Katharina Garbers-von Boehm: Rechtliche Aspekte der Digitalisierung und Kommerzialisierung musealer Bildbestände. Unter besonderer Berücksichtigung des Urheberrechts (= Schriften zum geistigen Eigentum und zum Wettbewerbsrecht; Bd. 39), Baden-Baden: NOMOS 2011, 332 S., ISBN 978-3-8329-6053-7, EUR 86,00
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2006 schrieb Susan M. Bielstein ein schmales, aber lesenswertes Büchlein Permission, A Survival Guide, in dem sie die komplexen und den Nutzer nicht selten frustrierenden Bildrechte-Usancen vor allem in den USA aufs Korn nahm. Zwar ist die Nutzung von Kulturgut in Museen, Bibliotheken und Archiven via Reproduktionen ein altes Thema, mit dem sich etwa ein im Bundesanzeiger 1965 Nr. 122 abgedruckter Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 14./15.5.1964 über die "Bearbeitung von Reproduktionswünschen der Kunstverlage nach Werken aus öffentlichen Kunstsammlungen" befasste, aber durch die Digitalisierung hat die Problematik eine neue Dynamik erhalten. Daher ist es verdienstvoll, dass Frau Garbers-von Boehm in ihrer Dresdener Doktorarbeit, ausgestattet mit über 1220 Fußnoten, der Materie fachjuristisch zu Leibe rückt.
Wie bei juristischen Arbeiten heute üblich, präsentiert sich das Resultat ihrer Forschungen in akkurat durchgegliederter Form und mit hilfreichen Zusammenfassungen am Abschnittsende. Ob das Buch auch für nicht mit dem juristischen Jargon Vertraute lesbar ist, vermag ich nicht zu beurteilen - die Lektüre ist jedoch durchaus nutzbringend, wenn man an urheberrechtlichen Fragen interessiert ist. (Um den schwierigen Stoff zu erschließen, wäre ein Register hilfreich gewesen.)
Die Autorin stellt - aus eher konservativer Perspektive - die an sich bekannten Hemmnisse ausführlich dar, die das Urheberrecht bei der Digitalisierung den kulturgutverwahrenden Institutionen beschert. Dieser Teil orientiert sich überwiegend sauber an den gängigen Kommentarmeinungen, bringt aber wenig Neues. Das vorsichtige Lavieren der Autorin zeigt sich etwa bei ihrer Stellungnahme zum brennenden Problem der "verwaisten Werke", deren Rechteinhaber nicht ermittelt werden können: Keine der vorgestellten Lösungen vermöge es, "das Problem der verwaisten Werke völlig in den Griff zu bekommen und dabei die Interessen potenzieller Nutzer (Rechtssicherheit) und die Interessen der Urheber (Wahrung ihrer Rechte) in einen optimalen Ausgleich zu bringen" (146). Einen solchen optimalen Ausgleich, mit dem alle zufrieden sind, kann es nicht geben!
Widerspruch muss angemeldet werden, wenn die Autorin der Reproduktionsfotografie den Schutz des Leistungsschutzrechtes nach § 72 UrhG zusprechen will. Es ist alles andere als richtig, wenn sie ihre dubiose, aufgrund der älteren Sekundärliteratur erarbeitete Ansicht als "ganz herrschende [...] Meinung" ausgibt (153). Der umfangreichste Urheberrechtskommentar (Schricker/Loewenheim) sieht das anders. Aber selbst wenn man der Autorin in diesem Punkt folgen wollte, müsste man konzedieren, dass bei historischen Fotos der Bundesgerichtshof dem Neubegründen eines Rechts am Foto qua Reproduktion eine klare Absage erteilt hat. Das ist für die Rechtsgrundlage der Bildarchive ausgesprochen bedeutsam, wird aber von der Autorin übergangen.
Im 2. Teil geht es um die "Rechtsposition der Museen und Bildarchive". Hier wird immerhin eingeräumt, dass beim Scannen kein Leistungsschutzrecht entsteht (193). Eine wichtige Rolle spielen in diesem Teil die Rechte an Datenbanken. Hinsichtlich der nicht-schöpferischen Datenbanken heißt es, es sei der "Datenbankbetreiber nicht daran gehindert, auch den Zugang zu unwesentlichen Bestandteilen vertraglich zu steuern" (210). Die Autorin hätte gut daran getan, einen Blick ins Gesetz zu werfen: § 87e UrhG setzt solchen Steuerungsversuchen enge Grenzen.
