Rezension über:

Jürgen Kloosterhuis / Lothar Lambacher (Bearb.): Kriegsgericht in Köpenick! Anno 1730: Kronprinz - Katte - Königswort, Berlin: Selbstverlag des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz 2011, 296 S., 140 Farb- und 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-923579-17-4, EUR 26,00
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Rezension von:
Michael Kaiser
Max Weber Stiftung, Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Jürgen Kloosterhuis / Lothar Lambacher (Bearb.): Kriegsgericht in Köpenick! Anno 1730: Kronprinz - Katte - Königswort, Berlin: Selbstverlag des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/21526.html


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Jürgen Kloosterhuis / Lothar Lambacher (Bearb.): Kriegsgericht in Köpenick!

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Während die Preußenforschung in letzter Zeit vor allem den 24. Januar 2012 im Blick hatte, um an diesem Datum den 300. Geburtstag Friedrichs des Großen zu begehen, wurde bereits knapp drei Monate zuvor eines anderen Ereignisses aus der Biographie des Preußen-Königs gedacht. Am 29. Oktober 2011 wurde im Schloss Köpenick eine Ausstellung eröffnet, die das Kriegsgericht in den Mittelpunkt stellte, welches über den gescheiterten Fluchtversuch des Kronprinzen und nachmaligen Königs Friedrich II. sowie seines Freundes, des Gardekürassier-Leutnants Hans Hermann von Katte, ein Urteil fällen sollte. Auf die Erforschung dieser Episode, die zu den bekanntesten im Leben Friedrichs gehört und als "weichenstellendes Faktum" seiner Biographie gilt (9), hat Jürgen Kloosterhuis schon seit längerem großes Augenmerk gerichtet; die Frucht dieser Bemühungen hat er in einer eigenen Studie im Jahr 2006 publiziert, die 2011 in einer durchgesehenen und erweiterten Auflage neuerschienen ist. [1]

Nun aber wurde die Geschichte des Kronprinzen und des Leutnants Katte im Rahmen einer Ausstellung aufbereitet, die der Archivar Kloosterhuis gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Lothar Lambacher kuratiert hat. Stand in der Studie von 2006/2011 noch ganz die Analyse auf der Basis einer intensiven Aktenkunde sowie einer militärhistorischen und -juristischen Einordnung im Vordergrund, hatte die Ausstellung eine andere Ausrichtung: Sie war deutlich weniger analytisch angelegt - hier konnte sie auf Kloosterhuis' Vorarbeiten aufbauen -, fächerte dafür aber verschiedene thematische Aspekte wesentlich breiter auf. Die daraus resultierende Anschaulichkeit vermittelt auch die Publikation, die die Ausstellung dokumentiert und hier vorgestellt werden soll.

Nur ganz knapp ist die Einleitung gehalten, in der auf drei Textseiten die Fakten komprimiert zusammengestellt und eingeordnet werden. Ausführlich ist dann der Abschnitt zu den "Dramatis Personae", in dem sämtliche Beteiligten steckbriefartig vorgestellt und in ihrem Bezug zum Kronprinzenprozess eingeordnet werden. Die Palette der Personen reicht von den Mitgliedern der preußischen Königsfamilie über andere regierende Fürsten, ihre Diplomaten in Berlin und die preußischen Minister bis hin zu den Personen im unmittelbaren Umfeld des Kronprinzen (seine Erzieher, seine Vertrauten, seine Begleitung auf der Reise 1730) und all denen, die in irgendeiner Weise mit den Ereignissen um den Fluchtversuch und den Prozess in Küstrin in Verbindung stehen: verschiedene Militärs, Mitglieder der Familie Katte, Militär- und Kriminaljuristen, Mitglieder der Untersuchungskommission, Scharfrichter, Seelsorger, ja auch so genannte "Frauen-Erfahrungen des Kronprinzen" (Nr. 56-58, siehe auch Nr. 142). Je unbekannter oder historisch unbedeutsamer die Person ist, desto spezifischer fällt die Erläuterung aus: So erhält der Goldschmied d'Argent (Nr. 45) genauso eine Anmerkung wie Gottfried von Reichmann als Kommandant der Festung Küstrin (Nr. 117), während König Friedrich Wilhelm I. nur als solcher benannt wird (Nr. 1). Die insgesamt 142 Namen umfassende Prosopographie bietet aber einen sehr brauchbaren Überblick über die beteiligten Personen.

Die Dokumentation des Katalogs ist mit rund 200 Seiten der umfänglichste Teil. In zwölf Abschnitten ordnet er die Geschehnisse, bringt Hintergrundinformationen zu den Personen, Orten und Ereignissen sowie weiterführende Erläuterungen. Bei den ausgestellten Exponaten handelt es sich überwiegend um Flachware, was sicher nicht überrascht, wenn es darum geht, die Geschichte eines Prozesses auszustellen. So dominieren Gemälde, vor allem Porträts, und Archivalien, hinzu kommen Druckwerke, Stiche, Skizzen, Radierungen, Karten, Pläne und verschiedene Fotos. Nur wenige Realien konnten beigebracht werden, darunter neben einer Flöte des Kronprinzen (47) auch "Historische Reliquien" (Kloosterhuis, 56) wie der Siegelring und die Zuckerdose Kattes (57) sowie das Richtschwert, mit dem das Todesurteil an Katte vollstreckt wurde (193). Ebenso findet sich ein Gipsabguss von Kattes Totenschädel, dessen Identität allerdings angezweifelt wird (194).

