Caroline J. Goodson: The Rome of Pope Paschal I. Papal Power, Urban Renovation, Church Rebuilding and Relic Translation, 817-824 (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series), Cambridge: Cambridge University Press 2010, XIX + 385 S., zahlreiche s/w-Abb., ISBN 978-0-5217-6819-1, USD 99,00
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"Von Paschalis I. bewahrt Rom noch einige ausgezeichnete Denkmäler. Selbst sein Bildnis (eine Seltenheit unter den Päpsten so alter Zeit) hat sich in drei Musiven erhalten, welche dasselbe tonsurierte Haupt und längliche Gesicht zeigen. Die damalige Kunst konnte Porträtähnlichkeit freilich nur in Umrissen erreichen. Diese Bilder sieht man in drei von Paschalis erneuerten Kirchen, Caecilia in Trastevere, Prassede auf dem Esquilin und Maria in Domnica auf dem Coelius." [1] Diesem Papst und seinem Wirken als Bauherrn in Rom widmet sich hundertfünfzig Jahre nach diesem Urteil von Ferdinand Gregorovius Caroline J. Goodson, die sich bereits in mehreren Aufsätzen mit dem Rom Paschals I. beschäftigte. [2] Ihre Studie geht auf ihre Dissertationsschrift zurück und beleuchtet das Verhältnis von Paschal I. und der Stadt Rom. Damit behandelt sie einige der herausragendsten Beispiele römischer Kunst aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, und auch in ihrem Buch spielen die Kirchen S. Cecilia, S. Prassede und S. Maria in Domnica neben den kleineren Bauten Paschals (etwa den Oratorien in St. Peter oder der prächtig ausgestatteten S. Zeno-Kapelle, die sich ebenfalls in S. Prassede befindet) die Hauptrolle. Doch ihre Studie versucht dabei vor allem den Ausbruch aus der Verfallsgeschichte Roms, die den Werken des 19. Jahrhunderts zugrunde lag: Für Edward Gibbon oder Gregorovius bestand die frühmittelalterliche Geschichte Roms vor allem in einem stetigen Prozess des Verfalls des glorreichen antiken Erbes.
In ihrer Untersuchung stellt Goodson auf breiter Quellenkenntnis, die vor allem interdisziplinär archäologische, kunsthistorische und historische Befunde in eine Zusammenschau bringt, diesem Bild des Verfalls eine neue Perspektive entgegen, die exemplarisch zeigt, wie sich alte Stereotypen modifizieren lassen, wenn man das gesamte Quellenmaterial nutzt, das die rezente Forschung zur Verfügung stellt. Das Ergebnis ist ein differenziertes Bild einer faszinierenden Transformationszeit in der römischen Stadtgeschichte, in der die Verwendung von Spolien weniger als Zeichen des Verfalls, sondern kreativer Umnutzung und Umstrukturierung, ja neuer Sinnfindung überhaupt erscheint. Das wird etwa am Beispiel der Kapelle von S. Zeno deutlich, in deren Bodenbelag einerseits die Reste jener Inschriften zu erkennen sind, die auf die antiken Gräber verweisen, denen das Material entnommen wurde; die Säulenbasen der Kapelle sind teilweise antik, teilweise nach diesem Vorbild gestaltete frühmittelalterliche Steinmetzarbeiten (160-172). Wenn der Leser zu diesem Befund gelangt, ist er durch die vorhergehenden Kapitel, die eine historische Kontextualisierung von Paschals Pontifikat und der römischen Bautradition des Frühmittelalters liefern, bereits gewahr, dass eine solche Zurschaustellung antiker Bausubstanz in ihrem neuen Kontext ebenso ein gezieltes Zeichen der Transformation Roms wie einen prestigeträchtigen Ausweis der ökonomisch-politischen Potenz des päpstlichen Bauherren darstellen mag. Goodson führt damit der jüngeren Forschung folgend in eine Welt, der sie ihren eigenen Platz unabhängig von teleologischen Wertungen im Vergleich zu Antike und Renaissance zugesteht. Das wird besonders deutlich in den beiden Kapiteln, die sich mit Paschals konkreter Bautätigkeit in den drei bereits genannten Basiliken und den zahlreichen kleineren Kapellen beschäftigen: Detailliert geht die Autorin Vorlagen für den Bauplan, verlorener und erhaltener Ausstattung sowie deren Verhältnis zu liturgischen Handlungen innerhalb des Kirchenraums wie im Rahmen der städtischen Prozessionen nach. Vor einem das Resümee ziehenden Kapitel über die "Transformations" Roms unter Paschals Herrschaft samt einem kurzen Ausblick darüber hinaus blickt sie gesondert auf die großangelegten Reliquientranslationen dieses Papstes; die Autorin kommt dabei zu dem Schluss, dass Ausmaß und fehlende akute Notlage (wie sie etwa noch unter Paul I. durch die Langobarden gegeben gewesen sei) einen gezielten Plan Paschals verrieten, konsequent die Heiligen in die Stadt und deren bewohnte Zentren holen zu wollen. Damit wird dieser Pontifikat auch zugleich wenn schon nicht zum Wendepunkt, so doch zu einem wesentlichen Katalysator für die folgenden, von Rom ausgehenden Reliquienaussendungen insbesondere in das nordalpine Europa. In der Zusammenschau dieser wie aller anderen Ergebnisse der Studie sieht Goodson hinter Paschals Politik entsprechend die Sorge um die Stärkung der päpstlichen Autorität innerhalb wie außerhalb der Stadt Rom; dabei hätte seine Bautätigkeit besonders nachhaltig den Anspruch des Papsttums auf konkrete Herrschaft in Rom und Mittelitalien zu manifestieren geholfen und die Rolle des Papstes in den Auseinandersetzungen mit Byzanz und den Franken zu festigen unterstützt.
