Gregor Langfeld: Deutsche Kunst in New York. Vermittler - Kunstsammler - Ausstellungsmacher. 1904-1957, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2011, 232 S., 41 Farb-, 98 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01446-1, EUR 39,90
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Die nun als Buch erschienene Untersuchung zu "deutscher Kunst in New York" basiert auf der Dissertation des Autors aus dem Jahr 2010. Gregor Langfeld beleuchtet darin die Vorgänge in der Kunstvermittlung, die die Rezeption deutscher Kunst in den USA nachhaltig beeinflussten und prägten. Die Studie will zeigen, dass und wie sich die Wertschätzung moderner deutscher Kunst in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte und auf welche Weise die hier betrachteten Akteure Einfluss auf Kanonisierungsprozesse nahmen.
Nicht nur inhaltlich, auch methodisch betritt der Autor in der vorliegenden Studie Neuland, denn die Geschmacks- und Kanonbildung ist in der Rezeptionsforschung bisher kaum behandelt worden. Einen vergleichbaren Ansatz bietet vor allem Sigrid Rubys Dissertation Have We An American Art?, in der die Autorin die Etablierung und Rezeption amerikanischer Kunst in Nachkriegsdeutschland untersucht. [1] Langfeld betrachtet hier also die umgekehrte Situation und analysiert die im Wesentlichen innerhalb von wenigen Jahren erfolgte Wandlung in den USA von einer weitgehend negativen oder zumindest indifferenten Rezeption deutscher Künstler wie Max Beckmann, Paul Klee, Franz Marc, Oskar Kokoschka, Wilhelm Lehmbruck oder Karl Schmidt-Rottluff vor dem Nationalsozialismus bis hin zur überwiegend positiv besetzten Etablierung dieser Künstler als Symbole für Demokratie und Freiheit während des Zweiten Weltkriegs und danach.
Langfeld zeichnet in seiner Studie die Werdegänge einiger ProtagonistInnen nach, die Schlüsselrollen in der Vermittlung und Rezeption deutscher Kunst in New York spielten: "Künstler, Kunstsammler, Mäzene, Kuratoren, Kunsthistoriker und Kritiker", denn "die Etablierung moderner deutscher Kunst hing davon ab, wer diese Kunst auf welche Weise präsentierte." (120)
Drei Hypothesen kristallisiert Langfeld heraus, die in der übersichtlich strukturierten Studie nacheinander untersucht werden. Erstens geht er davon aus, dass die Institution des Museums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Künstler in ihrer zentralen wertbildenden Rolle bei der Kunstvermittlung ablöste. Zweitens will Langfeld zeigen, dass die "ideologische Haltung der Rezipienten" ausschlaggebend für die Durchsetzung deutscher Kunst im internationalen Umfeld war. Der "Mythos, dass sie 'antifaschistisch'" (10) sei, sei in diesem Falle der determinierende Faktor gewesen. Daraus folgt Langfelds naheliegende und wichtige Hypothese, dass die Auswirkungen des Nationalsozialismus für eine abrupte Kanonisierung moderner deutscher Kunst in New York sorgten, die demnach durch einen "Bruch" gekennzeichnet und nicht das Ergebnis eines kontinuierlichen Prozesses sei.
Seine Thesen untermauert der Autor anhand der Biografien einzelner Protagonisten. Passenderweise orientiert er sich hier nicht an den Künstlern, sondern an den Vermittlern, die bis heute die größte Macht in der Geschmacksbildung auf dem Kunstmarkt darstellen. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Leser einen Einblick in das New Yorker Kunstgeschehen der Zeit und gibt zugleich eine gute Orientierung in der ansonsten leicht unübersichtlich werdenden Namens- und Jahreszahlenflut.
So veranschaulicht Langfeld beispielsweise die Bedeutung einer dem breiten Publikum wohl eher unbekannten Künstlerin und Kunstvermittlerin mit deutschen Wurzeln aus der New Yorker High Society: Katherine Dreier (1877-1952) gründete 1920 zusammen mit Man Ray und Marcel Duchamp die "Société Anonyme, Inc.", die als Zentrum zur Förderung und zum Studium der internationalen Avantgarden in der Kunst dienen sollte. So wurden dort u.a. auch deutsche Künstler wie Heinrich Campendonk oder Paul Klee ausgestellt. Eine weitere wichtige Figur ist der als Wilhelm Rheinhold Otto Valentiner (1880-1958) in Karlsruhe geborene und als "William R." Valentiner in den USA bekannt gewordene Kunsthistoriker, der von 1908 bis 1914 am New Yorker Metropolitan Museum of Art als Kurator und später viele Jahre als Direktor des Detroit Institute of Art tätig war. Von 1913 bis 1931 gab er außerdem die von ihm in New York gegründete Zeitschrift Art in America heraus, bis heute eine der wichtigsten Publikationen zu zeitgenössischer Kunst. Ab 1921 organisierte Valentiner mehrere Ausstellungen mit Arbeiten der Brücke-Künstler, sowie von Heinrich Campendonk, Lyonel Feininger, Georg Kolbe, Oskar Kokoschka und Max Beckmann in verschiedenen Museen der USA. Ein eigenes Kapitel widmet Langfeld auch der deutschen Künstlerin und Kunstvermittlerin Hilla von Rebay (1890-1967), die Solomon R. Guggenheim zur Gründung des nach ihm benannten Museums auf der New Yorker Upper East Side bewegte und ihn vom Ankauf zahlreicher Werke europäischer Künstler überzeugte, u.a. von Wassily Kandinsky und Làszlò Moholy-Nagy. [2]
Wie Langfeld mit zahlreichen Zitaten aus der zeitgenössischen amerikanischen Presse nachweist, wurden die Werke der deutschen Expressionisten sowohl in Dreiers als auch in Valentiners Ausstellungen vor allem negativ kritisiert und als "'hässlich', 'grob', 'brutal', 'krude' und 'geschmacklos'" (63) beschrieben. Valentiner jedoch hielt an der Auffassung fest, die Kunst des Expressionismus sei "explizit deutsch" und spiegle die deutsche Mentalität wider. Nachvollziehbar und klug zeigt Langfeld im Verlauf der Studie, dass es - paradoxerweise - u.a. Valentiners Beharren auf dem deutsch-nationalistischen Standpunkt im Zusammenhang mit der Verfemung eben dieser Künstler durch die Nationalsozialisten war, was dem deutschen Expressionismus während und nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Erfolg beim amerikanischen Publikum, das ihn zum Symbol des Antifaschismus erhob, bescherte. Im Vergleich mit der zeitgleichen amerikanischen Kunstproduktion standen die expressionistischen Werke für eine "typisch deutsche Kunst", aber eben der nationalsozialistischen Ästhetik völlig entgegen. Die Ablehnung durch die Nationalsozialisten war also ein ausschlaggebender Faktor für den plötzlichen, schnellen Erfolg der wenige Jahre zuvor noch negativ beurteilten Werke in den USA. So gab es zahlreiche Künstler, "die allein schon deshalb mit Zustimmung rechnen konnten, weil die Nationalsozialisten sie in Acht und Bann getan hatten" (168).
