Rezension über:

Heiko Haumann: Hermann Diamanski (1910-1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, 443 S., 55 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20787-8, EUR 39,90
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Rezension von:
Roger Engelmann
BStU, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Roger Engelmann: Rezension von: Heiko Haumann: Hermann Diamanski (1910-1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/12/20986.html


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Heiko Haumann: Hermann Diamanski (1910-1976): Überleben in der Katastrophe

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Das vorliegende Buch ist ein Wagnis. Es versucht die Rekonstruktion der Biografie eines "kleinen Mannes", der als Akteur und Opfer durch die Wirren der Zeit gegangen ist und dabei zum Teil extreme Erfahrungen an den unterschiedlichen Abgründen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts gemacht hat. Ein Wagnis ist es vor allem deshalb, weil die Quellengrundlage für eine solche Biografie, die sich über weite Strecken außerhalb des Rampenlichts der Öffentlichkeit vollzogen hat, naturgemäß dürftig ist, zumal Hermann Diamanski - so heißt der Biografierte - auch nur ganz spärliche Selbstzeugnisse hinterlassen hat.

Es fängt schon damit an, dass der korrekte Name und Geburtsort Diamanskis vom Biografen mühsam ermittelt werden mussten - Heiko Haumann lässt den Leser ausgiebig an den Wegen und Irrwegen dieser Recherche teilhaben. Diamanski ist 1909 in Berlin geboren und bei seinen Adoptiveltern in Danzig aufgewachsen. Noch im jugendlichen Alter heuerte er als Seemann an und wurde bald Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes. Nach 1933 war er wahrscheinlich als Kurier in die kommunistische Widerstandsarbeit eingebunden. Trotz seiner sonst gründlichen Recherche übersieht Haumann an dieser Stelle ein Detail in der Biografie Diamanskis, das in der Literatur genannt wird und das durchaus interpretationswürdig ist. Er war in dieser Phase offensichtlich eine Zeitlang Mitglied der Auslandsorganisation der NSDAP [1].

1937 ging Diamanski nach Spanien, wo er in der von Heinrich Rau kommandierten 11. internationalen Brigade kämpfte. Eine mögliche Beteiligung an Ernst Wollwebers Schiffssabotageorganisation, die der Autor insinuiert, bleibt völlig spekulativ.

Nach der Niederlage der republikanischen Seite floh er zunächst nach Südfrankreich und 1940 wegen einer drohenden Auslieferung an die Gestapo durch die Vichy-Regierung wieder nach Spanien zurück. Vermutlich wollte er sich nach Portugal durchschlagen. Er wurde jedoch in Barcelona verhaftet und dem deutschen Konsulat übergeben. Diamanski erschien der Gestapo als immerhin so bedeutend, dass sie ihn in das Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße brachte. Er musste Misshandlungen und Dauerverhöre über sich ergehen lassen, bis er schließlich Anfang 1941 als "Schutzhäftling" ins KZ Sachsenhausen überstellt wurde.

Nach Aufenthalten im Außenlager Dröben und im Männerlager des KZ Ravensbrück kam er im Frühjahr 1942 nach Auschwitz. Er hatte dort den Status eines "Vorzugshäftlings", weil er in Dröben das Kind einer KZ-Aufseherin gerettet hatte. Unter Mithilfe der kommunistischen Untergrundorganisation wurde er zunächst Kapo im Männerlager und schließlich "Lagerältester" des sogenannten Zigeunerlagers. Es kam Diamanski zugute, dass er den in der Politischen Abteilung tätigen SS-Oberscharführer Wilhelm Boger kannte. Dieser war wegen eines kriminellen Vergehens selbst in der Prinz-Albrecht-Straße inhaftiert und dort sein "Zellenkamerad" gewesen.

Nach übereinstimmender Auskunft von Überlebenden, die mit Haumann gesprochen haben, versuchte Diamanski als oberster Funktionshäftling im Zigeunerlager (man nannte ihn "Zigeunerbaron"), "seinen" Häftlingen mit außerordentlichem Engagement zu helfen. Er organisierte unter der Hand Lebensmittel und konnte einigen wohl auch das Leben retten. Im Frühjahr 1944 fiel die Entscheidung, das Zigeunerlager zu liquidieren - ein erster Versuch misslang jedoch aufgrund des Widerstandes der Häftlinge. Diamanski wurde wegen Begünstigung der Häftlinge in eine Strafkompanie eingewiesen, verlor aber seinen Status als "Vorzugshäftling" nicht. Als die Sinti und Roma des Lagers im August 1944 dann doch in den Gaskammern ermordet wurden, erlitt Diamanski einen "Nervenzusammenbruch". Zwar gelang es ihm, die Frau zu retten, zu der er eine Liebesbeziehung unterhalten hatte, nicht aber deren beide Kinder, die er "als seine eigenen betrachtet" habe. Noch viele Jahre später litt Diamanski an den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die er sich in der Gestapo- und Lagerhaft zugezogen hatte.

