Rezension über:

Gero Seelig / Liesbeth Helmus (Hgg.): Der Bloemaert-Effekt! Farbe im Goldenen Zeitalter, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, 192 S., 141 Farb-, 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-86568-704-3, EUR 39,95
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Rezension von:
Philipp Weiss
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Philipp Weiss: Rezension von: Gero Seelig / Liesbeth Helmus (Hgg.): Der Bloemaert-Effekt! Farbe im Goldenen Zeitalter, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2 [15.02.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/02/21598.html


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Gero Seelig / Liesbeth Helmus (Hgg.): Der Bloemaert-Effekt!

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Der Katalog und die gleichnamige in Utrecht und in Schwerin gezeigte Ausstellung verdanken sich der Initiative der als Herausgeber genannten Kuratoren für Alte Kunst beider Institutionen. Er enthält mit 50 hochrangigen Gemälden und 40 ebensolchen Arbeiten auf Papier die bisher umfangreichste Werkschau zu Abraham Blomaert (1566-1651), dem "Vater der Utrechter Schule" (9).

Sehr schlüssig wirkt die Gliederung der Werke im Katalog nach Historienbildern, Genredarstellungen und schließlich Landschaften, die mit Verweis auf die kunsttheoretische Rangordnung der Gattungen getroffen wurde, wie sie etwa bei Karel van Mander, einem Freund Abraham Blomaerts, formuliert ist. Innerhalb der Abteilungen werden in chronologischer Folge sowohl Zeichnungen als auch Druckgrafik und Gemälde vorgestellt, eine Entscheidung die der Bedeutung Bloemaerts als Zeichner und Maler und auch dem komplexen Verhältnis zwischen Zeichnung, Druckgrafik und Gemälden in Bezug auf Bildfindung, Ästhetik, Markt und Lehre Rechnung trägt.

Der im 19. Jahrhundert einsetzenden Begeisterung für die niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters, deren Interesse für die Erscheinung der (alltäglichen) Welt im Genie der drei großen Protagonisten Rembrandt, Vermeer und Frans Hals zu gipfeln schien, entgingen die anders gelagerten Qualitäten Bloemaerts. Diese verstellte Sicht war Forschung wie öffentlichem Interesse lange eigen, was sich erst im Licht einer verschobenen Perspektive allmählich änderte.

Die aktuelle Werkschau ist der öffentlichkeitswirksame Höhepunkt einer zunächst vor allem wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk und der historischen Figur Abraham Bloemaerts, die mit einer 1928 publizierten monografischen Studie begann. Diese beschäftigte sich vorrangig mit den (damals bekannten oder zugeschriebenen) Gemälden. Marcel G. Roethlisberger verdankt sich die heute gültige Übersicht von insgesamt 685 Gemälden und grafischen Entwürfen, die von Marten Jan Bok durch biografische Daten ergänzt wurde. [1] Diese und die eigenständige, umfangreiche Studie zum zeichnerischen Werk, die Jaap Bolten 2007 publizierte [2], bilden die Grundlagen der aktuellen Forschung. Inzwischen liegen neben vielen Einzelartikeln umfänglichere Arbeiten zu Stil, Auftragsmalerei und zur Zusammenarbeit Bloemaerts mit seinen Lehrlingen und Kollegen auch außerhalb der Werkstatt vor. [3]

Neben der instruktiven Katalogeinführung durch Lisbeth M. Helmus, welche konzis die biografischen Daten nennt, Bloemaerts führende Rolle in Utrecht skizziert, sein umfangreiches Schaffen umreißt, um schließlich den Stand der kunsthistorischen Forschung darzulegen, enthält der Katalog vier weitere Beiträge.

Marten Jan Bok liefert mit "Das Leben Abraham Bloemerts" eine geschickte Zusammenfassung der umfangreich dokumentierten Biografie des Malers. Die Behandlung von Herkunft, Reisen, Arbeitsbeziehungen und gesellschaftlicher Position ist auch vor dem Hintergrund von Bloemaerts katholischer Konfession interessant. Dieser ist nicht nur künstlerisch, sondern auch mit Bezug auf die unterschiedliche Auftragslage in den vereinigten nordniederländischen und in den südlichen Provinzen von Belang und bedeutsam für Bloemaerts wechselnde Position in Utrecht etwa in Folge des Einflusses der Contraremonstranten.

Albert J. Elens Beitrag über den "begnadeten und praktischen Zeichner" unterscheidet mannigfaltige Typen, Funktionen und Bestimmungen innerhalb des umfangreichen zeichnerischen Œuvres: Darin finden sich Skizzen nach dem Leben sowohl von Figuren als auch von Landschaften, es gibt ausführliche Kompositionszeichnungen sowie Detailstudien für Gemälde und Druckgrafik, aber auch für Präsentationszwecke und schließlich selbständige Zeichnungen für Widmungs- und Verkaufszwecke. Auch die didaktische Funktion der Zeichnungen ist mit Blick auf die zahlreichen Schüler Bloemaerts von großer Bedeutung. Der Sohn und Stecher Frederick Bloemaert sollte aus der Hinterlassenschaft seines Vaters das später bekannte Zeichenbuch mit dem Titel "Artis Apellae liber", eher ein Musterbuch als eine Zeichenschule, kompilieren und gegen 1650 publizieren. Anschaulich verdeutlicht Elen auch den Bildfindungsprozess von der Entwurfszeichnung zum Gemälde.

