Susanne Gesser / Martin Handschin / Angela Jannelli u.a. (Hgg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld: transcript 2012, 300 S., ISBN 978-3-8376-1726-9, EUR 28,80
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Partizipative Museen? Das klingt nach den seligen 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als man Autoritäten verachtete und den Bürger und die Bürgerin irgendwie (!) revolutionär ermächtigen wollte. Also etwas längst auf den Dachboden der Geschichte Verbanntes. Tatsächlich hat in jener lange zurückliegenden Zeit auch die Kunstgeschichte derartige Konzepte diskutiert und den "Musentempel" in einen "Lernort" zu verwandeln versucht. [1] Dass die Idee, aus dem passiv staunenden Besucher einen aktiven Teilhaber werden zu lassen, zuletzt wieder Zuspruch gefunden hat, dürfte (auch) mit der Tatsache zusammenhängen, dass mit den elektronischen sozialen Medien die crowd ein Instrument an die Hand bekommen hat, mit dem ihre Eigenaktivität nicht nur ermöglicht, sondern geradezu provoziert wird. In vielen der Beiträge im vorliegenden Sammelband stehen diese sozialen Medien dementsprechend auch im Vordergrund.
Treibende Kraft hinter der Veröffentlichung, die schon im Titel auf ein bekanntes amerikanisches Vorbild verweist [2], sind Autorinnen und Autoren, die mit dem Frankfurter Stadtmuseum verbunden sind, welches auch schon in den 1970er-Jahren eine wichtige Rolle in den Museumsreformbewegungen gespielt hat. Sie haben einen Strauß von fast drei Dutzend Beiträgen aus den verschiedensten Museumskontexten zusammengetragen, die nur darin konvergieren, dass sie nicht dem Genre des klassischen Kunstmuseums angehören, sondern in die Gruppe der kulturhistorischen Museen fallen. Es würde wenig Sinn machen, hier auch nur einen Teil dieser teilweise ausgesprochen interessanten Beiträge vorzustellen. Daher will ich mich darauf beschränken, den im Buch vorhandenen Grundkosens zu skizzieren und mich mit Blick auf die digitalen Medien mit nur einem Aufsatz näher zu beschäftigen.
Nach Nina Simon, die eine US-amerikanische Museumssituation reflektiert, welche zuletzt unter deutlichen Besucherzahlen-Rückgängen zu leiden hatte, käme alles darauf an, den Besucher weniger als passiven Konsumenten denn als aktiven Teilnehmer aufzufassen (95ff.). Dieser Grundposition schließen sich alle Autoren und Autorinnen des Bandes an. Ziel eines solchen Verfahrens, das vielfältig - vor Ort wie online - auszugestalten ist, wäre nicht die reine Bespaßung, mit der das Museumserlebnis konkurrierende Unterhaltungsmedien auf Distanz halten könnte, sondern eine Vertiefung des Bildungserlebnisses im Sinne moderner pädagogischer Theorien, die die Eigentätigkeit des Belehrten für den Lernerfolg betonen. Dabei kann diese Eigentätigkeit in sogenannten Crowdsourcing-Projekten, in denen die Besucher z.B. die Verschlagwortung der museumseigenen Bilddatenbanken mit übernehmen können, durchaus als Hilfe für die Museumsmitarbeiter/-innen verstanden werden. Ohne Autorität geht das alles aber nicht ab: Nur wenn die Partizipation in definierten Bahnen abläuft, kann sie in den Augen von Simon und mancher anderer der im Buch vertretenen fruchtbar sein. In diesem Punkt zeigt sich auch, dass die Museums-Profis absolut nicht überflüssig werden, sondern ihre Rolle neu zu definieren hätten. Man könnte vielleicht sagen: weg vom Präzeptor und hin zum Moderator.
Axel Vogelsang hat besonders Interessantes zur Rolle der digitalen sozialen Medien in der angemahnten Umorientierung zu sagen (203ff.). Zunächst einmal stellt er fest, dass die deutschen Museen in diesem Bereich den angelsächsischen deutlich hinterherhinken. Dabei böten diese Medien den großen Vorteil, mit den Besuchern direkt in Kontakt treten zu können und sie an die Institution zu binden. Das muss allerdings auch gewollt sein, denn die digitalen online-Kanäle sind bi-direktional, können also nicht einfach nur im Sinne der Beeinflussung benutzt werden, sondern erfordern auch, den Nutzern das Ohr der Institution zu leihen. Klug auch die Bemerkungen zu den Kritikern der sozialen Medien im Museumskontext, die vor allem deren Eigenschaft brandmarken, die Kontemplationserfahrung im Museum zu stören. Hier könnte in der Tat ein fundamentaler Wandel der bürgerlichen Institution Museum anstehen, für die die ästhetische Offenbarung im Zentrum dessen gestanden hat, was das Museum leisten sollte. Eindrucksvoll auf jeden Fall der Hinweis auf Untersuchungen, die belegen, dass diejenigen, die sich mit dem digitalen Museumsangebot beschäftigen, tendenziell auch häufiger im realen Museum auftauchen. Die Konstellation erinnert an das, was wir zuletzt über die illegalen Nutzer von Film-Börsen im Internet erfahren haben: Je mehr die Leute sich dort am Urheberrecht vorbeimogeln, desto häufiger gehen sie zusätzlich auch noch ins Kino - mit Eintrittskarte.
Vertreter des Kunstmuseums sollten nicht glauben, dass die Partizipationsnotwendigkeit auf das kulturhistorische Museum beschränkt ist. Zwar ist eine Ausstellung über die Geschichte eines bestimmten Stadtteils in einem stadthistorischen Museum sicherlich mehr geeignet, das Engagement des vor allem lokalen Besuchers herauszufordern, aber dessen durch die sozialen Medien provozierte Aktivierung beschränkt sich nicht darauf. Auch die klassischen Kunstmuseen täten gut daran, sich vermehrt Gedanken darüber zu machen, wie man eine nachwachsende Jugend mit ihren Inhalten vertraut machen kann. Diese nämlich ist immer weniger vom humanistischen Grundkonsens geprägt, verfügt aber über immer mehr Instrumente und dementsprechend Willen, eigene Standpunkte mit einzubringen und sich nicht einfach nur Positionen diktieren zu lassen.
Anmerkungen:
[1] Ellen Spickernagel / Brigitte Walbe: Das Museum. Lernort contra Musentempel, Gießen 1976.
[2] Nina Simon: The participatory museum, Santa Cruz 2010. Teile dieses Buches sind im vorliegenden Sammelband in deutscher Übersetzung erneut abgedruckt worden.
Hubertus Kohle