Rezension über:

Bryan E. Burns: Mycenaean Greece, Mediterranean Commerce, and the Formation of Identity, Cambridge: Cambridge University Press 2010, XII + 246 S., ISBN 978-0-521-11954-2, GBP 55,00
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Rezension von:
Lorenz Rahmstorf
Institut für Vor- und Frühgeschichte, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Rahmstorf: Rezension von: Bryan E. Burns: Mycenaean Greece, Mediterranean Commerce, and the Formation of Identity, Cambridge: Cambridge University Press 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/18223.html


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Bryan E. Burns: Mycenaean Greece, Mediterranean Commerce, and the Formation of Identity

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Die Auswirkungen des mediterranen Handels, insbesondere importierter Artefakte, auf das mykenische Griechenland sind das Thema von Bryan E. Burns' Studie, die auf seiner wesentlich überarbeiteten Dissertation von 1999 basiert. Die Importe stammen in erster Linie, aber nicht nur, aus dem östlichen Mittelmeerraum und werden dann als Orientalia bezeichnet. In der Einleitung und im ersten Kapitel beschreibt der Autor seine Vorgehensweise. Ihn interessieren weniger der Herstellungsort, die Herkunft des Materials oder die Handelsroute der Objekte als vielmehr ihr Konsum, ihre stilistische und symbolische Ausdeutung und ihre finale Deponierung. Problematisch ist oftmals die Bestimmung eines Objektes als Import. Auch naturwissenschaftliche Untersuchungen bringen nicht immer eindeutige Ergebnisse. Dies demonstriert Burns selbst an den Fayenceplaketten aus Mykene mit dem Namen des Pharaos Amenhotep III. Trotzdem muss die Einschätzung als Import nicht immer weitgehend subjektiv bleiben, wie Burns impliziert, sondern kann meist durch eine intensive Autopsie des entsprechenden Objektes und der fremdländischen Vergleiche bestimmt werden. Ein eingehendes Materialstudium der Originale stand aber nicht im Fokus von Burns' Studie, stattdessen sind seine Datenbasis die katalogartigen Zusammenstellungen der nicht-ägäischen Artefakte durch C. Lambrou-Phillipson und E. Cline. [1]

Stil und Kontext der Importe stehen im Zentrum der Untersuchung. Als Kontext versteht Burns die Umstände der Deponierung des Artefakts im archäologischen Befund: Wer sendete dadurch eine Botschaft und an wen war sie gerichtet? Nach Burkes Überzeugung erklärt der archäologische und damit in seinem Sinne soziale Kontext die externe Wirkung der Orientalia auf interne Prozesse der Materialkontrolle und des Wettbewerbs. Denn, wie schon vielfach von kulturanthropologischer Seite dargelegt wurde, stellt der Erwerb bzw. die Kontrolle fremder Objekte und Materialien einen Zugang zu Macht dar, da mit diesen Gütern der ideologische Symbolismus geographisch entfernter Menschen und Orte verbunden wird. Exotische Materialien, die unter solche Kategorien gefallen sein könnten, im mykenischen Griechenland augenscheinlich hoch geschätzt waren und Prestige ausdrückten, sind Elfenbein, Glas und Bernstein. Weniger zu interessieren scheint Burns, dass fremde Dinge (Artefakte und Materialien) Teil eines Innovationstransfers sein können, der oft technologische Veränderungen mit sich bringt. [2]

Das zweite Kapitel ("Becoming Mycenaean") bietet einen interessanten forschungsgeschichtlichen Einblick in die Wahrnehmung der mykenischen Kultur als Anfang der griechischen Kultur im 19. Jahrhundert v.Chr. Die frühen Konstruktionen nahmen das vertraut Wirkende der mykenischen Kultur als Teil der westlichen Kultur wahr. Wenn auch hier bereichernde Einblicke gewonnen werden, ist der Zusammenhang mit dem Folgenden nicht ganz klar. Im nächsten Kapitel zeigt Burns, wie durch die frühmykenischen Schachtgräber von Mykene mit ihren überaus reich ausgestatteten Körpergräbern, die auch viele exotische Objekte und Materialien beinhalteten, neue Ideen über die weiter entfernte Welt kreiert und durch Geltungskonsum ("conspicuous consumption") Anspruch auf fremde Symbole erhoben worden sein könnte.

