Michael Grünbart (Hg.): Geschenke erhalten die Freundschaft. Gabentausch und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter. Akten des internationalen Kolloquiums Münster, 19. - 20. November 2009 (= Byzantische Studien und Texte; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011, XXVI + 282 S., ISBN 978-3-643-10897-5, EUR 29,90
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"Kleine und auch große Geschenke erhalten die Freundschaft: So ist es nicht nur heute, sondern es scheint auch legitim zu sein, den Blick in die Vormoderne zu wenden." (xiii). Was sollte auch illegitim daran sein? Es kann schließlich kein Zweifel daran bestehen, dass in den auf personalen Beziehungen basierenden Gesellschaften des Mittelalters das Geschenk eine unverzichtbare Rolle spielte! Insofern rennt der anzuzeigende Band offene Türen ein, wenn er sich den Interdependenzen zwischen Gabentausch und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter zuwenden, dabei aber auch den byzantinischen Bereich berücksichtigen will.
Einleitend stellt Michael Grünbart Beispiele aus der Geschenkpraxis des byzantinischen Kulturbereichs vor. Seine Schlussfolgerungen bleiben freilich schlicht: Dass die Interpretation des Gabentausches interdisziplinäre Herangehensweisen erfordert und ansonsten in "den mittelalterlichen Gesellschaften [...] der Einsatz von Geschenken - wie heute - eine große Kunst [bedeutete], und er [...] viel Einfühlungsvermögen, aber auch freundliches Taktieren [erforderte]" (xxiv) ist banal und verharrt konzeptionell im Bereich des Selbstverständlichen.
Der erste thematische Schwerpunkt des Bandes liegt auf der Bedeutung von Geschenken. Floris Bernard leuchtet am Beispiel der Briefe byzantinischer Intellektueller des 11. Jahrhunderts das Spannungsfeld zwischen dem Brief als literarischem und der beigefügten Gabe als materiellem Geschenk aus. Bernard kann die rhetorische Zurückweisung und Zurücksetzung des materiellen Geschenks gegenüber dem Brief als soziale Distinktionstechnik intellektueller Kreise in Byzanz wahrscheinlich machen. Einem ähnlichen Thema widmet sich Dimitrij Chernoglazov in seiner Untersuchung zur Ausdeutung materieller Geschenke in byzantinischen Briefen des 4. bis 12. Jahrhunderts. Die "epistolographische Etikette" (56) der Byzantiner forderte die Einhaltung bestimmter rhetorischer Muster bei der Reaktion auf Briefe und Geschenke, doch änderten sich im untersuchten Zeitraum Geschmack und Regeln. Von einer allegorischen, abstrakten Würdigung verlagert sich der Akzent zu einer detaillierteren, konkreten Beschreibung der Geschenke in ihren Eigenschaften und Qualitäten. Eine den interdisziplinären Wert des Buches unterstreichende Ergänzung findet dieser Beitrag im Aufsatz von Hartmut Beyer, der sich der Geschenkexegese und -theorie im lateinischen (Hoch)Mittelalter zuwendet, wobei er auch den Brief selbst als literarisches Geschenk und Verpflichtung thematisiert. Die Beschreibung materieller Geschenke ist hier anders als in Byzanz kein Standardthema der Epistolographie. Wie dort sind Beschreibung und Würdigung des Geschenks aber auch hier Mittel der Selbststilisierung wie der Verortung innerhalb einer Gruppe Gleichgesinnter.
Dem Wesen der Freundschaft im Mittelalter nähert sich Gabriela Signori anhand der abendländischen Briefliteratur, die sich bei ihr freilich stark auf das Briefkorpus des Kirchenvaters Hieronymus konzentriert sieht. In kritischer Auseinandersetzung mit der Freundschaftstheorie des Soziologen Friedrich H. Tenbruck untersucht sie die Rolle des Briefes als Stellvertreter des abwesenden Freundes, in seinen Lesekontexten und in seiner Funktion als Überwinder von Standes- und Geschlechtergrenzen. Auch wenn man dem Aufsatz zugute halten muss, schon 1998 entstanden zu sein, bleibt der hermeneutische Neuigkeitswert doch überschaubar, wenn er gegen Tenbruck für das Mittelalter durchaus Typen von Freundschaft konstatiert und im Schlusssatz dann die Erforschung der spezifischen, mittelalterlichen Bedeutung von Freundschaft fordert.