Langfeld zeigt, dass auch die "Mythenbildung" über manche Künstler als Antifaschisten oder gar aktive Widerstandskämpfer zum Teil historisch unkorrekt und von Kritikern und Museumsleitern konstruiert war. Als ein wichtiges Beispiel führt er Emil Nolde an, der sich entgegen der Behauptung von MoMA-Direktor Alfred H. Barr dem Nationalsozialismus nicht widersetzt, sondern sich paradoxerweise trotz eines gegen ihn erlassenen Malverbots mit ihm identifiziert habe. Ebenso werde Max Beckmanns Werk heute eher als weitgehend apolitisch denn als explizit antifaschistisch gedeutet (164).
Die geschickte Leserführung anhand der Biografien einiger Schlüsselfiguren lässt allerdings mindestens zwei wichtige Figuren dieser Geschichte vermissen, die in der Studie nur sehr marginal in Erscheinung treten. Da wäre zum einen der Kunsthändler Curt Valentin (1902-1954), der 1937 nach New York auswanderte, im Gepäck zahlreiche Werke deutscher Künstler, die er zuvor als enger Mitarbeiter von Karl Buchholz in dessen Berliner Kunst- und Buchhandlung gezeigt hatte. So gelangten durch die "Buchholz Gallery - Curt Valentin" Arbeiten u.a. von Georg Kolbe, Ernst Ludwig Kirchner und Gerhard Marcks auf den amerikanischen Markt. Im selben Jahr entschied sich auch der Berliner Kunsthändler Karl Nierendorf (1889-1947) zur Eröffnung einer Galerie in New York und sollte schließlich der wichtigste Vermittler für Kandinsky, Feininger und Klee an der amerikanischen Ostküste werden. [3] Es ist bedauerlich, dass dieser Aspekt deutschen Einflusses auf die amerikanische Kunstwelt etwas zu kurz kommt. Immerhin war es Curt Valentin, der das auf dem Buchdeckel gezeigte Werk Paul Klees "Um den Fisch" (1926), das von den Nationalsozialisten als entartet diffamiert worden war, an das Museum of Modern Art verkaufte. [4]
Dennoch: Langfelds Studie ist ein höchst lesenswertes Beispiel für den Bereich der Geschmacks- und Kanonbildung in der Rezeptionsforschung. Ihr Ziel ist es nicht, die tendenziöse Etablierung moderner deutscher Kunst in den USA grundsätzlich infrage zu stellen, sondern kritisch daran zu erinnern, inwiefern äußere Umstände ihre Wahrnehmung und Deutung beeinflussten. Dieses Hintergrundwissen ermöglicht einen neuen Blick auf altbekannte und scheinbar allzu vertraute Werke.
Anmerkungen:
[1] Sigrid Ruby: Have We An American Art? Präsentation und Rezeption amerikanischer Malerei im Westdeutschland und Westeuropa der Nachkriegszeit, Weimar 1999.
[2] Vgl. z.B. Karoline Vail (ed.): The Museum of Non-Objective Painting: Hilla Rebay and the Origins of the Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2009.
[3] Günter Herzog, "Aus dem Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels: 1937 - Schicksalsjahr des Berliner Kunsthandels", in: FAZ (27.9.2007) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunsthandel-aus-dem-zentralarchiv-des-internationalen-kunsthandels-1937-schicksalsjahr-des-berliner-kunsthandels-1485846.html; s.a. Anja Walter-Ris: Die Geschichte der Galerie Nierendorf: Kunstleidenschaft im Dienste der Moderne, Berlin / New York, 1920-1995, Diss. Freie Universität Berlin 2003.
[4] Zur Provenienz des Werkes vgl. die Homepage des MoMA: http://www.moma.org/collection/provenance/provenance_object.php?object_id=79342; Langfeld weist auch auf die Dissertation von Anja Tiedemann zum Thema hin. Vgl. Anja Tiedemann: Die "entartete" Moderne und ihr amerikanischer Markt. Karl Buchholz und Curt Valentin als Händler verfemter Kunst, Diss. Universität Hamburg 2010 (= Schriftenreihe der Forschungsstelle "Entartete Kunst", Bd. VIII), Berlin [in Vorbereitung].
Kristina Hinrichsen