Rezension über:

Joan Greatrex: The English Benedictine Cathedral Priories. Rule and Practice (c. 1270 - c. 1420), Oxford: Oxford University Press 2011, XXII + 420 S., mit 6 Karten, ISBN 978-0-1992-5073-8, GBP 80,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Joan Greatrex: The English Benedictine Cathedral Priories. Rule and Practice (c. 1270 - c. 1420), Oxford: Oxford University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/21673.html


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Joan Greatrex: The English Benedictine Cathedral Priories

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Neun englische Kathedralkirchen hatten während des Mittelalters einen besonderen rechtlichen Status inne. Die cathedra wurde zwar von einem Bischof verwaltet, gleichzeitig existierte jedoch eine Benediktinerkommunität, deren Mitglieder als Domkapitel fungierten und - im Idealfall - auch den Bischof wählten. Dieser amtierte folglich als Bischof und Abt in Personalunion, wobei der laufende Klosterbetrieb von seinem Stellvertreter, dem Prior, sichergestellt wurde. Diese Konstruktion barg Konfliktstoff. Wenig überraschend war das Verhältnis von benediktinischer Gemeinschaft und Bischof in den betreffenden Kathedralprioraten Belastungsproben ausgesetzt, die jedoch niemals einen solchen Grad an Schärfe erreichten, dass dadurch das System einer monastisch-episkopalen Koexistenz grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre.

Joan Greatrex, durch jahrzehntelange Forschungen mit der Thematik bestens vertraut [1], legt nun einen Band vor, in dem die neun Kathedralpriorate Bath, Canterbury, Coventry, Durham, Ely, Norwich, Rochester, Winchester und Worcester Gegenstand einer vergleichenden Studie sind, die sich zum Ziel setzt, das Leben der Mönche von ihrem Eintritt bis zum Tod konkret nachzuverfolgen. Damit wird nicht zuletzt eine Anregung Jean Leclercqs aufgegriffen, der bereits 1960 gefordert hatte, den Blick nicht so sehr darauf zu richten, was Mönche taten, sondern wer sie waren. [2] Es stehen also weniger Institutionen als Menschen im Mittelpunkt der Untersuchung. Der behandelte zeitliche Rahmen erstreckt sich dabei von 1270, dem Jahr, in dem die Quellenüberlieferung langsam einsetzt, bis 1420, ein Jahr bevor Heinrich V. die Benediktiner Englands zu einem Reformkonzil nach Westminster zitiert. Wie (fast) immer im englischen Spätmittelalter ist die Fülle des überlieferten Quellenmaterials beeindruckend. Zwar sind auch in der monastischen Überlieferung Verluste zu verzeichnen (insbesondere als Folge der großen Klosteraufhebungen 1540 durch Heinrich VIII.), doch sind die in der Gestalt von rolls dokumentierten Rechnungsbelege der einzelnen klösterlichen Amtsträger eine nahezu unerschöpfliche Quelle, aus der sich unterschiedlichste Informationen zu wirtschaftlichen, politischen, religiös-liturgischen und kulturellen Sachfragen gewinnen lassen. Häufiger können die durch Überlieferungsverluste verursachten Lücken durch eine Art Parallelüberlieferung in den bischöflichen Registern geschlossen werden.

Greatrex gliedert ihre Arbeit in sieben Kapitel. Die Einführung (Introduction, 1-50) macht mit der geschichtlichen Sonderstellung der Kathedralpriorate vertraut, von denen das größte - Durham - um 1300 immerhin 110 Mönche umfasste. Das zweite Kapitel (The early years of monastic life, 50-88) richtet den Blick auf den Eintritt, das Probejahr, die Profess und die flankierenden Studien, durch die auf der Grundlage der Regula Benedicti eine Einweisung in das monastische Leben im allgemeinen und die partikularen Gebräuche der einzelnen Klöster im besonderen erfolgte. Die Autorin fasst das frühe innermonastische Bildungsprogramm in die treffende, das berühmte Diktum Anselms von Canterbury aufgreifende Bemerkung: "Credo ut intelligam came first, but it was to be followed by intelligo ut profundius credam."(70)

