Rezension über:

Gerald MacLean / Nabil Matar: Britain and the Islamic World. 1558-1713, Oxford: Oxford University Press 2011, XIV + 335 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-920318-5, USD 65,00
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Rezension von:
Antje Flüchter
Cluster of Excellence "Asia and Europe", Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker / Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Antje Flüchter: Rezension von: Gerald MacLean / Nabil Matar: Britain and the Islamic World. 1558-1713, Oxford: Oxford University Press 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/12/20878.html


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Gerald MacLean / Nabil Matar: Britain and the Islamic World

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Die vorliegende Publikation untersucht die Begegnung zwischen Großbritannien und der islamischen Welt von der Thronbesteigung Elisabeths I. (1558) bis zum Frieden von Utrecht (1713) und ihre Repräsentation in verschiedenen Textgattungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die religiöse und nationale Identität ebenso wie das kulturelle Leben in Großbritannien durch Ideen, Techniken und Waren aus der islamischen Welt geformt wurden. Die Autoren sind ausgewiesen durch Forschungen zum Osmanischen Reich und dem islamischen Nordafrika.

Die Grundannahme lautet zusammengefasst, dass es den einen Islam in der frühneuzeitlichen britischen Wahrnehmung nicht gab. Vielmehr sei der Islam an verschiedenen Orten verschieden wahrgenommen worden. Für ihre Untersuchung konturieren die Autoren daher zunächst drei Regionen: 1. den östlichen und osmanisch beherrschten Mittelmeerraum und das Osmanische Reich selbst, 2. das osmanisch beherrschte Nordafrika, vor allem Libyen, Algerien, Tunesien und Marokko, 3.Persien und Indien. Unter Indien wird dabei vor allem das Mogulreich verstanden.

Aus einer ausführlichen Charakterisierung der drei Untersuchungsregionen entwickeln die Autoren in der Einleitung drei Faktoren, die die Beschreibung der islamischen Welt bedingt hätten: die diplomatischen und militärischen Machtverhältnisse, die Religion sowie die geteilte und erinnerte Geschichte. Allerdings seien diese Faktoren in der Wahrnehmung der drei Regionen verschieden wichtig gewesen. Vor allem aber unterschieden sich die ersten zwei Räume (Osmanisches Reich und Nordafrika) signifikant von dem dritten (Indien und Persien). Deren Rezeption in den untersuchten Quellen sei nämlich kaum von einer religiösen Polarisierung geprägt gewesen. Das frühneuzeitliche Wissensarchiv über den Islam sei hingegen vor allem von den ersten zwei Zonen geprägt gewesen. Hätten aber die vorhandenen Texte zu Persien und Indien Eingang in einen allgemeinen Wissenshaushalt gefunden - so die kurze kontrafaktische Überlegung in der Einleitung -, dann wäre das frühneuzeitliche Islambild in Großbritannien ein anderes gewesen (11).

Ihre Thesen spielen die Autoren an sechs Beispielen durch: Das erste Kapitel behandelt die Wahrnehmung von Islam und Moslems im englischen Denken (13-41). Darin wird eine verflochtene Frühe Neuzeit dargestellt, wie sie nicht den üblichen europäischen Geschichtsdarstellungen entspricht. Ein besonderer Mehrwert entsteht etwa durch die Betonung der Wechselseitigkeit von Austausch und Transfer der Untersuchungsgebiete, etwa wenn eine Gegenüberstellung der Anzahl muslimischer Besucher Englands und englischer Auswanderer nach Nordafrika erfolgt. Die beschriebenen Verflechtungen schlugen sich in verschiedensten Quellengenres nieder, in Theaterstücken, aber auch in gelehrten wie weniger gelehrten Büchern. Durch die Analyse einer heterogenen Quellenbasis vermögen die Autoren zu zeigen, dass für die britische Identitätskonstruktion der Islam als Gegenbild eine zentrale Rolle spielte. Dabei war dieses Gegenbild wesentlich durch die Geschichten über nordafrikanische Piraten geprägt, während die Darstellungen aus anderen Gegenden, in denen der Konflikt zwischen Islam und Christentum nicht charakteristisch war, ausgeblendet wurden.

Das zweite Kapitel (42-78) richtet den Blick auf die diplomatischen wie persönlichen Kontakte Elisabeths I. mit islamischen Herrschern, zum Osmanischen Reich und Ahmad al-Mansur. Ebenso finden die eher irregulären Kontakte nach Persien, aber auch frühe Beziehungen zum Mogulreich Eingang in die Betrachtung. Zusammenfassend wird dabei deutlich, dass die britische Diplomatie mit den islamischen Ländern durch ihre Konkurrenz mit dem katholischen Spanien geprägt war und die exkommunizierte Elisabeth I. Möglichkeiten des direkten diplomatischen Kontakts nutzte, der den spanischen Monarchen verwehrt war.

Das dritte Kapitel betrachtet den Alltag der Akteure des britisch-islamischen Kontaktes, der Vorsteher der Faktoreien, Gouverneure und Diplomaten (79-123). Die Autoren unterstreichen, dass die Briten, die in die islamische Welt kamen, nach Möglichkeiten suchten, zu Anstellung und Vermögen zu kommen (123), dabei auf sehr verschiedene Bedingungen trafen und sich entsprechend auch anders verhielten. Hätten sie sich in Aleppo und Istanbul wie Gäste großer Reiche benommen, seien sie im Mogulreich schon bald wie "imperial masters" aufgetreten (123).