Gero Seelig widmet seinen ebenfalls seiner größeren Studie [3] verbundenen Beitrag dem Thema "Abraham Bloemaert und die Druckgrafik". Anders als etwa bei Rubens sind die meisten Druckgrafiken nicht nach Gemälden entstanden, sondern basieren auf dafür eigens bestimmten Zeichenvorlagen. Seelig diskutiert die jeweils abgestimmte Zusammenarbeit mit verschiedenen bekannten Druckgrafikern, die stilistische Entwicklung, aber auch die Auswahl und Veränderung der wichtigsten Bildinhalte von biblischen und mythologischen Themen bis hin zu Landschaften mit einem ganz eigenen Charakter. Bloemaerts Eigenheiten werden auch im Verhältnis zu anderen holländischen Kunstzentren und -strömungen wie aus der konfessionellen Gemengelage erklärt. Damit bietet Seelig einen instruktiven, viele weitere Themen und Fragen eröffnenden Beitrag.

Ein weiteres Kapitel der Kunst Bloemaerts schlägt Elizabeth Nogrady auf: "Gemäldezyklen: Eine Utrechter Spezialität". Neben eigenen Zyklen war Bloemaert maßgeblich an Kooperationen mit bekannten Malerkollegen aus Utrecht, aber auch Haarlem oder Flandern beteiligt. Auftraggeber dieser repräsentativen Serien waren neben dem Statthalter der niederländischen Provinzen Frederik Hendrik europäische Fürstenhöfe bis hin zu Christian IV., König von Dänemark und Norwegen. Bei Wahrung der eigenen Charakteristika vereinbarten die Maler eine einheitliche Lichtführung, bestimmte Farbpaletten und auch Kompositionsstrukturen. Bloemaert bewies in diesen Zusammenhängen großes Geschick und überraschende Versatilität.

Von eigener Art ist eine ebenso charmante, gelehrte wie spekulative Erörterung eines Gemäldes von Jan ter Borch, die Ghislain Kieft beisteuert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit zeigt das Bild "Bloemaert als Lehrmeister und Bohnenkönig", wie im Titel des Aufsatzes angegeben. Ob die alte Disziplin der detektivischen, ikonologische wie thematische oder biografische Details und Spuren deutend verbindenden Kunstgeschichtsschreibung ertragreich ist, hängt stets von ihrer Qualität ab. Diese zeigt sich oft erst, wenn weitere Spuren angefügt, andere Erzählungen ergänzt werden können, damit schließlich ein Gewebe entsteht, dessen Zusammenhalt nicht allzu vieler Konjekturen bedarf, um als plausibel zu gelten.

Die schlüssig kommentierten Abbildungen des Katalogteils zeigen zunächst den schönen frühen Manierismus pastellfarbiger, schimmernder Töne, die wohl gegenstandsgebunden sind, Objektfarben sind, aber doch, etwa von Inkarnat zu Inkarnat, die feinsten Stufenfolgen aufweisen. Im späteren Werk, das kompositorisch von den akrobatischen, künstlichen und auf Überraschung zielenden Effekten absieht und in Hinsicht auf die Fügung von Körper und Raum gefasster, deutlicher, man könnte sagen, klassischer wird, ändert sich auch die Farbpolitik. Die Objektfarben sind untereinander weniger durch Komplementärkontraste oder Stufungen gebunden und widersetzen sich auch der bildübergreifenden, bindenden Funktion der Helligkeitswerte, wie sie in den Zeichnungen herrschen. Es kommt nicht zu jener Durchdringung von Helldunkel- und Farbwerten, wie wir sie von Rembrandt und - auf ganz andere Weise - von Vermeer kennen. Eher über die caravaggistischen Schüler oder das von den Autoren als realistisch(er) apostrophierte Spätwerk der Greisenstudien und Landschaften gerät Bloemaert in eine gewisse Fühlung auch zu deren Bildwelten. Mit Bezug auf diese Entwicklung könnte man sich wünschen, dass die im Kataloguntertitel angekündigte Frage nach der Farbe expliziter thematisiert und problematisiert worden wäre. Vielleicht könnten etwa die Schriften Karel van Manders, der in mancher Hinsicht einem ähnlichen künstlerischen Referenz- und Resonanzraum angehört wie Abraham Bloemaert, ein geeignetes Reflexionsmittel für eine solche Fragestellung darstellen.

Der Katalog bietet eine wohlfundierte und grandios präsentierte Einführung in das Werk Abraham Bloemaerts und den Stand der Forschung. Er eröffnet viele wichtige Fragen, deren Vertiefung sich aus der weiteren Beschäftigung mit dieser lange vernachlässigten Schlüsselfigur der holländischen Malerei noch ergeben mag. Dazu gehören bildwissenschaftliche Fragen nach der Funktion der Zeichnung, die Themenkreise von Werkstatt, Lehre, künstlerischen Beziehungsgeflechten und Auftragsstrukturen, aber auch ikonologische Themen und die bildpolitischen Konsequenzen der konkurrierenden Konfessionen innerhalb und außerhalb der Vereinigten Provinzen.


Anmerkungen:

[1] Marcel G. Roethlisberger: Abraham Bloemaert and his Sons. Paintings and Prints, Biographien und Dokumente bearb. von Marten Jan Bok, 2 Bde. Doornspijk 1993.

[2] Jaap Bolten: Abraham Bloemaert, c. 1565-1651: the Drawings, 2 Bde. Leiden 2007.

[3] Elizabeth Ann Nogrady: Abraham Bloemaert (1566-1651), the 'Netherlandish Academy' and Artistic Collaboration in Seventeenth-Century Utrecht, Ph. D. Diss., Institute of Fine Arts, New York University 2009; Gero Seelig: Abraham Bloemaert (1566-1651). Studien zur Utrechter Malerei um 1620, Berlin 1997.

Philipp Weiss