Mit der Wertigkeit frühmittelalterlichen Schenkens wählt Sita Steckel einen theoretisch weiterführenden Ansatz, dem sie durch den abundanten Einsatz relativierender Anführungszeichen leider einiges an Präzision nimmt. Anhand der zahlreich überlieferten Widmungen untersucht sie die soziale Logik des Schenkens bei Hrabanus Maurus, der durch seine breite Rezeption Einfluss auch auf das weitere Mittelalter hatte. Explizit wendet sie sich mit Bernhard Jussen gegen die instrumentelle Gabenlogik des do-ut-des. Steckel verortet Rabans Widmungen im Kontext einer spezifisch kirchlichen Form der sozialen Interaktion, in der verschiedenste Formen des Austauschs und besonders des Gebens symbolisch auf die religiöse Ordnung verwiesen: Hrabanus erfüllt primär die Pflicht christlicher Nächstenliebe (240).
Der zweite Schwerpunkt des Bandes liegt auf der diplomatischen Rolle des Geschenks. Georg Jostkleigreve wendet sich der Geschenkpraxis am Hof König Karls VI. von Frankreich und den Valenzen des Schenkens im Kontext politischer und kommunikativer Strukturen zu. Als Beispiel wählt er den Besuch Kaiser Manuels von Byzanz, wobei der Austausch von Geschenken in diesem Falle auch der materiellen Unterstützung des Gastes diente. Das auch durch Quellenverluste nicht zu erklärende Fehlen von Geschenkkontakten zu Herzog Ludwig von Orléans begründet er mit der doppelten Rolle des Fürsten, der persönlich kein Interesse am Kontakt zu Manuel hatte, auch wenn er als Beisitzer im königlichen Rat an der Unterstützung des Basileus interessiert war. Gerald Schwedler vergleicht dann Geschenkratgeber der Fürstenspiegelliteratur mit der tatsächlich beobachtbaren, diplomatischen Geschenkpraxis. Er definiert Geschenke als emphatisches Kommunikationsmittel, das der jeweiligen politischen Situation angepasst werden konnte. Die Fürstenspiegelliteratur erweist sich für die Praxis des Schenkens entsprechend als nur wenig hilfreich. Wichtiger mögen die Kenntnisse des in die diplomatische Praxis involvierten, höfischen Personals gewesen sein, dessen Bedeutung auch Paul Magdalino in seiner Untersuchung der Bewertung und des Einsatzes von Buchgeschenken am byzantinischen Hof im Mittelalter hervorhebt. Das auf der Grenze zwischen materiellem und ideellem Gut angesiedelte Buch erforderte immer auch die Berücksichtigung seines Propagandawerts, etwa für die Außendarstellung des byzantinische Hofes gegenüber dem Fränkischen Königtum.
In moderner Perspektive geradezu dubiosen Geschenken gelten die Ausführungen von Michael Jucker über geraubte Gaben, besonders Reliquien, in der diplomatischen Geschenkpraxis des Mittelalters. Es geht Jucker um den Zusammenhang zwischen Raub- und Schenkpraxis, wobei das Schenken die unehrenvolle Herkunft des geraubten Gutes verschleiern oder bagatellisieren sollte. Die "Grundthese" des Beitrags, wonach geraubte Gaben erfolgreich politische Beziehungen zementieren oder neue politische Bindungen schaffen (88), vermag in ihrer allgemeingültigen Banalität freilich kaum zu erstaunen. Ein Vergleich mit der Nutzung rechtmäßig erworbener Reliquien hätte vielleicht weitergeführt.
Eine völlig andere Herangehensweise und ein völlig anderes Erkenntnisinteresse verfolgt der Komparatist Ulrich Meurer, der sich mit Derrida in dekonstruktivistischer, diskursanalytischer Absicht dem IX. Gesang der Odyssee als "merkwürdige[m] Text" (117) über die Gesetze der Gastfreundschaft zu Zeiten Homers nähert.
Der Beitrag von Meta Niederkorn-Bruck entzieht sich der Rezensierbarkeit. Der ebenfalls auf Gänsefüßchen daherkommende, von Tipp- und Syntaxfehlern durchsetzte Text, dem offensichtlich keinerlei kritische Lektüre widerfahren ist, legt die Frage nahe, ob man Autorin, Herausgeber, Rezensenten und Lesern diese Fehlerteufelei nicht hätte ersparen können.
Der durchgehend wenig sorgfältig lektorierte Band erörtert verschiedene Aspekte zum Thema 'Geschenke' und 'Freundschaft' im Mittelalter, lässt ein durchgehendes Konzept jedoch vermissen und bleibt so, trotz durchaus interessanter Einzelbeiträge, in seinem Erkenntnismehrwert bescheiden.
Kerstin Hitzbleck