Wie die Masse an Schriftgut und vergleichbaren Quellentypen von den Besuchern der Köpenicker Ausstellung wahrgenommen wurde, lässt sich im Nachhinein nicht ermessen; erstaunlich ist diese Konzeption durchaus, widerspricht sie doch durchweg den heute gültigen musealen Konzepten. Für die Dokumentation im Katalog lässt sich jedoch kein negativer Eindruck festhalten, was vor allem an der sorgfältigen Erschließung der ausgestellten Stücke liegt. Diese erfahren hier eine erfreulich ausführliche Kommentierung; fast immer ist es mindestens eine halbe Seite, öfters sind die Ausführungen auch noch länger. Die Kommentare sind durchweg von den beiden Kuratoren verfasst, nur in wenigen Ausnahmen sind weitere Experten hinzugezogen worden (vgl. Erika Preiße zu einem Selbstbildnis des Königs, 185-188, sowie Ernst-Ludwig Richter zu einer Oblatendose und einem Kelch, 197-202).

Hinzu kommen viele Reproduktionen der Exponate, deren Qualität gut bis sehr gut ist. Dies gilt vor allem für die Porträts, die, vielfach auch farbig wiedergegeben, einen gelungenen Eindruck von den Personen vermitteln. Deutlich schwieriger ist es, die Archivalien im Einzelnen zu entziffern, da sie meist nur kleinformatig reproduziert sind. In manchen Fällen gelingt es dennoch, einiges davon zu lesen (vgl. 46, 48, 83, 95), doch vielfach bleibt die Wiedergabe schlichtweg unleserlich (36, 74, 106, 122 f.) - was die Reproduktion dieser Schriftstücke weitestgehend sinnlos macht. Den direkten Vergleich hat der Leser bei den drei Urteilen des Kriegsgerichts: das erste, in dem die Richter ihre Nicht-Zuständigkeit feststellten, über den Kronprinzen zu richten, dann ihre Sentenz über Spaen und schließlich das Urteil über Keith und Katte. Von diesen zentralen Dokumenten ist jeweils die letzte Seite abgedruckt, in einem Fall - vorbildhaft! - ganzseitig in herausragender Qualität, die beiden anderen im unlesbaren Briefmarkenformat (174 f.). Dieses Schwanken zeigt sich auch bei anderen Exponaten, etwa bei zwei unlesbaren Aufschwörtafeln (80 f.) und einer allzu klein wiedergegebenen Manöverkarte (115); dagegen steht etwa der gut vergrößerte und deswegen sehr anschauliche Stammbucheintrag Kattes (66). Wie oft bei Katalogen, stellt sich auch hier die Frage, ob angesichts der Kosten für diese Reproduktionen weniger nicht mehr gewesen wäre.

Inhaltlich sei noch auf den Schlusspart des Katalogs verwiesen, der sich Kattes Nachleben widmet. Auf immerhin 20 Seiten wird die vielfältige und schon im ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzende Rezeptionsgeschichte nachgezeichnet. Im Zuge des Friedrich-Kults, der im 19. Jahrhundert begann, wurde auch Katte Teil des populären und popularisierten Geschichtsbilds, wie etwa Zigarettensammelbilder zeigen (216). Hinzu kamen Reflexe in verschiedenen Verfilmungen sowie szenische Aufführungen, besonders im Laufe der vergangenen zehn Jahre.

Im Anschluss an den Katalogteil finden sich noch die so genannten Küstriner Akten einmal nach Provenienzen und dann in chronologischer Reihung aufgeführt, eine klassische archivarische Erschließungsleistung, die die archivalische Überlieferung aufbereitet und mit den bereits im Druck vorliegenden Quellen abgleicht. Gerade weil den einzelnen Archivalien vielfach Kurzregesten beigefügt sind, bietet sich gleichzeitig die Möglichkeit, den Hergang der Ereignisse vom 7. August 1730 bis in den Februar 1732 anhand der Schriftstücke nachzuvollziehen. Nimmt man das Itinerar Friedrichs auf seinem gescheiterten Fluchtversuch (Reiseroute: 126 f.) sowie die Prosopographien im Einleitungsteil hinzu, zeigt sich, wie grundlegend der Kronprinzenprozess mithilfe dieser Materialien erschlossen worden ist.

Inhaltlich bietet die Publikation nichts Neues oder Überraschendes; interpretatorisch bleibt sie auf dem Kenntnisstand von Kloosterhuis' früherer Analyse. Doch handelt es sich hierbei um deutlich mehr als einen Katalog, der lediglich die Ausstellung widerspiegelt, die am 5. Februar 2012 in Köpenick geschlossen wurde. Denn geblieben ist zum einen eine Dokumentation, die das Kriegsgericht über den Kronprinzen und Leutnant Katte in anschaulicher Weise aufbereitet und kontextualisiert, und zum anderen ein Arbeitsinstrument, das als grundlegende Referenz für die weitere Beschäftigung mit dem Thema zu gelten hat.


Anmerkung:

[1] Jürgen Kloosterhuis: Katte. Ordre und Kriegsartikel. Aktenanalytische und militärhistorische Aspekte einer "facheusen" Geschichte, 2., durchgesehene und erweiterte Aufl., Berlin 2011 (zuerst 2006).

Michael Kaiser