Sugata Bose: His Majesty's Opponent. Subhas Chandra Bose and India's Struggle against Empire, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2011, 448 S., ISBN 978-0-674-04754-9, USD 35,00
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Subhas Chandra Bose steht in Deutschland für eine so belanglose wie exotische Episode des Zweiten Weltkriegs: Nach einer dramatischen Flucht über Afghanistan und die Sowjetunion traf er 1941 in Berlin ein, um mit Hitler über die Aufstellung einer indischen Armee sowie die Befreiung Südasiens zu verhandeln. Die aus Kriegsgefangenen rekrutierte Indische Legion sollte eine marginale Rolle in Südfrankreich spielen, dafür durfte Bose über Radio Azad Hind regelmäßig zu seinen Landsleuten in Britisch Indien sprechen. Ansonsten verliefen die Unterredungen mit Hitler und Mussolini ergebnislos, worauf Bose sich nach Japan begab. Auch dieser Reise per U-Boot in den Indischen Ozean, wo eine Übergabe von U-Boot zu U-Boot stattfand, haftet etwas Tollkühn-Spektakuläres an.
In Indien wird Boses als eines Kriegshelden gedacht. Zusammen mit dem Übervater Gandhi, Sardar Vallabhai Patel als Vertreter der Konservativen sowie dem Salonsozialisten Nehru bildete er ein Viergestirn an der Spitze der Unabhängigkeitsbewegung. Anders als diese drei setzte Bose nicht nur auf friedliche Methoden des Widerstands und Aktivitäten im Lande. Die 1943 in kurzer Zeit aus dem Boden gestampfte Indian National Army (INA) war seit dem Aufstand von 1857 die erste indische Militäreinheit, die durch eine Invasion im Nordosten versuchte, die Kolonialherrschaft zu Fall zu bringen. Bose ist aber auch aus einem anderen Grund in die indische Geschichte eingegangen. Sein bis heute von vielen bezweifelter Tod bei einem Flugzeugunglück im August 1945 machte ihn - mehr noch als die ebenfalls vorzeitig verstorbenen Gandhi und Patel - zur idealen Projektionsfläche des Was-wäre-wenn. Das Indien Nehrus und seiner Nachfolger erfüllte viele Erwartungen nicht, und man schrieb und schreibt Bose zu, er hätte das Land geeint und dazu eine realistischere Außenpolitik betrieben. Schließlich steht er für den überproportionalen Beitrag Bengalens zur Unabhängigkeit und ist dort eine Art Nationalheiliger.
An Literatur zu Bose mangelt es nicht, wobei zumeist die Kriegsjahre im Mittelpunkt des Interesses stehen. [1] Sein Großneffe Sugata Bose, Ordinarius für südasiatische Geschichte in Harvard, hat nun erstmals das ganze Leben erfasst. Dank familiärer Bande verfügte der Autor über einen einzigartigen Zugang zu Quellen aller Art. Die Jugend seines Großonkels, der in Cuttack in der Provinz Orissa aufwuchs, war in vieler Hinsicht prägend: Frühe Erfahrungen als Angehöriger einer Minderheit legten die Grundlage für das ständige Bemühen um ein gedeihliches Miteinander von Indiens höchst unterschiedlichen Landesteilen. Nachdem der Teenager die Schriften des Reformers Vivekananda studiert hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den vielen Armen des Subkontinents zu. Dennoch strebte er zunächst eine bürgerliche Karriere an und gehörte zu den wenigen Auserwählten, die 1919 die Aufnahmeprüfung für den Indian Civil Service bestanden, der Beamtenelite Britisch Indiens. Das Examen wurde jedoch zum Wendepunkt in seinem Leben: Bose lehnte den Beitritt in den Kolonialdienst ab und beschloss, sich vollkommen dem Unabhängigkeitskampf zu widmen.
Bose diente in den folgenden Jahren der Kongresspartei. Sein wichtigstes Vorbild wurde allerdings nicht Gandhi, sondern Chittaranjan Das, der in der gemeinsamen Heimatprovinz Bengalen als bedeutender Sozialreformer und als Deshbandhu (Freund des Landes) verehrt wurde. Wie sein Mentor engagierte sich Bose insbesondere für den Ausgleich zwischen Hindus und Muslimen und für das Erziehungswesen. Dazu bereiste er Indien intensiv. Seine herausragenden Fähigkeiten als politischer Administrator und Agitator sorgten dafür, dass ihn die britisch-indischen Behörden bereits 1924 inhaftieren und nach Burma deportieren ließen.