Kapitel drei widmet sich der Situation der jüngeren Mitglieder der Gemeinschaft (The community of professed novices and junior monks, 89-159). Auch hier spielen Bildungsaspekte eine zentrale Rolle, verblieb doch die Mehrzahl der jungen Mönche im Kloster und musste dort weiter unterrichtet und auf die Übernahme monastischer Ämter vorbereitet werden. In einigen Kathedralprioraten wie Durham sind Zahlungen an mehrere, zeitgleich amtierende Novizenmeister belegt. Individuell gestaltete Stundenpläne für jeweils 2-3 der jüngeren Mönche sind somit wahrscheinlich. Nur wenigen stand der Weg an die Universitäten offen. Eine Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage, "wer" die Mönche waren, ist methodisch zugegebenermaßen schwierig zu geben, doch wählt Greatrex einen viel versprechenden Weg, indem sie den Blick auf die Bibliotheksbestände richtet und die Verwendung von patristischen Bibelkommentaren und "modernerer" exegetischer Literatur, von Konkordanzen und Tabulae untersucht. Auffällig ist die hohe Anzahl derjenigen Mönche, die offensichtlich mit der Verschlagwortung zentraler Werke aus dem Bibliotheksbestand betraut waren. Die Erwerbspolitik dokumentiert ein hohes Interesse daran, was an den Hohen Schulen, insbesondere in Paris, gelehrt wurde. Mönche aus den Kathedralprioraten fanden sich - mit Ausnahme von Canterbury - eher seltener in Paris, doch wurde dafür Sorge getragen, dass entsprechende Studienhäuser in Oxford eingerichtet wurden. Durham und Canterbury wählten dabei einen Sonderweg und unterhielten eigene Häuser, während sich die übrigen Klöster (nicht nur die Kathedralpriorate) in einer konzertierten Aktion zur Gründung von Gloucester College durchringen konnten, das der Aufnahme studierfähiger Mönche aus allen anderen Benediktinerklöstern diente.

Ausbildung und Studium erfolgten nicht zweckfrei, sondern zielten darauf ab, das für die Übernahme von Verwaltungsämtern nötige Fachpersonal heranzubilden. Die innermonastischen Ämter sind Gegenstand des vierten Kapitels (The years of maturity and responsibility: The duties of obedientiaries and senior monks, 160-237). Benedikt hatte in seiner Regel verfügt, dass moralisch integre Mönche bestimmt und ihnen die Sorge um die materiellen Güter des Klosters übertragen werden sollte. Der im Englischen dafür verwendete Begriff "obedientiaries" ist sehr viel sprechender und aussagekräftiger als die deutsche Verlegenheitsübersetzung "klösterliche Amtsträger", tritt im Englischen doch die Abhängigkeit des jeweiligen, mit bestimmten Aufgaben betrauten Mönchs vom Abt bzw. Prior klar zutage. Ihm war er Gehorsam (oboedientia) schuldig, von ihm erhielt er seine Anweisungen, ihm war er verantwortlich. Greatrex richtet ihren Blick vor allem auf diejenigen Ämter, durch die ein geordneter innermonastischer Tagesablauf sichergestellt wurde. Ihre Vorgehensweise ist dabei für jedes Klosteramt identisch: nach einer allgemeinen Einführung in Umfang und Bedeutung erfolgt die Auswertung des vorhandenen Quellenmaterials für jede einzelne Kathedrale. Wirkliche Vergleiche sind hier wegen zum Teil großer Überlieferungsverluste nur schwer zu erbringen - und Greatrex warnt zu Recht häufiger vor der Versuchung, defizitäre Quellen über die Beschreibung der in ihnen enthaltenen Angaben hinaus zum Sprechen zwingen zu wollen. Ausgesprochen nützlich ist die Klärung terminologischer und inhaltlicher Probleme in Hinblick auf einzelne Ämter wie das des communarius, dessen Aufgabenbereich sich mit denjenigen anderer Amtsträger überschneiden konnte.

Die im fünften Kapitel behandelten Themen sind allein der Quellenlage nach ausgewählt: im Zentrum steht die Feier der Liturgie im Jahreskreis mit ihren jeweiligen Besonderheiten, daneben aber auch die im Begriff recreatio verdichteten "Auszeiten" von Liturgie, Gebet und Arbeit (Feria, Fast, and Feast: The rhythm of the liturgical year, 236-288). Im sechsten Kapitel schließt sich der Kreis: Gegenstand der Betrachtungen sind hier die letzten Jahre bzw. Momente der Mönche (The closing years: Illness, age, infirmity, and death, 289-322).

Die Zusammenfassung (Conclusion, 322-332), die sich eher als knapper Ausblick auf die Geschicke der Kathedralpriorate in den 120 Jahren bis zu den Umbrüchen 1540 präsentiert und insbesondere die Tragweite des innermonastischen accidia-Problems thematisiert, beschließt einen durch und durch überzeugenden Band. Jeder noch so flüchtige Blick auf die mit großer Sorgfalt gearbeiteten Fußnoten zeigt, dass hier vornehmlich aus den Quellen geschöpft und weniger aus Sekundärliteratur extrahiert wurde. Kleinere Fehler sind entschuldbar, so wenn auf Seite 19 aus der Regula Benedicti, c. 66,6 sinnentstellend zitiert wird (nicht constituit, sondern constitui ut) oder in einigen Fußnoten (z.B. Seite 61, n. 64; Seite 187, n. 162) die angekündigten Verweisangaben fehlen.

Vor der Fülle der ausgebreiteten Details sollte der Leser nicht kapitulieren. Greatrex' Werk, dem weite Verbreitung zu wünschen ist, eignet sich bestens auch zur selektiven Lektüre.


Anmerkungen:

[1] Greatrex, Joan: Biographical Register of the English Cathedral Priories of the Province of Canterbury, c. 1066-1540, Oxford 1997.

[2] Leclercq, Jean: The monastic tradition of culture and studies, in: American Benedictine Review 11 (1960) 99-131.

Ralf Lützelschwab