Mit Spannung wendet man sich dem 3. Teil "Grenzen der Verwertung von gemeinfreiem Kulturgut" zu, doch leider ist das der schwächste Teil der Arbeit. Es werden zwar fleißig Kritikpunkte, die gegen eine Re-Monopolisierung nach Ablauf der Schutzfrist sprechen, zusammengetragen, aber die Argumentation greift zu kurz. Dass dem Nutzer nur eine nicht-kommerzielle Nutzung gemeinfreier Werke zustehen soll (270f.), verkennt, dass eine solche Differenzierung mit den Intentionen des Bundesgesetzgebers, als er in dem heutigen § 64 UrhG den Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers anordnete, nicht vereinbar ist. Die Autorin sichtet zwar erfreulicherweise auch englischsprachige Literatur zur Bedeutung der Public Domain, doch hat sie das hier besonders wichtige Konzept "Copyfraud" ignoriert, das Jason Mazzone in einem sehr einflussreichen Aufsatz (Online-Preprint 2005) und jüngst auch in einem Buch entwickelt hat. [1] In einer Empfehlung der EU-Kommission zur Digitalisierung 2011 heißt es: "Für einen breiten Zugang zu gemeinfreien Inhalten und deren breite Nutzung muss gewährleistet werden, dass gemeinfreie Inhalte auch nach ihrer Digitalisierung gemeinfrei bleiben". [2] Nichts anderes sagt die "Europeana Charta zum Gemeingut".
Eine fundiertere Kenntnis des öffentlichen Rechts wäre wünschenswert gewesen. Die Autorin verlässt sich auf das wenig gelungene Buch von Wilhelm Mößle zum Museumsrecht und behauptet apodiktisch: "Der Zweck des Museums beinhaltet nur nicht-kommerzielle Nutzungen" (291). Das Fotografieren zu gewerblichen Zwecken sei eine Sondernutzung. Treffend sagt jedoch Malte Stieper: "Die öffentliche Hand darf [...] nicht willkürlich um fiskalischer Vorteile willen die Grenze zwischen normaler Nutzung und erlaubnispflichtiger Sonderbenutzung ziehen". [3] Es käme darauf an, die Grundrechte der betroffenen Wissenschaftler und anderen Nutzer, denen gegenüber die Restriktionen der Museen sich als "Eingriffe" verstehen lassen, in die Waagschale zu werfen. Und man müsste rechtsvergleichend auch das Archiv- und Bibliotheksrecht in den Blick nehmen, die eine sehr viel größere Nähe zum öffentlichen Recht aufweisen als das Museumsrecht. Es ist bezeichnend, dass man das ausgezeichnete Buch von Hans Rainer Künzle über Schweizerisches Bibliotheks- und Dokumentationsrecht (1992), das die rechtlichen Probleme der Bibliotheken, Archive und Museen nicht nur aus der Sicht des Schweizer Rechts behandelt, im Literaturverzeichnis vermisst.
Dass die Autorin ihr Thema wirklich souverän beherrscht, kann ich nicht finden, zumal wichtige Aspekte und relevante Sekundärliteratur immer wieder übersehen werden. Als Ganzes enttäuscht das Buch, obwohl es unbestreitbar nützliche Abschnitte enthält. Eine sorgfältige juristische Darstellung, die sich konsequent für freie Inhalte und gegen die kommerzielle Re-Monopolisierung der Public Domain einsetzt, bleibt ein Desiderat.
Anmerkungen:
[1] Jason Mazzone: Copyfraud and Other Abuses of Intellectual Property Law, Stanford 2011.
[2] http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/pdf/Empfehlung%20COM%2027-10-2011%20zur%20Digitalisierung.pdf.
[3] Malte Stieper: Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, Tübingen 2009, 427. Er bezieht sich auf meine Ausführungen zu Mößle in meiner Rezension http://www.vl-museen.de/lit-rez/graf99-1.htm. Dieser Diskussionsbeitrag wurde - wohl über die Rezeption bei Winfried Bullinger: Kunstwerke in Museen - die klippenreiche Bildauswertung, in: Festschrift für Peter Raue, Köln [u.a.] 2006, 379-400, hier 394 - in mehreren juristischen Studien beachtet, wird aber von Garbers-von Boehm nicht berücksichtigt - ebenso wie meine jüngeren Publikationen zum Thema (vor allem "Kulturgut muss frei sein" von 2007 und "Die Public Domain und die Archive" von 2009, siehe die Nachweise http://archiv.twoday.net/stories/41788826/).
Klaus Graf