Peter Van Nuffelen: Orosius and the Rhetoric of History (= Oxford Early Christian Studies), Oxford: Oxford University Press 2012, VIII + 252 S., ISBN 978-0-19-965527-4, GBP 60,00
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Theo Kobusch / Michael Erler (Hgg.): Metaphysik und Religion. Zur Signatur des spätantiken Denkens. Akten des Internationalen Kongresses vom 13.-17. März 2001 in Würzburg, München: K. G. Saur 2002
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Peter Van Nuffelen kann als einer der produktivsten und auch ideenreichsten Gelehrten auf dem Feld der spätantiken Historiografie gelten. Das wird auch durch seine neueste Studie bewiesen, die die vom spanischen Presbyter Orosius um 417 verfassten Historiae adversus paganos einer neuen Gesamtdeutung unterziehen. Van Nuffelen wendet sich gegen die traditionelle Ansicht, das Werk des Orosius sei eher eine geschichtstheologische Ausführung eines von Augustinus vergebenen apologetischen Auftrags als ein wirkliches Geschichtswerk. Er versteht die Historiae aus dem Normalfall einer historiografischen Praxis heraus, für die gerade in der Spätantike rhetorische Techniken zentral sind. Vergröbernd lässt sich die These von Van Nuffelen auf den Punkt bringen, dass Orosius kein Geschichtstheologe, sondern ein Historiker ist. Angesichts der für die spätantike Geschichtsschreibung im kirchlichen und im profangeschichtlichen Bereich zu beobachtenden Offenheit der Grenzen zwischen Apologetik, Panegyrik und Geschichtsschreibung mag dies zunächst vielleicht nicht überraschend erscheinen. Doch gelingt es Van Nuffelen, dieser argumentativen Richtschnur folgend, doch eine Fülle neuer Aspekte der Historiae zu erschließen.
Im ersten Kapitel analysiert Van Nuffelen die Prooemien des für die Gegenwartsauffassung des Orosius wichtigen Commonitorium de errore Priscillianistarum et Origenistarum sowie der Historiae. Im zweiten Kapitel "A Tale of Two Cities. Book 2 and the Fall of Rome" erörtert er die von Orosius im wichtigen zweiten Buch entwickelten gewissermaßen typologischen Parallelen zwischen der Eroberung von Rom im Jahr 410 und den Eroberungen von Troia, Babylon, Veii oder Rom (386 v.Chr) in ihrer Bedeutung für die historische Gesamtargumentation, ferner die von Orosius vorgenommene, spezifisch römisch geprägte Abwandlung der Theorie von den vier aufeinanderfolgenden Weltreichen, in der Macedonia als Nordreich und Carthago als Südreich interimistisch zwischen der Vorherrschaft des Ostreiches Babylon und des Westreiches Rom eingeschoben sind. Orosius entwickelt, wie Van Nuffelen ausführt, für seine chronologischen Demonstrationen künstliche Synchronismen, dadurch dass etwa der Vater des Amulius, der simultan mit Ninus regierende Procas, (2, 2, 3) zur besonderen Bedeutung gelangt, und er hebt vermeintliche Parallelen hervor, wie die zwischen einem usurpierenden Präfekten Arbatus und dem zum Kaiser erhobenen Stadtpräfekten Attalus (2, 3, 3-4). Die Darlegungen seiner historischen Argumente zielen insgesamt auf die Demonstration hin, dass aufgrund solcher strengen Symmetrien und Zeitfolgen im Grunde genommen der Untergang Roms 410 besiegelt gewesen wäre, Gott aber für die Geschichte Roms diese historischen Zwangsmechanismen aufhebt. Ein neues fünftes eschatologisches Endzeitalter ist für Orosius mit der Abwendung des Untergangs nicht angebrochen, sondern die Vorgänge verbleiben in der Sphäre der diesseitigen Geschichte, in der gleichwohl, nach dem Sieg des Christentums, das Wirken Gottes deutlich wird. Die Einordnung dieses zweiten Buchs in ein genuin römisches Geschichtsdenken wird von Van Nuffelen u.a. durch eine bemerkenswerte Analyse der Verwendung von Vergilanleihen deutlich gemacht.