Für die sogenannte Palastzeit im 14. und 13. Jahrhundert v.Chr. der mykenischen Epoche gelingt es Burns im vierten und fünften Kapitel zu demonstrieren, wie stark die Eliten fremdes Rohmaterial wie Elfenbein an ihren Zentren kontrollieren konnten, denn es fehlt an kleineren Orten im Umland. Allerdings gibt es keine Belege für die Nennung von Elfenbein in den Linear B-Texten, die auch sonst keine konkreten Aussagen darüber machen, wie kostbare exotische Materialien innerhalb der bürokratisch reglementieren Wirtschaft zur Machtkontrolle verwendet wurden. Auch bleibt umstritten, in welchem Umfang die Paläste die Wirtschaft kontrollierten. Burns' Einschätzung lautet: "the range of materials, industries, and personnel brought together by palatial administrations established the most coherent system through which imported goods were given value and directed toward the support of central authority. But it also gave access and inspiration to the rival institutions and individuals described in the Linear B tablets" (128). Letzteres möchte er im fünften Kapitel an Fallstudien zu Befunden von Importen an den mykenischen Zentren von Pylos, Theben, Mykene (Citadel House Area, West House Group) und Tiryns (Unterburg) darlegen. Doch bleibt es schwierig, seinen Ausführungen zu folgen, in den Siedlungsfunden den Konkurrenzkampf einzelner Akteure um Importe widergespiegelt zu sehen, da die archäologischen Befunde kaum zwingend solche Schlüsse zulassen.

Bei Grabkontexten ist dagegen eine bewusste Niederlegung als Beigabe oder Kleidungsbestandteil offensichtlicht und dieser Befundkategorie speziell in der Argolis wendet sich Burns im sechsten Kapitel zu. Wie Burns selbst eingesteht, ist es aber nicht möglich die funeräre Evidenz direkt mit der archäologischen Überlieferung der lebenden Gesellschaft etwa aus der West House Group von Mykene in Deckung zu bringen. Doch sind Fundvergesellschaftungen in Gräbern bewusste Deponierungen, die nahelegen, dass hier eine Botschaft gesendet werden sollte, wenn der weitere Umlauf importierter Objekte durch ihre (wahrscheinlich) ostentative Niederlegung beendet wurde. Es ist auch nicht überraschend in Hinblick auf ihren potentiellen Wert, dass Importe und Orientalia häufiger in Gräbern als in Siedlungen gefunden wurden. Leider bieten die mykenischen Kollektivgräber keine guten Analysevoraussetzungen, da sie über einen langen Zeitraum belegt und oft beraubt wurden.

In den Schlussfolgerungen verweist Burns einerseits auf den "active effort to domesticate foreign materials, through palatial production of ivory and glass objects" (192), andererseits auch auf Bemühungen Einzelner, durch Erwerb von Importen außerhalb eines kontrollierten palatialen Systems gesellschaftliche Anerkennung und Aufstieg zu erreichen. Seine Interpretationen gehen weit, bieten aber wesentlich mehr als die oft unreflektierten Einschätzungen, die anderswo zu lesen sind. Bryan Burns hat ein sehr inspirierendes und gut geschriebenes Werk vorgelegt, in dem es ihm gelingt, eine Fülle neuer Beobachtungen auszubreiten und dabei allgemeine kulturanthropologische wie spezielle archäologische Literatur kritisch zu reflektieren. Seinen Schlussfolgerungen will man sich nicht immer anschließen, doch regen sie auf jeden Fall zu einem neuen Nachdenken über die Rolle von Importen im mykenischen Griechenland an. Der Preis des elegant gestalteten Buchs mit 41 sorgfältig erstellten, teilweise zu kleinen Abbildungen ist jedoch zu hoch angesetzt.


Anmerkungen:

[1] C. Lambrou-Phillipson: Hellenorientalia. The Near Eastern Presence in the Bronze Age Aegean, ca. 3000-1100 BC. Studies in Mediterranean Archaeology, Pocket-Book 95, Göteborg 1990; E. H. Cline: Sailing the Wine-dark Sea. International trade and the Late Bronze Age Aegean. British Archaeological Report - International Series 591, Oxford 1994.

[2] Entsprechende Wirkungen sind bereits in der ägäischen Frühbronzezeit zu spüren, etwa wenn Importe von Drehscheibenkeramik schließlich zur Übernahme entsprechender Techniken bei der Keramikherstellung führen (siehe jetzt M. Choleva: The first wheelmade pottery at Lerna. Hesperia 81, 2012, 343-381).

Lorenz Rahmstorf