Michael McCormick: Charlemagne's Survey of the Holy Land. Wealth, Personnel, and Buildings of a Mediterranean Church between Antiquity and the Middle Ages (= Dumbarton Oaks Medieval Humanities), Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2011, XXII + 287 S., 3 Kt., ISBN 978-0-88402-363-0, GBP 29,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Loren J. Weber / Giles Constable / H. Rouse (eds.): Law, Rulership, and Rhetoric. Selected Essays of Robert L. Benson, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2014
Sulpicius Severus: Chronica. Cura et studio Piergiorgio Parroni, Turnhout: Brepols 2017
Alessandra Bartolomei Romagnoli / Alfonso Marini (a cura di): Il processo di canonizzazione di Celestino V. I, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2015
Intensive Forschungen zu den engen Beziehungen des Frankenreiches mit dem Mittelmeerraum vor allem in der Zeit Karls des Großen haben in den vergangenen Jahren das Bild der kommunikativen, wirtschaftlichen und politischen Verbindungen präzisiert und korrigiert. Während in diesem Zusammenhang zahlreiche Belege zu den mediterranen Kontakten des Karlshofes detailliert untersucht wurden, fand ein Basler Rotulus, der gemeinhin unter dem Namen Breve commemoratorium bekannt ist, bislang vergleichsweise wenig Beachtung. Dabei bietet die Quelle, bei der es sich nicht um ein geschlossenes Dokument, sondern vielmehr um ein aus insgesamt drei eigenständigen, teilweise erneut untergliederten Texten bestehendes Dossier handelt, höchst bemerkenswerte Einblicke in die Zustände der kirchlichen Strukturen im Heiligen Land zu Beginn des 9. Jahrhunderts. So gibt der Rotulus Auskunft über religiöse Einrichtungen innerhalb und außerhalb Jerusalems, den Personalstand in den dortigen Kirchen sowie über die Ausgaben des Patriarchats in jener Zeit. Zugleich lässt der Text Rückschlüsse auf die Beschaffung und Weitergabe der Informationen aus dem Heiligen Land an den Karlshof zu und erhellt auf diese Weise das Bild der Kommunikationszusammenhänge zwischen dem Frankenreich und dem östlichen Mittelmeerraum. Zwar wurde der Rotulus bereits im 19. Jahrhundert in der Bibliothek der Basler Universität entdeckt und bald darauf mehrfach transkribiert und ediert. Die unterschiedlichen Ausgaben sind allerdings fehlerhaft und genügen insgesamt nicht den modernen Ansprüchen an eine Edition. Von der Forschung wurde der Text möglicherweise auch deshalb nur sporadisch ausgewertet; eine umfassende Untersuchung des Schriftstücks fehlte bisher.
Mit der vorliegenden Monographie schließt Michael McCormick diese Lücke in jeder Hinsicht. In drei großen Abschnitten widmet er sich zunächst den inhaltlichen Aspekten des Rotulus, beleuchtet dann die Quelle sowie ihre Genese selbst und liefert abschließend eine kritische Ausgabe des Textes mit einem umfangreichen Kommentar und englischer Übersetzung. Nach einer kurzen Einführung in die Problematik und die Forschungsgeschichte (XIII-XXII) ordnet der Autor dabei im ersten der genannten drei Teile zunächst die Aussagen des Rotulus in ihre zeitlichen und räumlichen Kontexte ein (1-116). Indem er die Angaben zu den Ausgaben des Patriarchats von Jerusalem mit überlieferten Preisen und Löhnen sowie anderen Zahlenangaben aus verschiedenen Räumen und Jahrhunderten vergleicht, vermag McCormick den seit der Spätantike erfolgenden finanziellen Niedergang in seiner Auswirkung auf die Situation zu Beginn des 9. Jahrhunderts nachzuzeichnen. Die weiteren Kapitel des ersten Abschnitts behandeln den sich auch im Datenmaterial des Rotulus niederschlagenden zahlenmäßigen Rückgang sowohl der Klöster als auch der ansässigen Mönche und Nonnen. Bemerkenswert erscheint hier vor allem neben der im Unterschied zum Westen deutlich heterogeneren Zusammensetzung der Gemeinschaften mit Religiosen unterschiedlicher Herkunft und Sprache vor allem die vergleichsweise geringere personelle Stärke der religiösen Gemeinschaften im Heiligen Land. Überraschendes hält schließlich auch das letzte Kapitel dieses Abschnitts bereit, in dem es um die Dimensionen der von den Gesandten exakt vermessenen vier bedeutsamen Kirchen in Jerusalem und Bethlehem, namentlich der Grabeskirche, der Zionskirche (Hagia Sion), der Nea-Kirche Justinians und der Geburtskirche, geht. Überzeugend vermag der Autor darzulegen, dass die in der Forschung oft diskutierten Abweichungen in den Angaben im Rotulus von den durch andere Überlieferungen feststellbaren Maßen offenbar von einem durch die Gesandten benutzten Messstab herrühren, der nicht - wie von ihnen im Text angegeben - auf dem römischen, sondern auf dem ein wenig längeren byzantinischen Fuß basierte. Es ist beeindruckend, wie McCormick anhand der neuen Berechnungsgrundlage die Richtigkeit der Messdaten im Rotulus vor Augen führt.