Im vierten Kapitel rücken Gefangene als Akteure des Kulturkontaktes in den Mittelpunkt (124-155). Die differenzierten und spannenden Darstellungen zeigen die fundierte Kenntnis der Autoren zur Interaktion mit dem islamischen Nordafrika. Die captivity narratives - Geschichten von Europäern, die in Gefangenschaft geraten, teils versklavt und zur Konversion gezwungen worden waren - gehörten zu den im englischen Raum besonders regelmäßig veröffentlichten Textgattungen: Die für dieses Genre typischen Narrative islamischer Grausamkeit und christlichen Heldenmuts prägten das Islambild der britischen Leser mehr als andere Texte. Sonderformen des Kulturkontakts wurden so für das Islambild überproportional wirkmächtig.

Das fünfte Kapitel richtet seinen Fokus auf diejenigen Personengruppen, mit denen Briten in der islamischen Welt in Kontakt kamen (156-197): verschiedene christliche Gruppen, Juden und Armenier, Schiiten als islamische Sondergruppe sowie auf die "Mughals", die Moslems in Indien. Zutage treten dabei die Unterschiede bei der Aufnahme von Informationen und narrativen Elementen von Reiseberichten in den weiterverarbeitenden Diskurs: Während Juden wie Türken zu einem etablierten Bestandteil englischer Schauspiele wurden, fanden östliche Christen und Armenier dort keinerlei Aufnahme.

Das sechste und letzte Kapitel wendet sich der materiellen Kultur zu (198-229). Mit geschickt gewählten Beispielen zeigen die Autoren, wie unterschiedlich materielle Güter aus der islamischen Welt in Großbritannien aufgenommen wurden und wie sich ihre Zuordnung im Laufe der Zeit verschieben konnte. Dabei wird deutlich, dass nicht alle materiellen Güter, die aus der islamischen Welt eingeführt wurden, die Kennzeichnung ihrer islamischen Herkunft behielten. Beispielhaft genannt sei hier die englisch-adlige Pferdekultur. Aufbauend auf der Arbeit von Donna Landry stellen die Autoren dar, wie erst durch den Export arabischer Pferde aus dem "beast of burden" ein "creature of beauty and [...] intelligence" (223) wurde. Als Essenz dieses Kapitels präsentieren sie zwei Ergebnisse: Erstens war England am Beginn des Untersuchungszeitraums "a globally inconsequential island", dessen Zivilisierung erst durch die Importe aus der islamischen Welt möglich wurde (229). Zum Zweiten schafften es die britischen Kaufleute aber, dass "Ottomans, Mughals, and Safavids, native Christians, Jews, and Europeans, and Londoners themselves, were all being turned into consumers of British goods" (238).

Das vorliegende Buch öffnet einer auf Europa zentrierten Geschichtswissenschaft neue Horizonte oder differenziert zumindest vertraute Stereotype. Alleine aus diesem Grund ist es sehr verdienstvoll. Die Tatsache, dass der Blick über die Regionen, die den Autoren anscheinend besonders vertraut sind, herausreicht, führt jedoch zu einzelnen Kritikpunkten, die abschließend genannt seien. Die Wahrnehmung der indischen Verhältnisse wird oft zu holzschnittartig dargestellt, manche der daraus entwickelten Schlussfolgerungen erscheinen diskussionswürdig. Fragwürdig ist unter anderem die Einschätzung der militärischen Stärke des Mogulreichs. Hier scheint das Fehlen einer Marine mit allgemeiner militärischer Schwäche gleichgesetzt zu werden (z.B. 122: "The North Africans were much more ready to take upon arms against the English than the imperial Mughals"). Problematisch wird es, wenn auf dieser falschen Prämisse auch das abschließende Urteil aufbaut. Gegenüber den Gefahren und Widerständen in Nordafrika und dem Mittelmeerraum sei die britische Stellung und Militärmacht in Indien und dem Persischen Golf sicherer gewesen: "Initially encountering little by way of religious, military or naval resistance, Britons quickly began establishing residential bases for trade that slowly but resolutely, developed into colonial settlements" (233). Dies erscheint als eine sehr verkürzte Darstellung des Ursprungs des Britischen Kolonialreichs in Indien.

Kritik im Einzelnen sollte aber nicht als grundlegende Kritik am hier besprochenen Buch verstanden werden. Angesichts der heutigen, auch in der akademischen Welt anzutreffenden Islamphobie ist es sehr wichtig, die Verschiedenheit der historischen Islambilder aufzuzeigen. Deutlich wird dabei, dass sich schon in der Frühen Neuzeit die Bilder eines gefährlichen und aggressiveren Islams besser verkauften und damit wirkmächtiger waren als andere, weniger kämpferisch ausgestaltete Wahrnehmungen. Essentialisierenden Beschwörungen einer überzeitlichen Erzfeindschaft zwischen Christen und Moslems, Westen und Osten, entzieht dieses Buch dadurch den Boden und verweist entsprechende Narrative auf ihren spezifischen historischen und politischen Raum. Der immer lauter werdende Ruf nach einer globalen und transkulturellen Perspektive auf Vergangenheit und Gegenwart verlangt, die zeitlichen und räumlichen Regionen zu verlassen und den Blick über den Tellerrand zu wagen. Das vorliegende Buch verdeutlicht die Notwendigkeit, statt einzelner Regionen einerseits kulturelle Großräume in den Blick zu nehmen, gleichzeitig aber regionalspezifische Analyseergebnisse nicht für den Gesamtraum zu verabsolutieren. Es ist zu hoffen, dass die von Maclean und Matar aufgeworfenen Fragen zum Gegenstand eines größeren Forschungsdiskurses werden.

Antje Flüchter