Franca Varallo (a cura di): In assenza del re. Le reggenti dal XIV al XVII secolo (Piemonte ed Europa) (= Biblioteca dell' "Archivum Romanicum". Serie I; 354), Florenz: Leo S. Olschki 2008, XXXII + 610 S., ISBN 978-88-222-5830-4, EUR 65,00
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Weibliche Herrschaft, insbesondere in Form einer Regentschaft, ist in der Forschung bislang selten systematisch untersucht worden. Synthesen oder Spezialstudien zu diesem in der Welt der Monarchien und fürstlicher Herrschaft der Frühen Neuzeit gar nicht so seltenen Phänomen gibt es nur wenige. [1]
Der von Franca Varallo herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung in Turin zurück (2006), die den beiden französischstämmigen Regentinnen des Hauses Savoyen im 17. Jahrhundert, Marie Christine de France (1606-1663) und Maria Giovanna Battista von Nemours (1644-724), gewidmet war. Besonders erstere hatte eine äußerst turbulente Regentschaft durchzustehen. Nachdem sie mitten im Dreißigjährigen Krieg Witwe und Regentin für ihre Söhne Franz Hyazinth (1637-1638) und dann Karl Emanuel II. (1638-1675) geworden war, musste sie (mit Unterstützung ihres Bruders, Ludwig XIII.) ihre beiden Schwager bekämpfen, die ihr die Regentschaft streitig machten. Den mehrjährigen Bürgerkrieg konnte sie schließlich für sich entscheiden und behielt auch nach dem eigentlichen Ende der Regentschaft 1648 bis zu ihrem Tod die Zügel der Regierung in ihren Händen. Themen sind Dynastie und Patronage, Hof, Kunst und Musik (A. Rizzuti), Literatur und politische Theorie (etwa A. Quondam über die "Donna di Palazzo" bei Castiglione).
Christinas Bild in der Geschichte schwankt, wie Claudio Rosso (367-392) zeigt, bei den Zeitgenossen und in der Geschichtsschreibung (hier vor allem des 19. Jahrhunderts) zwischen Verehrung und Verdammung. Als heldenhafte Mutter, die das Erbe ihres Mannes für ihren minderjährigen Sohn gegen alle Feinde verteidigte, ließ sich Christina zu Lebzeiten feiern, und die anlässlich ihres Todes entstandenen Panegyriken nahmen diesen Topos wieder auf. Eine savoyisch-nationalistische Geschichtsschreibung griff den Faden auf und sah in Christine eine veritable "Savoyerin", die den Staat sowohl gegen Frankreich als auch gegen Spanien und vor allem gegen die Spaltung durch Herrschaftsteilung mit ihren Schwagern verteidigte.
Dagegen steht eine Tradition, die sich auf ein zeitgenössisches Pamphlet mit dem Titel Les Amours de Madame Royale zurückführen lässt, in dem Christine neben der wohl tatsächlichen Beziehung zu Graf Filippo d'Aglie zahlreiche weitere Liebschaften, Ausschweifungen usw. unterstellt werden. Doch der eigentlich brisante Vorwurf lautet, dass nicht ihr Ehemann Viktor Amadeus I., sondern einer der Liebhaber Vater des Herzogs Karl Emanuel II. sei. Dieser Vorwurf zielte auf die Legitimität ihrer Regierung - und ihres Sohnes - ab. Nach dem derzeitigen Forschungsstand, so Rosso, könne man noch nicht beurteilen, ob und wie das Ansehen der Regentin Zeit ihres Lebens darunter gelitten habe. Langfristigen Einfluss auf ihr Bild in der Geschichtsschreibung aber hatten diese Vorwürfe zweifellos, da in frühe Biographien Christines moralische Urteile über ihren Lebenswandel einflossen, die dann zu einer negativen Wertung ihrer Leistung als Herrscherin führten und ihre "Nachfolgerin" Maria Giovanna Battista von Nemours umso stärker aufwerteten.
Dabei ist die "Leistung" Christinas keineswegs zu unterschätzen, gelang es ihr doch, die Integrität des Herzogtums in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges gegen alle Bedrohungen (nicht zuletzt gegen die territorialen Ambitionen ihres Bruders) zu sichern (hierzu auch der Beitrag von Alessia Porpiglia, "L'immagine storiografica di Cristina di Francia dell'Ottocento ad oggi", 559-580). Aus der Abhängigkeit von Frankreich konnte aber auch Maria Giovanna Battista von Nemours das Herzogtum nicht lösen.
