Donald S. Prudlo (ed.): The Origin, Development, and Refinement of Medieval Religious Mendicancies (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 24), Leiden / Boston: Brill 2011, XVIII + 382 S., ISBN 978-90-04-18180-9, EUR 139,00
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Die Qualitäten dieses Bandes erschließen sich erst, nachdem man seinen etwas sperrigen Titel und das auf Seite IV unkorrekt erläuterte Einbandbild hinter sich gelassen hat. Das Thema hingegen lässt aufhorchen: Die elf Autoren wollen das Problem des religiös begründeten Bettelns in seiner Vieldeutigkeit und Komplexität neu aufrollen. Sie beschränken sich nicht auf die Franziskaner, sondern beziehen mit den Dominikanern wenigstens den zweiten großen Mendikantenorden ein. Drei zeitlich aufeinander aufbauende Sektionen erörtern Ursprünge (12.-13. Jahrhundert), Entwicklung (im 13. Jahrhundert) und spätere Rezeption (vom späten 13. bis zum 15. Jahrhundert) des religiösen Bettelns; die einzelnen Beiträge verstehen sich nicht als lose gruppierte Aufsätze, sondern als Kapitel eines mehrhändigen Buches. Dieses Konzept ist relativ erfolgreich umgesetzt worden. Nur zwei der elf Kapitel - das von Holly J. Grieco (117-155) über die Bedeutung der franziskanischen Inquisition für das Selbstverständnis des Ordens sowie das von Patricia R. Bart (307-334) über den Einfluss der Mendikanten auf die mittelenglische Literatur - scheren aus, weil sie Betteln und Armut der Bettelorden nicht problematisieren. Doch gerade darum geht es ja: Was berechtigt uns dazu, den Ordo Minorum, Ordo Praedicatorum und andere Orden schon seit ihrer Gründung im frühen oder mittleren 13. Jahrhundert mit dem Etikett 'Bettel'-Orden zu versehen? Müssten wir nicht statt vom Betteln im Singular eher von "mendicancies" im Plural sprechen? Wie verhält sich das Betteln - im engeren Sinn des Almosensammelns - zu breiteren Konzepten von Armut und humilitas? Während die einen Autoren sich stärker auf die Problematik des Bettelns konzentrieren, behandeln andere das weitere Feld der Armutsdebatten, also zentrale Momente der Ordensgeschichte wie den Pariser Mendikantenstreit, den Armutsstreit oder die Observanzen. Neue Gesichtspunkte eröffnen jedoch vor allem jene Kapitel, die sich mit der Theorie und Praxis des Bettelns der Mendikantenorden befassen; sie seien im Folgenden als erste vorgestellt.
Um die Ursprünge der Bettelorden zu kontextualisieren, machen die Einleitung des Herausgebers und die erste Sektion sich Herbert Grundmanns Begriff der "religiösen Bewegung" zunutze. Augustine Thompson (3-30) kann mit diesem begrifflichen Werkzeug nicht nur die scheinbare Neuheit der sogenannten Bettelorden im frühen 13. Jahrhundert, sondern auch die Relevanz des Almosensammelns sogar für die frühen Franziskaner in Frage stellen. Insbesondere aber weist er nach, dass vor dem späten 13. Jahrhundert weder die vier bis dahin legalisierten 'Bettelorden' als einheitlicher Ordenstyp wahrgenommen wurden noch ein kirchenrechtlicher Begriff 'Bettelorden' existierte. Die Bedeutung des Bettelns schwindet erwartungsgemäß noch weiter, wenn man mit Anthony J. Lappin (31-58) die Frühgeschichte des Predigerordens unter diesem Blickwinkel betrachtet. Nach dem Tod des Gründers gaben die Dominikaner das Betteln in der Praxis rasch auf, integrierten es aber theoretisch in ein breiteres Konzept von Armut, die sie als Mittel zur Verwirklichung eines apostolischen Lebens in humilitas konstruierten. Der Beitrag des Herausgebers, Donald S. Prudlo (85-116), untersucht die Haltung der Mendikanten zum Betteln durch die Brille der frühen Ordenshagiografie. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass die Bettelordensheiligen vom Betteln immer weniger wissen wollten. Vielmehr wandelten sich sowohl die dominikanischen als auch die franziskanischen Heiligen im Lauf des 13. Jahrhunderts von Almosensammlern in eigener Sache zu Helfern der unfreiwilligen, nicht-religiösen Bettler. Am Beispiel des in den 1280er Jahren schreibenden franziskanischen Chronisten Salimbene de Adam vertieft David Foote (197-238) diese Entwicklung der Bettelorden zu Mittlern zwischen Reich und Arm. Sein Fallbeispiel ist vor allem deshalb interessant, weil Salimbene die Widersprüche thematisiert, mit denen ein aus reicher Familie stammender Mendikant zu kämpfen hatte - nicht zuletzt die Scham, die er beim Betteln empfand. Mit seinem Vorschlag, den Patriziersohn Salimbene als Übersetzer der franziskanischen Botschaft in die Sprache der Kommunalelite und die Franziskaner generell als Übersetzer der Armenfürsorge Gregors des Großen in die Sprache des 13. Jahrhunderts zu deuten, gelingt Foote eine neue Deutung der Chronik; sie wäre noch überzeugender, wenn er den überladenen Begriff "political theology" weniger häufig gebraucht hätte.