Im dritten Kapitel geht es um die Verwendung des Verweises auf die Vergangenheit in der rhetorischen Kultur des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts, einer Kultur, in der Ammianus Marcellinus und Orosius in der gleichen Weise zuhause sind. Sehr richtig ist die Beobachtung, dass die Art und Weise die Übel der Gegenwart durch den Verweis auf die Schrecken der Vergangenheit mit den entsprechenden Passagen bei Ammianus Marcellinus (31, 5, 10-17) zur Relativierung der Schlacht von Adrianopel vergleichbar ist. Aber auch wenn die historische Kultur und die Verwendung der Exempla die gleiche ist wie bei anderen Zeugen der späteren Historiografie, hebt sich Orosius dadurch hervor, dass er - anders, als es etwa auch bei Ammianus Marcellinus durchaus die Regel ist - diese Exempla, die er kennt und benutzt, nicht in verehrender, die Autorität des Vergangenheit hervorhebender Weise gebraucht, sondern dem gegenteiligen Zweck unterordnet, den Kontrast zur positiveren Gegenwart hervorzuheben.
Das vierte Kapitel bietet einige Thesen zu den von Orosius benutzten Quellen. Gegenüber der Postulierung nicht mehr vorhandener und nur rekonstruierbarer Quellen hat Van Nuffelen auch schon an anderer Stelle seine Skepsis gezeigt, sie ist auch hier sichtbar, etwa in der Charakterisierung der Enmannschen Kaisergeschichte als "spectre" (105). Konkret geht es um die Frage einer wie auch immer zu beschreibenden Livius-Epitome. Van Nuffelen nimmt an, dass Orosius eher mit dem Material von erhalten gebliebenen Autoren gearbeitet hat. Das versucht er zu belegen, indem er einige Versionen durch die direkte Benutzung von Valerius Maximus erklärt. In den Historiae (5, 21, 7) geht es beispielsweise um die dramatisch geschilderte Hinrichtung des Marius Gratidianus. Van Nuffelen (98f.) geht dabei davon aus, dass das dort zu lesende Detail, Marius Gratidianus sei am Grab der Lutatier getötet worden, sonst nur bei Valerius Maximus zu finden ist, nicht dagegen in der übrigen livianischen Tradition. Die in der Synopse von Van Nuffelen angezeigte Passage bei Florus (2, 9, 26), der das Grab des Catulus erwähnt, verweist aber auf das Gegenteil. Bei Livius war im Detail beschrieben, wie in den Proskriptionen der dem Sohn des Lutatius Catulus ausgelieferte Marius Gratiditianus auf das grausamste am Lutatiergrab umgebracht wurde. Die Angabe, dass Marius Gratidianus zur anderen Seite des Tiber hinübergeführt wurde, eine Angabe, durch die sich Orosius von den übrigen, von Van Nuffelen angeführten Parallelen deutlich hervorhebt, fand sich nachweislich in den Historien des Sallust, die die Quelle des Livius bildeten. [1] Ich würde daher, was das Bild der Quellen des Orosius betrifft, an den Ergebnissen der älteren Forschung festhalten, dass Orosius zwar meistens Autoren benutzt, die noch erhalten geblieben sind (Eutrop, Justin etc.), dass aber für das fünfte Buch mit seiner Darstellung der Epoche von 146 bis zum ersten Bürgerkrieg (zwischen Sulla und den Mariusanhängern) eine durch unbekannte Quellen vermittelte Benutzung des Livius anzunehmen ist.
Im fünften Kapitel geht es um das Verhältnis zwischen Rhetorik und Geschichtsschreibung in den Historiae, wobei Van Nuffelen die oft angenommene Gegensätzlichkeit zwischen diesen beiden Sphären zu Recht verwirft. Das sechste Kapitel behandelt das Verhältnis zwischen Vergangenheit und einer im Unterschied zur communis opinio weder als eschatologischen Endzustand überhöhten noch einseitig panegyrisch verklärten Gegenwart bei Orosius. Es untersucht dabei insbesondere auch dessen Verwendung historischer Metaphern (wie etwa den Lebensaltervergleich). Im siebten Kapitel geht es um das Verhältnis zwischen Römischem und Nicht-Römischem, von Römern und Barbaren, von Universalgeschichte und Römischer Geschichte. Ein achtes Kapitel untersucht das Verhältnis der Geschichtssicht zu einem (wie van Nuffelen richtig anmerkt) vergröbernd vereinfachten "Eusebianismus" mit einer eschatologischen Überhöhung der Gegenwart christlichen Kaisertums einerseits und zur Geschichtssicht des Augustinus andererseits, der Orosius letztlich näher ist.
Der Rezensent hat die stets durchdachten und immer weiterführenden Ausführungen der von Van Nuffelen vorgelegten Studie mit großem Gewinn gelesen. Das Buch wird seinen Platz in der Geschichte der spätantiken Historiografie behaupten.
Anmerkung:
[1] Vgl. Schol. Bern. Lucan. 2,174: "abductus ad tumulum Catuli Marius Gratidianus trans Tiberim interfectus est".
Bruno Bleckmann