Der zweiten "Madama reale" des 17. Jahrhunderts ist der große und vielschichtige Beitrags Robert Oreskos gewidmet. Dabei geht es aber weniger um die Biographie von Maria Giovanna Battista als um grundsätzliche Überlegungen über die Bedeutung von Dynastie und vor allem von dynastischen Verflechtungen für die Geschichte des frühneuzeitlichen Europas. Weit ausholend bis in Heiratsverbindungen des 14. und 15. Jahrhunderts rekonstruiert Oresko die Verflechtungen der Dynastien der Savoyer und Gonzaga mit den Häusern Lothringen und vor allem Habsburg. Dynastische Verbindungen entwickelten eigene Traditionen und Kontinuitäten, sie waren selten willkürlich.
Über Jahrhunderte verbanden sich die oben genannten Dynastien, was zu immer komplizierteren Herrschaftsansprüchen führen konnte. Im Zentrum der hier untersuchten steht das kleine Herzogtum Montferrat, seit 1533 von den Mantuaner Gonzaga regiert, von den Savoyern aber ebenso lange beansprucht. Erst der Tod des letzten Gonzaga-Herzogs Karl IV. Ferdinand und die politische Konstellation des Spanischen Erbfolgekrieges eröffneten den Savoyern die Herrschaft über das gesamte Herzogtum mitsamt der bedeutenden Festung Casale.
Das kleine Montferrat und drei seiner Regentinnen stehen auch im Zentrum des Beitrags von Blythe Alice Raviola über Anne d'Alençon, Margherita Paleologo und Margherita von Savoyen. Anne d'Alençons Heirat mit Markgraf Wilhelm IX. von Montferrat (1508) erfolgte im Kontext der französischen Italienpolitik des frühen 16. Jahrhunderts. Frankreich und das Reich prägten auch ihre Regentschaft nach dem frühen Tode ihres Mannes. Sie fädelte durch die Heirat ihrer Tochter Margherita Paleologo den Übergang der Markgrafschaft in die Hand der Gonzaga ein; im selben Moment gelang auch die Erhöhung Mantuas zum Herzogtum.
Margherita von Savoyen ist zweifellos die faszinierendste der von Raviola vorgestellten Regentinnen: Als Tochter von Catalina Michaela von Habsburg (über sie ein instruktiver Beitrag von P. Merlin, 209-234) und von Herzog Karl Emanuel I. von Savoyen war sie zugleich Enkelin Philipps II. von Spanien. 1608 heiratete sie Francesco Gonzaga und eröffnete damit ihrem Vater (und ihrem Bruder Viktor Amadeus I.) die Möglichkeit, Ansprüche auf das Montferrat zu erheben. Doch auch Margherita ist ein typisches Beispiel für das Verhalten von Fürstinnen, die an einen fremden Hof verheiratet werden: In dem Moment, in dem sie dort Regierungsverantwortung übernehmen (meist als Regentin), erweisen sie sich als Verteidigerin der Staatsräson ihrer neuen Heimat (z.B. Anna von Österreich). So hat sich auch Margherita als Verteidigerin der Interessen der Gonzaga gezeigt. Darüber hinaus bestimmte die Loyalität zur Familie ihrer Mutter ihren Werdegang. Nach dem Mantuanischen Erbfolgekrieg zog sie sich nach Madrid zurück - um von Philipp IV. zur Vizekönigin in Portugal ernannt zu werden.
Die Beiträge Rossos, Oreskos und Raviolas wie auch die weiteren, hier aus Platzgründen nicht weiter zu diskutierenden Aufsätze beleuchten ein weites Forschungsfeld. Dass seine Bearbeitung eine interdisziplinäre Herangehensweise verlangt, demonstriert dieser Band eindringlich. Leider fehlt eine systematische Ordnung der Beiträge nach Problemfeldern. Die rein chronologische Ordnung (von Boccacio bis zur Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts) macht es schwierig, die Berührungspunkte zwischen den Ansätzen herauszuarbeiten. Eine stärker problemorientierte Gliederung hätte die Vielfalt der Ideen und Informationen der Beiträge besser zur Geltung bringen können. Dennoch: Wer sich mit weiblicher Herrschaft im frühneuzeitlichen Europa beschäftigt, sollte auf diesen Band ebenso zurückgreifen wie jeder, der sich für die Dynastien der Savoyer und Gonzaga interessiert.
Anmerkung:
[1] Z.B.: André Corvisier: Les Régences en Europe, Paris 2002, Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500-1700, Frankfurt 2004.
Sven Externbrink