Es gelingt der Autorin, diese "crucial interdependence of architecture, urbanism and sacred cult in the early ninth century" (263) lebendig darzustellen, wobei insbesondere der Baubefund für das Rom des früheren 9. Jahrhunderts auf neuem Stand zusammengefasst wurde. Möchte man eine kritische Anmerkung zu dieser insgesamt gelungenen Studie anführen, so scheint dem Rezensenten vor allem die Ausrichtung auf die "power politics of the early ninth centuries" (257) und Paschal I. als agierender Person überlegenswert: Die Autorin erweitert den Horizont zwar vor allem mit dem umfangreichen archäologischen und baugeschichtlichen Blick deutlich über den handelnden Papst hinaus, doch basiert die zugrundeliegende These des Buches letztlich auf der Annahme, dass Paschal selbst hinter den entscheidenden Bauvorhaben der Epoche stand. Damit bleibt die Frage, welche Handlungsspielräume und -möglichkeiten andere Personenkreise innerhalb der Stadt und darunter insbesondere der Klerus unterhalb des Papstamtes hatte; welche Bauprojekte wurden von dieser Seite gefördert oder verhindert, handelte der Papst also alleine oder erscheint sein Name nur als Chiffre für eine Personengruppe, ähnlich wie man es in jüngerer Zeit für die Kaiser des Früh- und Hochmittelalters zunehmend herausgearbeitet hat? Freilich stehen die Formulierungen der Quellen auf der Seite der Autorin, denn sowohl der epigraphische Befund (etwa die ausführliche Translationsinschrift aus der S. Zeno-Kapelle, die im Anhang des Buches gesondert ediert wird) wie der "Liber pontificalis" als zentrale Schriftquellen nennen Paschal als die treibende Kraft hinter den skizzierten Projekten. Doch vielleicht ließen sich solche Berichte noch kritischer auf ihre eigene Darstellungsabsicht hinterfragen. [3]
Neben dem fundierten Beitrag zur Baugeschichte Roms liegt aber zugleich gerade darin die besondere Stärke von Goodsons Ansatz, ein konsistentes, weitgehend überzeugendes Bild vom Rom des beginnenden 9. Jahrhunderts zu zeichnen und eine Vorstellung von den Motivationen und Visionen eines baufreudigen Papstes wie Paschal I. anzubieten. Herausgekommen ist dabei auch ein Beitrag, der mit der Vorstellung einer verfallenden antiken Großstadt aufräumt und das wesentlich komplexere Bild einer Stadt am Übergang und Zusammenfluss von antiken, christlichen und mittelalterlichen Vorstellungen bietet. Besonders erfreulich stellt sich die breite Rezeption der Sekundärliteratur dar, die auch die deutsche und französischsprachige Forschung neben den italienischen und englischen Studien berücksichtigt. [4] Durchgängig gute schwarz-weiß Abbildungen und ein Index mit Namen, Orten und Schlagworten (374-385) runden den insgesamt gelungenen Band ab.
Anmerkungen:
[1] Ferdinand Gregorovius: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, online abrufbar unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/2408/110 (zuletzt eingesehen am 17.9.2012).
[2] So etwa im von Éamonn Ó Carragáin und Carol Neuman de Vegvar 2007 herausgegebenen Band "Roma Felix - Formation and Reflections of Medieval Rome".
[3] Durchaus konsequent widerspricht Goodson solchen in der jüngeren Forschung geäußerten Zweifeln, etwa Gritje Hartmanns in der QFiAB 87 (2007) geäußerten Kritik an der Verlässlichkeit des Berichts über die Reliquienerhebung der Hl. Caecilia (249f.); dem Autor des "Liber pontificalis" vertraut Goodson auch in seinem Schweigen, wenn sie etwa den Fundbericht über Reliquien der Hl. Balbina in S. Maria in Domnica aus dem 18. Jahrhundert auf dieser Basis zurückweist (223f.).
[4] Daran ändern auch die gelegentlichen Schreibfehler (vor allem "Blutenampullen" auf Seite 249, offenbar verschrieben für die Blutampullen aus römischen Katakomben) nichts; kleinere Druckfehler (etwa der Verweis von Anhang 2 auf fig. 34 mit falscher Seitenzahl) stören den Lesefluss kaum.
Romedio Schmitz-Esser