Adam J. Kosto: Hostages in the Middle Ages, Oxford: Oxford University Press 2012, XVII + 281 S., 2 Kt., ISBN 978-0-19-965170-2, GBP 60,00
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Die (Wieder-)Entdeckung von Krieg und Gewalt, die seit einigen Jahren in der Forschung festzustellen ist, bringt es mit sich, dass nun auch Inhalte behandelt werden, die mit diesen Themen zusammenhängen. In besonderem Maße gilt das auch für das hier besprochene Werk des an der Columbia University/New York lehrenden Adam J. Kosto, das seit den Studien von Lutteroth (1922) [1] und Hoppe (1953) [2] die erste breit angelegte Untersuchung ist, die sich dem Thema Geiseln und Geiselschaft für die Zeit des Mittelalters widmet. Allein schon diese Tatsache macht das Buch interessant.
Es ist das erklärte Ziel Kostos, Geiseln und Geiselschaft in die jeweiligen sozialen, rechtlichen und politischen Kontexte einzubetten, um auf diese Weise mehr über die Entwicklung und das Funktionieren von mittelalterlichen Gesellschaften überhaupt zu erfahren. Es sei bereits vorweggenommen, dass er dieses Ziel erreicht. Denn neben der für die Geiseln im gesamten Mittelalter feststellbaren Kernrolle als Garanten für Übereinkünfte war ihr Nutzungsfeld wesentlich umfassender. Dementsprechend gab es im Mittelalter keine "typische" Geisel, sondern es lassen sich zahlreiche unterschiedliche Formen von Geiselschaft ausmachen.
Die Veröffentlichung gliedert sich insgesamt in sieben Kapitel. Das Buch beginnt mit zwei einleitenden Kapiteln über die bisherige Forschung, Probleme und Perspektiven des Untersuchungsgegenstandes (1-24) und den verschiedenen Spielarten und Logiken der Praxis der Geiselschaft im Mittelalter (24-53). Bereits diese beiden Kapitel lassen die Bemühung um eine vorrangig europäische Perspektive erkennen. So liegt der geographische Fokus der Untersuchung neben dem Reich, Italien, England, Frankreich und den Niederlanden auch auf der Iberischen Halbinsel und den Kreuzfahrerstaaten. Hinzu kommen zahlreiche Beispiele aus Osteuropa, Byzanz, Skandinavien, Russland und Zentralasien. Wenngleich bereits einleitend betont wird, dass die letztgenannten Gebiete genauso wie die Islamische Welt nur kursorisch beleuchtet werden können, ist dieser breite Fokus sehr gewinnbringend. Denn dadurch geraten Regionen in den Blick, die an der Grenze zur lateinischen Christenheit lagen und in denen ein Austausch mit anderen Kulturen zu erwarten ist. Während der Rest des Buches chronologischen Ordnungsprinzipien folgt, ist das zweite Kapitel bewusst nicht chronologisch konzipiert. Vielmehr wird der Leser mit dem wichtigsten, späterhin verwendeten Vokabular vertraut gemacht.
Das dritte Kapitel (53-78) wendet sich der Entwicklung der Geiselschaft im Frühmittelalter zu und betont, dass bereits zu dieser Zeit die Garantiefunktion von Geiseln hinter ihre symbolische und erweiterte politische Bedeutung zurücktrat. Geiselschaft im Frühmittelalter erscheint dabei stark in die zeitgenössischen familiären Strukturen und die Bündnispraktiken eingebettet. Der europäische Fokus, der in diesem Kapitel gewählt wurde, erweist sich als sehr fruchtbar. Leider kann dieser aufgrund der quantitativ starken Zunahme der Geiseln, die in den folgenden Jahrhunderten in den Quellen auftauchen, nicht für das folgende vierte Kapitel beibehalten werden.