Nach der Freilassung 1927, einem schnellen Aufstieg innerhalb der Kongresspartei und einer weiteren Haftstrafe wurde der gesundheitlich schwer angeschlagene Bose schließlich 1933 nach Europa ins Exil abgeschoben und nun erst recht - wie ihn der Buchtitel treffend nennt - "His Majesty's Opponent", weil er konsequenter als andere nur die Unabhängigkeit akzeptieren wollte: Fünf Jahre in der Alten Welt brachten den auch dort rastlos arbeitenden Bose in Verbindung mit europäischen Politikern und Intellektuellen, bei denen er für sein Anliegen warb. Bei seiner Rückkehr 1938 war er die Führungspersönlichkeit mit der umfassendsten außenpolitischen Erfahrung und wurde zum Präsidenten des Kongress gewählt. Diese Präsidentschaft stand allerdings unter einem schlechten Stern: Bose galt als links und radikal, weil er nicht nur den Abzug der Briten, sondern auch eine Veränderung der Macht- und Besitzverhältnisse im Land forderte. Der Unternehmerflügel der Partei, von Gandhi unterstützt, drängte Bose 1939 trotz Wiederwahl zum Rücktritt. Dieselbe Gruppierung verhinderte aus wirtschaftlichen Interessen eine von Bose angestrebte Koalition unter Einschluss der Kongresspartei in Bengalen. Es folgte der Kriegsausbruch und ein noch tieferer Dissens über die einzuschlagende Strategie. Während Bose Krieg gegen Großbritannien führte, entschied sich Gandhi 1942 für einen innerindischen Boykott, die Quit-India-Bewegung, die zur Inhaftierung der gesamten Führungsspitze bis Kriegsende führte. So war es Bose, der die Inder der Diaspora hinter sich zu einen suchte und mit der INA und japanischer Unterstützung bis 1945 die Kolonialherrschaft bedrohte.
Ausgesprochen ärgerlich ist das Fehlen einer Bibliographie. Zudem kann man Sugata Bose mangelnde Distanz zum Forschungsgegenstand vorwerfen, insofern er seinen Großonkel als Privatperson allzu sehr ins Reine gezeichnet hat. Während Umfeld und Gegenüber nüchtern und kritisch dargestellt werden, trägt der Protagonist fast schon die Züge eines Heiligen, was ihn seltsam unsichtbar macht. Man mag auch darüber diskutieren, ob die Kampfhandlungen der INA im indischen Nordosten, die zwar symbolisch, nicht aber militärisch von Bedeutung waren, eine so ausführliche Betrachtung verdienen. Hinsichtlich des Politikers Bose aber hat der Biograph alle wichtigen Fragen offen erörtert. Dies gilt insbesondere für die umstrittene Zusammenarbeit mit den Achsenmächten und Japan: Dem Urteil des Autors, dass sein Großonkel zwar für Freiheit und Rechte in Indien eintrat, dabei aber geflissentlich übersah, dass diese Werte von seinen Partnern mit Füßen getreten wurden, ist nichts hinzufügen. Einer der Höhepunkte des Buches ist das Schlussresümee, in dem der Verfasser selbst über das Was-wäre-wenn räsoniert, insbesondere über den schwierigen Umgang mit den Glaubensgemeinschaften dieses tief religiösen Landes: Nehrus Säkularismus ging an den Realitäten vorbei, während der gläubige Hindu Bose zeitlebens die Religiosität aller Konfessionen förderte und dabei für ein friedliches Miteinander eintrat. Ob dadurch die Teilung Britisch Indiens 1947 verhindert worden wäre, ist eine müßige, aber reizvolle Frage.
Bose war der einzige wirklich global agierende Protagonist seiner Generation. Insofern ist diese vorzügliche und vorzüglich geschriebene Biografie nicht nur ein Beitrag zur Geschichte Südasiens, sondern ein Beitrag zur Weltgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus einer für deutsche Leser so ungewöhnlichen wie erfrischenden Perspektive.
Anmerkung:
[1] Vgl. zuletzt die Dissertation von Jan Kuhlmann: Subhas Chandra Bose und die Indienpolitik der Achsenmächte. Berlin 2003.
Amit Das Gupta