Im zweiten großen Abschnitt wendet sich der Autor dem Rotulus selbst zu (121-196). Er thematisiert dessen Entdeckung, seine frühen Editionen, seine Gestalt und Zusammensetzung aus drei unterschiedlichen Texten. Als Produkt westlicher Autoren, die sich des Proto-Romanischen bedienten, zugleich aber dem semantischen Befund zufolge griechische und arabische Gewährsleute zur Informationsgewinnung nutzten, führt McCormick den Rotulus überzeugend auf die Initiative des karolingischen Hofes zurück. Es war wohl Karl der Große selbst, der offenbar mehrere missi ins Heilige Land entsandte, um auf der Grundlage eines vorgegebenen Katalogs von Fragen die Situation der Kirchen in und um Jerusalem zu ergründen. Über Rom kehrten die Emissäre 808 an den Karlshof zurück, wo zwei Jahre darauf die von ihnen zusammengestellten Informationen dem Kaiser als Entscheidungshilfe für die finanzielle Förderung der Kirchen im Osten des Mittelmeerraums dienten. Die solchermaßen dokumentierten Bemühungen Karls fügen sich bruchlos in die in seinen letzten Lebensjahren nachweisbaren finanziellen Aufwendungen ein, die der Kaiser daneben auch den Kirchen von Karthago und Alexandria zuteilwerden ließ. Der Rotulus erscheint damit als ein Produkt karolingischen Willens zur administrativen Erfassung der Kirchen eines Raums, der nicht zuletzt auch im Rahmen von im Umfeld Karls offenbar vorhandenen Endzeitgedanken größere Bedeutsamkeit erlangt hatte. Dass Karl mit seinem Engagement für das Heilige Land eine Tradition begründete, macht der Text ebenfalls deutlich: In der überlieferten Form stellt er eine Kopie dar, die McCormick zufolge unter seinen Nachfolgern Ludwig dem Frommen oder Ludwig dem Deutschen entstanden sein könnte, als man sich wohl anschickte, ein ähnliches Vorhaben umzusetzen und sich an der Vorlage zu orientieren suchte.
Auf die inhaltliche Analyse und die Untersuchung der Genese des Textes folgt im dritten Abschnitt die Edition mit der Übersetzung (197-217; beides findet sich auch auf dem der Monographie beigefügten Faksimile). Unmittelbar daran schließt sich der Kommentar an, der insbesondere die Rekonstruktion verderbter Stellen thematisiert (218-237). Erschlossen wird der Text des Rotulus durch ein Wortregister, auf das ein umfangreiches Verzeichnis von in der Abhandlung genannten Personen, Orten und Sachen folgt (263-287). Karten (238-240) und mehrere in der Darstellung platzierte Abbildungen des Dokuments und anderer Zeugnisse erleichtern die Orientierung und das Nachvollziehen der stets überzeugend gestalteten Argumentation.
In seiner Monographie hat Michael McCormick eine bedeutsame Quelle mittels einer beeindruckenden Fülle von Daten- und Zahlenmaterial kontextualisiert und umsichtig interpretiert. Die Akribie, mit der sich der Autor seinem Gegenstand annähert, und die Anschaulichkeit, mit der er den durch Abbildungen und Schautafeln zusätzlich geleiteten Leser durch die karolingerzeitliche Welt des Patriarchats Jerusalem führt, zeugen von großer Gelehrsamkeit und Darstellungskunst. Nachdrücklich führt das Buch, das durch die Edition des Textes zweifellos anregend auf künftige Forschungen wirken wird, daher vor Augen, wie bereichernd die intensive Auseinandersetzung mit einem frühmittelalterlichen, zu administrativen Zwecken zusammengestellten Dossier sein kann.
Andreas Fischer