Die Kapitel zur Haft in Auschwitz sind die eindringlichsten des Buches. Obwohl die Quellensituation im Hinblick auf die konkrete Rolle und die konkreten Erfahrungen Diamanskis gerade auch hier schwierig ist, gelingt Haumann eine überzeugende Darstellung. Die unglaubliche Grausamkeit des Geschehens wird ebenso deutlich wie der erstaunliche Handlungsspielraum der Funktionshäftlinge.

In den berüchtigten Todesmärschen wurde Diamanski im Januar 1945 ins KZ Buchenwald "evakuiert", wo er abermals an der kommunistischen Untergrundorganisation beteiligt war und im April von US-Truppen befreit wurde. Er arbeitete zunächst bis Juli 1946 an unterschiedlichen Orten in der amerikanischen Besatzungszone für die Militärregierung als Dolmetscher. Nachdem er bei seinem Arbeitgeber Benzin entwendet hatte, um damit die Gießener KPD zu versorgen, deren Mitglied er geworden war, wurde er entlassen und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Diamanski wechselte 1947 in die sowjetische Besatzungszone, wo er vom stellvertretenden Leiter der Thüringer Landespolizei, Horst Jonas, einem ehemaligen Mithäftling in Sachsenhausen und Auschwitz, in den Polizeidienst eingestellt wurde. Dort machte er zunächst schnell Karriere, im Juni 1950 war er bereits Volkspolizei-Oberrat. Zum Ende des Jahres wurde er allerdings plötzlich entlassen, offenbar wurde er Opfer einer von den Sowjets angestoßenen kaderpolitischen Säuberung. Von jetzt an erregte er das Misstrauen der Staatssicherheit, zumal er und seine Frau sich unangepasst verhielten. Im Frühjahr 1953 kam er einer Verhaftung durch das MfS zuvor und setzte sich nach West-Berlin ab. Dort wurde er aufgrund seiner Vorgeschichte kurzzeitig vom CIA beschäftigt, ehe er als "Verräter" erst recht ins Visier des MfS geriet.

Haumann beleuchtet abschließend noch ausgiebig weitere Lebensetappen Diamanskis, in denen es vor allem um seinen Kampf um Wiedergutmachung und Entschädigung und seine Rolle als Zeuge im ersten Frankfurter Auschwitzprozess geht. Es ist schon fast unglaublich, welches Spektrum an Themen hier anhand der Biografie einer Person abgehandelt werden können. Die Darstellung ist ein Kaleidoskop deutscher Zeitgeschichte, gebunden an den Lebensweg eines Mannes, der das Geschehen als Opfer und Akteur überwiegend fast "ganz unten" erlebt hat. Und hier entstehen Probleme, weil die Quellen an vielen Stellen eben nicht ausreichen, um die Biografie Hermann Diamanskis umfassend zu rekonstruieren. Etliche Lebensabschnitte liegen weitgehend im Dunkeln, seine Haltung, seine Motive und seine Gedankenwelt bleiben oftmals schemenhaft.

Der Autor versucht, das Quellenproblem durch eine intensive Verarbeitung der jeweils einschlägigen Forschungsliteratur, teilweise auch von Memoiren und halbfiktionaler Literatur, zu überspielen. Das gelingt ihm teilweise geradezu meisterhaft. Trotzdem bleibt das Ergebnis am Ende ein wenig unbefriedigend, weil über weite Strecken zwangsläufig nur allgemeine Erkenntnisse referiert werden, die man auch an anderer Stelle und dort fundierter nachlesen kann. Der Protagonist verschwindet zu oft aus dem Blickfeld und zu oft müssen Informationslücken mit Spekulation gefüllt werden, um die biografische Dimension überhaupt noch abzudecken.


Anmerkung:

[1] Volker Koop: Hitlers Fünfte Kolonne. Die Auslands-Organisation der NSDAP, Berlin 2009, 105.

Roger Engelmann