muster der Erschließung von Flugblättern, wie es besonders Wolfgang Harms, der Doyen der Erforschung und Herausgabe dieser publizistischen Zeugnisse, entwickelt und in mustergültigen Editionen vorgeführt hat. [1] Unbedingt hervorzuheben ist dabei allerdings das grundgelegte Konzept, Museumsarbeit mit universitärer Lehre und vor allem mit Forschungsaktivitäten zu kombinieren, bei denen Studierende eine zentrale Rolle spielten und entsprechend engagiert zu Werk gegangen sind.
So innovativ und so begrüßenswert die Projektanlage ist, so konservativ mutet allerdings die Publikation im Druck an, eben weil es sich um (illustrierte) Flugblätter handelt. Man muss nicht nur an die VD16, VD17 und VD18 erinnern, große Sammlungsprojekte, die zunächst noch als Druckwerke begonnen wurden, längst aber ihren Weg ins Internet gefunden haben. Überdies haben einige Bibliotheken begonnen, ihre Flugschriften- und auch Flugblattbestände zu digitalisieren und online verfügbar zu machen. Mag die Druckqualität des vorliegendes Bandes wirklich gut sein, ist doch gerade in puncto Lesbarkeit und Anschaulichkeit eine Online-Präsentation inklusive Zoomfunktion kaum zu übertreffen - hier im Druck wiederum bleiben einige Flugblatttexte trotz der guten Qualität bis hin zur Leserunfreundlichkeit klein (vgl. zum Beispiel Nr. 11, 19 oder 32). Auch die Kommentierung der einzelnen Flugblätter hätte man in einer Online-Publikation durch kollaborative Elemente bereichern können - eben weil hier eine Gruppe von Studierenden bei der Arbeit mit vielfach ähnlichen Quellen auf vergleichbare Phänomene gestoßen wäre und diese Querverbindungen hätte abbilden können, von Synergieeffekten bei der Erarbeitung der Kommentare ganz abgesehen. Aber auch die Bezüge dieser Sammlung zu anderen, größeren Verzeichnissen frühneuzeitlicher Publizistik hätten den Wert der Magdeburger Grafiken nochmals unterstrichen. Doch sollen diese Hinweise nicht verdecken, dass in überzeugender Weise neue Flugblätter für die Forschung grunderschlossen worden sind.
Anmerkung:
[1] Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, hg. von Wolfgang Harms, erschienen Bde. 1-4 und 7, München, dann Tübingen 1980-97.
Michael Kaiser