In diesem steht (78-130) die Bedeutungsveränderung von Geiseln und Geiselschaft ab dem 11. Jahrhundert im Vordergrund. Als wichtiger Indikator für diese Veränderung wird neben dem (Wieder-)Aufkommen weiblicher Geiseln auch der quantitative Anstieg von Geiseln allgemein ausgemacht. Dadurch wurde die Praxis der Geiselschaft aus den für das Frühmittelalter typischen Familien- und Bündnisstrukturen herausgelöst - an ihre Stelle trat eine entindividualisierte, bürokratisierte und kommerzialisierte Sichtweise auf Geiseln, die eng mit der im Hochmittelalter aufkommenden Geldwirtschaft zusammenhing. Geiseln erscheinen in diesem Zusammenhang immer mehr als abhängige Schachfiguren im politischen System. Aus dieser Entwicklung resultierten zahlreiche Veränderungen in der Kriegführung und im Kriegsrecht allgemein, die letztlich zur Herausbildung und Entwicklung von Regeln und Normen führten.
Zeitgleich entstand der neue Typus der "Geisel unter Vorbehalt", dem das fünfte Kapitel (130-163) gewidmet ist. Dieser stellt die Verpflichtung der Vertragspartner dar, Geiseln nur im Fall eines drohenden Vertragsbruches zu stellen und wird als wichtiger Schlüsselmoment des Wandels im mittelalterlichen Verständnis von Garantie und Sicherheit begriffen. Unter Hinzunahme von normativen Texten wird aufgezeigt, dass bei diesem Typus die Identität der Geiseln nicht nur zu einer Nebensache, sondern ihre Stellung überhaupt zu einer hypothetischen Angelegenheit werden konnte. Den Grund für das ab dem beginnenden 12. Jahrhundert gewachsene gegenseitige Vertrauen der Streitparteien liegt in der Zunahme von Schriftlichkeit im Rechtsleben. Interessanterweise spielten Geiseln jedoch auch dann noch eine wichtige Rolle, als sie - bedingt durch die Zunahme von rechtlichen Normen und die Bedeutung von Geldwirtschaft - eigentlich entbehrlich geworden waren.
Im anschließenden sechsten Kapitel (163-199) werden Rolle und Bedeutung von Geiseln bei den gut dokumentierten Gefangennahmen und Freilassungsverhandlungen von sechs mittelalterlichen Monarchen behandelt (Balduin II. von Jerusalem, Ludwig IX. von Frankreich, Richard I. von England, Karl II. von Anjou, David II. von Schottland und Jakob I. von Schottland). Durch die Untersuchung des jeweiligen Status der Geiseln, der Verträge, die im Kontext der Gefangennahmen der Monarchen entstanden und des späteren Schicksals der Gefangenen stellt sich heraus, dass man den Geiseln in diesen Fällen eine Mittelstellung zwischen der frühmittelalterlichen Geiselschaft, bei der die Identität der Geisel eine gewichtige Rolle spielte und der entindividualisierten und monetarisierten Geiselschaft späterer Zeiten attestieren kann.
Das letzte und sehr aktuelle siebte Kapitel (199-226) schließlich widmet sich den jeweils vorherrschenden zeitgenössischen Interpretationen von und Urteilen über Geiselschaft im Zeitraum vom Mittelalter bis hin zu dem von den Vereinten Nationen geschlossenen "Internationalen Übereinkommen gegen Geiselnahme" (1979). Die hier gemachten Überlegungen sind insofern lohnend zu lesen, als dort neben der wichtigen Rolle des Papsttums für den Untersuchungsgegenstand auch zahlreiche völkerrechtliche Autoren und ihre aus der Praxis gewonnene Meinung zu Geiseln und Geiselschaft behandelt werden.
Insgesamt gesehen bietet das gut lesbare und durch ein ausführliches Register sowie zahlreiche erklärende Tabellen und Karten erschlossene Buch von Kosto eine wahre Quellen- und Themenfundgrube für alle, die sich künftig mit Geiseln und Geiselschaft beschäftigen wollen und wird für sie die maßgebliche Referenzquelle sein. Aber auch im Hinblick auf das Verständnis der mittelalterlichen Kultur im Spiegel von Geiselschaft ist dem Autor ein eindrucksvolles Werk gelungen, dem eine breite Rezeption zu wünschen ist.
Anmerkungen:
[1] Ascan Wilhelm Lutteroth: Der Geisel im Rechtsleben: Ein Beitrag zur allgemeinen Rechtsgeschichte und dem geltenden Völkerrecht (Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, 36), Breslau 1922.
[2] Helmut R. Hoppe: Die Geiselschaft: Ihre Entwicklung und Bedeutung, Göttingen 1953 (Diss. jur.).
Bastian Walter