Christophe Belaubre / Jordana Dym / John Savage (eds.): Napoleon's Atlantic. The Impact of Napoleonic Empire in the Atlantic World (= The Atlantic World. Europe, Africa and the Americas, 1500-1830; Vol. 20), Leiden / Boston: Brill 2010, XVI + 332 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-90-04-18154-0, EUR 99,00
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Der Titel Napoleon's Atlantic lässt Ausführungen zur Rolle des Atlantiks in den politischen Konzepten und den militärischen Strategien des Korsen ebenso erwarten wie auch zur Bedeutung des Atlantiks in den globalen Konflikten zwischen der Weltmacht Großbritannien und deren Herausforderer Napoleon. Das hinreißende Cover des schön aufgemachten Bandes, der damit den hohen Standards der von Wim Klooster und Benjamin Schmidt betreuten Reihe Atlantic World entspricht, tut ein Übriges: James Gillray karikierte einen hageren William Pitt und einen kleinen Napoleon, die sich in opulenten Uniformen gierig über einen Plumpudding in Globusform hermachen und ihre Schwerter in den Atlantik rammen.
Das Einführungsessay (1-20) der Herausgeber Jordana Dym, Christophe Belaubre und John Savage verstärkt mit spannenden Fragen, interessanten Details und längst fälligen Forschungsdesigns den Spannungsbogen: Zurecht verweist das Trio darauf, dass die etablierte atlantische Geschichte aus völlig unerfindlichen Gründen vor bestimmten Themen zurückscheut - die Transformationsphase vom 18. zum 19. Jahrhundert bildet ein schwarzes Loch in diesem florierenden Forschungsfeld, die Wirkungen des revolutionären Frankreichs und des postrevolutionären Europas auf Amerika werden zumeist zugunsten von Untersuchungen über den Einfluss der revolutionären USA auf Europa vernachlässigt. Sicherlich sei es kein Zufall, so die Autoren, dass seit der Studie von Jacques Godechot, der sich 1967 erstmalig mit diesem Thema beschäftigte, sich keine Arbeiten mehr mit den möglichen Auswirkungen napoleonischer Aktivitäten in den atlantischen Raum hinein beschäftigt haben. Die Herausgeber machen diese Einflüsse an scheinbar kleinen und doch großen Aspekten fest: Sie erwähnen die Bedeutung der napoleonischen Aktivitäten in Ägypten und dem Indischen Ozean für die Entwicklung des Baumwollhandels ebenso wie die eklatante Lücke in der Erforschung der Zusammenhänge zwischen den Ereignissen in Frankreich und dem sogenannten War of 1812, dem Britisch-US-Amerikanischen Krieg von 1812-1814.
Dann studiert der Leser die dankenswerterweise bereitgestellte Zeittafel (21-22) und stutzt ein erstes Mal. Sie trägt den Titel "Napoleon & The Americas", doch abgesehen von dem Louisiana Territory, einem Hauch von Mexiko und dem Hinweis, dass die USA 1822 die Staatswerdung einzelner südamerikanischer Staaten anerkannten, kommen die USA oder Kanada nicht vor. Der gerade von den Herausgebern mit Blick auf die französische Historiographie schmerzlich vermisste War of 1812, der Friede von Gent 1814 oder die für die atlantische Wirtschaftsentwicklung einschneidende Kontinentalsperre werden nicht erwähnt. Trotzdem stürzt sich der Leser erwartungsfroh auf die 14 Beiträge, die in fünf Sektionen gegliedert sind.
In der Abteilung "Napoleon's Atlantic" (25-77) untersuchen drei Autoren, "how Napoleon's policies shaped networks and destinies within the broad scope of the Atlantic or within a single territory. Luca Codignola views Napoleon through the eyes of Catholic bishops in Great Britain, Canada and the US [...] Roderick Barman and Nathalie Dessen stake on [...] the impact of Napoleon's policies on Brazil and Louisiana" (17). In Teil 2 "Spanish American responses to Napoleon's invasion of Spain" (81-138) analysieren Dominique Goncalves, Timothy Hawkins und Matt D. Childs Entwicklungen auf Kuba und in Mittelamerika. Teil 3 blendet zurück nach Frankreich und Spanien. Untersucht werden am Beispiel der Ereignisse im Kontext Louisiana (Jean-Marc Olivier), der Presseresonanz auf die Entwicklungen in Südamerika (Felipe Angulo Jaramillo) und der spanischen Kolonialbürokratie (Victor Peralta Ruiz) "European responses to Napoleon's Atlantic" (141-191). Teil 4 analysiert atlantische Räume nach dem Leben des Protagonisten, ohne jedoch auf den eigentlichen Clou einzugehen, dass eben Napoleon inmitten des Atlantiks, auf einer kümmerlichen Insel (Sankt Helena) das Zeitliche segnete. In der Kategorie "After Napoleon" (195-228) skizziert John Savage anregend den Nachhall des Code Napoleon in der atlantischen Welt und Monica Ricketts beschreibt den Aufstieg von französischen Militärs zu Führern, "caudillos", der peruanischen Politikerelite. Damit bietet sie die Überleitung zum letzten Element "Bonapartist expatriates" (231-299), in dem exemplarisch Christophe Belaubre, Rafe Blaufarb und Lilia Moritz Schwarcz den Karrieren französischer Migranten (Militärs, ein Künstler wie Nicolas Taunay!) in Mittelamerika, Texas und Brasilien nachgehen.
Eine kurze Zusammenfassung von Natalie Petiteau beendet diese Sammlung von Beiträgen, die 2006 als "Napoleon's Atlantic" bei einer Session der AHA gehalten wurden und bereits 2009 in französischer Version unter dem Titel Napoleon et les Ameriques: Histoire atlantique et empire napoleonien erschienen. Zweifellos wird hier Neuland beschritten oder, um im Bild zu bleiben, ein unbekanntes Gewässer ausgelotet. Wer sich für die französisch-südamerikanischen und die iberisch-südamerikanischen Beziehungen in der Ära Napoleons interessiert, wird bereichernde Erkenntnisse gewinnen. Wer hingegen mehr über Auswirkungen napoleonischer Überlegungen zum Atlantik im französisch- nordamerikanischen Kontext erfahren möchte, ein Mehr, das über die Wirkungsmächtigkeit des Code Napoleon oder des Louisiana Purchase hinausgeht, wird ein wenig enttäuscht. Es wäre wunderbar gewesen, wären einige Akzente ein wenig verschoben worden, wären Wirtschafts- und Kulturgeschichte für Großbritannien, die Niederlande, Deutschland, USA und Canada, die global wirkenden Folgen der Kontinentalsperre, indirekter Maßnahmen in Folgen militärischer Zwänge der Kriegsgegner und Partner im Nordatlantik ebenso berücksichtigt worden wie diejenigen im Südatlantik mit seinen lateinamerikanischen Anrainern. Vielleicht gibt es einen Nachschlag Plumpudding!
Claudia Schnurmann