Zwei blinde Flecken im bisher gezeichneten Bild der "religious mendicancies" fallen auf: Sie betreffen die reale Ökonomie der Orden bzw. der von ihnen unterstützten Armen. David Foote stellt sich als einziger mit einer gewissen Ausführlichkeit (220-226) dem Problem, wie sich die Armut der Mendikantenorden zur Armut der nicht-religiösen Bettler verhielt. Er ordnet beide Aspekte in eine doppelte "divine economy of begging" ein, deren innere Widersprüche nach dem Tod des Franziskus aber auf Dauer nicht lösbar gewesen seien. Da jedoch die anderen Kapitel kaum auf die 'reale' Armut eingehen, bleibt festzuhalten, dass auch dieser Band wenig dazu beiträgt, die beiden meist getrennt untersuchten Spielarten mittelalterlicher Armut, die religiöse und die unfreiwillige, aufeinander zu beziehen. Von einem zweiten blinden Fleck lebt die Aussage, die Bedeutung des Bettelns für die untersuchten Orden habe sich im Lauf der Zeit vermindert, denn dieser Befund müsste natürlich mit dem realen Wirtschaften der Orden bis ins Spätmittelalter abgeglichen werden. Im einzigen Kapitel, in dem dies versucht wird, kommt zwar auch Antonio Rigon (241-275) zu dem Ergebnis, dass zumindest in den italienischen Städten die Bettelorden nur wenig bettelten. Doch heißt dies nicht, dass das überall so war. In anderen Ländern, z.B. am Rhein, machten die in den Städten und in den Terminierbezirken der Orden gewonnenen Almosen einen beachtlichen Teil der Einnahmen vieler Konvente aus. [1]
Doch der Schwerpunkt des Bandes liegt nun einmal nicht auf vergleichenden Fallstudien zur realen Ökonomie, sondern auf der mittelalterlichen Theorie. Dies wird durch jene Beiträge unterstrichen, die den Fokus weniger auf das Betteln im engeren Sinn als vielmehr auf die in und mit den Bettelorden geführten Armutsdebatten richten. Im einzigen Kapitel über einen weiblichen Bettelordenszweig berichtet Joan Mueller (59-81) von den Anfängen der Klarissen und vom Kampf Klaras und Agnes' von Prag um das Recht der Frauen auf ein Leben in franziskanischer Armut, gelangt freilich allenfalls zu einer Neuakzentuierung des etablierten Forschungsstands. Andrew Traver (157-195) stellt souverän die Personen und Argumente vor, die den ab Mitte des 13. Jahrhunderts von der Pariser Universität ausgehenden Streit zwischen Mendikanten und Weltklerus prägten. Kenntnisreich rollt David Burr (277-305) diesen Faden für die Minoriten weiter aus, indem er die Geschichte der südfranzösischen und italienischen Franziskanerspiritualen und (knapper) den zwischen dem Orden und Papst Johannes XXII. ausgetragenen Armutsstreit rekonstruiert. Zum Schluss zeichnet Silvia Nocentini (335-361) die Diskussionen um die Observanz im Dominikanerorden vom späten 14. bis ins 15. Jahrhundert nach.
Die vom Herausgeber gewünschte "Dezentrierung" des Begriffs "mendicancy" (XVIII) ist insbesondere in jenen Beiträgen (Thompson, Lappin, Prudlo und Foote) gelungen, die sich mit den mendikantischen Konzeptionen des Bettelns im engeren Sinn auseinandersetzen. Anders der Ansatz der Kapitel, die den bekannten Debatten um Armut und Regeltreue gewidmet sind und aus der Vogelschau auf gesicherte Forschungsergebnisse herabblicken: Sie haben - jedenfalls auch - die Funktion, Vollständigkeit herzustellen, wie sie die Logik der Reihe, zu der der Band gehört, nun einmal verlangt. Die Unterschiedlichkeit der beiden Stoßrichtungen lässt sich nicht verbergen, denn der Anspruch auf Vollständigkeit ist in einem mehrhändigen Werk schwer mit konzeptioneller Geschlossenheit zu vereinen. Dennoch - und von einigen formalen Mängeln abgesehen (zweifelhafter Nutzen der am Ende gebotenen Auswahlbibliografie, Fehlen einer Liste der Abkürzungen) - ist das Buch für die mediävistische Forschung zum religiösen Betteln und zu den Mendikantenorden ein Gewinn.
Anmerkung:
[1] Bernhard Neidiger: Armutsbegriff und Wirtschaftsverhalten der Franziskaner im 15. Jahrhundert, in: Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise mittelalterlicher Orden und Klöster, hg. v. Kaspar Elm, Berlin 1992, 207-229; Andreas Rüther: Bettelorden in Stadt und Land. Die Straßburger Mendikantenkonvente und das Elsaß im Spätmittelalter, Berlin 1997.
Thomas Frank