Friederike Frach: Schloss Wiepersdorf. Das "Künstlerheim" unter dem Einfluss der Kulturpolitik in der DDR (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Ch. Links Verlag 2012, 254 S., ISBN 978-3-86153-674-1, EUR 24,90
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Über das Künstlerheim Schloss Wiepersdorf, ein in der DDR mit Staatsgeldern betriebenes Domizil für Künstler, das diese für je einige Wochen zur Erholung oder auch zur Arbeit in Abgeschiedenheit nutzen konnten, war bisher wenig bekannt. Denn das im Niederen Fläming, zwischen Lutherstadt Wittenberg und Finsterwalde, gelegene Refugium befand sich weitab von Urbanität, Politik und Verbandsbetrieb. Kulturpolitik wurde hier nicht gemacht, hier wurden ihre Folgen gelebt. "Die Geschichte des Schlosses in Wiepersdorf zwischen 1945 und 1992 spiegelt [...] die gesellschaftlichen Verhältnisse wider", verspricht die Verfasserin. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die besondere Situation für Kulturschaffende in der DDR, "bezogen auf eine eigens für sie betriebene Einrichtung" (9). Frach will die Geschichte dieser "Arbeits- und Erholungsstätte für Kultur- und andere Geistesschaffende", einer von mehreren in der DDR, nicht bloß vor dem Hintergrund sondern "unter dem Einfluss der Kulturpolitik" nachzeichnen, ja, ostdeutsche Kunst- und Literaturentwicklung einbeziehen.
Es hat den Anschein, als sei der Autorin erst im Laufe der Arbeit klar geworden, dass die Geschichte der besonderen Nutzung des Hauses für sich genommen wenig aussagt und das Auf und Ab in der DDR-Kulturpolitik, die Spezifik ihrer einzelnen Phasen und die Rolle bestimmter Personen kaum reflektiert. Dabei hat die Autorin nicht wenig zusammengetragen. Sie hat nicht nur Archivalien, Presseerzeugnisse und Erinnerungstexte zu Aufenthalten im Künstlerheim ausgewertet, sondern mit insgesamt 38 der früheren Gäste und Angestellten des Hauses Gespräche geführt, die durchaus etwas über die Atmosphäre im "Künstlerheim" sagen und den von der SED gesetzten Zweck und seine Akzeptanz erkennen lassen. Doch lassen sich daraus Lebenslage und Schaffensprobleme von Künstlern, ja mehrerer Generationen, herausarbeiten? Gewiss, ein Gebäude kann "Anknüpfungsort für die Beleuchtung der Menschen, die es nutzten und in ihm arbeiteten" (10) sein, wenn die Beleuchtung biografisch oder kunsthistorisch, soziologisch, politologisch oder anders erweitert wird. Genau das aber geschieht nicht. Was hier regelrecht ins Auge sticht, ist das Fehlen irgendeiner kultur- oder kunstpolitischen oder ästhetischen Fragestellung.
Die Arbeit vermag nicht richtig zu überzeugen. Eine kulturpolitisch erweiterte Betrachtung erfordert mehr als die Einbettung einzelner Episoden im und ums Haus in grobe Raster einer bereits geschriebenen (und eher schlicht reflektierten) Geschichte der DDR-Kulturpolitik. Für eine tiefer gehende Analyse hätten zumindest einige Aspekte durchaus mit wenig Aufwand erkannt und aufgegriffen werden können. Recht nahe an der Geschichte des Hauses angelegt wäre zum Beispiel die Frage nach elitärem Kunstschaffen (im Unterschied zu Volkskunst) und ihren Problemen in der DDR zu stellen gewesen, vorausgesetzt man ließe sich auch auf eine Begriffsklärung ein. Wiepersdorf sei - so Frach - "keineswegs der Elite vorbehalten" gewesen (224). Das kann man anders sehen, und zwar ohne der SED-Kulturpolitik neue Züge anzudichten. In ähnlicher Weise böte sich das Haus, das einst dem Dichterpaar Bettina und Ludwig Achim von Arnim auch als Stätte der Arbeit und der Kommunikation mit Freunden gedient hatte (worauf SED-kulturpolitische Zwecksetzung immer Bezug nahm), an, den Umgang mit dem humanistischen Kulturerbe (Stichwort: Romantik-Debatte) durch die Jahrzehnte hindurch zu hinterfragen. Die Autorin belässt es bei angedeuteten "Grundmustern der Identifikation" (36) unter den Nutzern des Hauses, ohne Veränderungen oder Konfliktpotenziale zu suchen. Andererseits fragt sich der Leser, was ein Exkurs über die Formalismus-Debatte und den sozialistischen Realismus hier leisten soll, noch dazu ein so blasser. Der Exkurs "Intellektuelle oder Geistesschaffende - eine kulturpolitische Begriffsklärung" erscheint mit abwegigen Schlüssen verfehlt. Ebenso irritierend fallen die anderen Exkurse aus, die der Geschichte des Hauses doch das politikhistorisch-chronologische Gerüst geben sollten.
Ein kulturwissenschaftlicher Ansatz wurde allerdings auch nicht durchgehalten. Was einleitend unter "Methodik" vor allem über Pierre Noras Theorie der Erinnerungsorte als Gedächtnisvehikel sowie über kommunikatives Gedächtnis geschrieben ist, erweist sich im weiteren als völlig irrelevant. Nichts davon findet Anwendung, die Zeitzeugengespräche werden nicht als Material für eine Studie zu Gedächtnis und Diskurs genutzt.
Außerhalb der Fachkreise wird das Buch zweifellos seine Leserschaft finden, denn wer wissen will, was ein Künstlerheim in der DDR war, wird anschaulich bedient. Die Sprache ist verständlich, die Struktur des Buches eingängig. Fotos helfen dem Leser, sich ein Bild zu machen. Für Spezialisten enthält es Hinweise auf kleine Episoden und Zusammenhänge, die anderswo nicht aufleuchten. Trotz einiger Ungereimtheiten in Sachen Eigentumsverhältnisse, Rechtsträgerschaft und Bewirtschaftung sowie einiger irritierender Wechsel von dort zu den kulturpolitischen Sachverhalten bietet die Lektüre Anregung. Insbesondere die Anfangsgeschichte und die frühen Aktivisten sind interessant gezeichnet.
Elke Scherstjanoi