Tom Graber / Martina Schattkowsky (Hgg.): Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 28), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2008, 420 S., ISBN 978-3-86583-325-9, EUR 58,00
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Das 1540 aufgelöste Zisterzienserkloster Altzelle gehörte als Begräbnisstätte der Markgrafen von Meißen lange zu den reichsten Klöstern Mitteldeutschlands. In einem Gedicht von Hieronymus Emser wird es als das vortrefflichste aller Klöster im Lande Meißen und Thüringen bezeichnet, vortrefflich aufgrund der Klosterbauten, herausragend aber vor allem aufgrund der Klosterbibliothek, deren Ruhm weiter über das meißnische Land hinausstrahle. [1]
Die Strahlkraft Altzelles wurde in der Forschung lange Zeit nur verhalten wahrgenommen. Umso erfreulicher ist das Engagement des Dresdner Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, das - nach einer Tagung im Jahr 2000, auf der einem internationalen Publikum die Bedeutung Altzelles in Erinnerung gerufen wurde [2] - zusammen mit weiteren Kooperationspartnern im Mai 2006 erneut eine Konferenz organisierte, die thematisch nun jedoch nicht mehr das Kloster als Ganzes, sondern lediglich dessen Bibliothek in den Blick nahm. Immerhin listet das Sequestrationsverzeichnis von 1541 rund 1250 Bände auf, von denen sich heute ca. 320 Handschriften sowie 90 Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts innerhalb des Leipziger Altbestands der Provenienz Altzelle zuweisen lassen. Mit anderen Worten: etwa ein Drittel des Altzeller Buchbestands hat sich erhalten.
In drei Rubriken gegliedert behandeln 13 Beiträge neben Aspekten der Baugeschichte von Zisterzienserbibliotheken den Buchbesitz und Schriftgebrauch im Kloster Altzelle, um davon ausgehend die Altzeller Befunde zu kontextualisieren und mit anderen Zisterzienserbibliotheken zu vergleichen.
Elke Goez leitet den Band mit grundsätzlichen Ausführungen zur Bedeutung von Schriftlichkeit im Zisterzienserorden ein (17-44) und betont zu Recht den immensen Stellenwert von Schrift als identitätsstiftendes und einheitsbildendes Medium in der Geschichte der weißen Mönche. Das Ideal der unitas ordinis sollte nicht nur durch die Verschriftlichung und rasche Verbreitung von Generalkapitelsstatuten, sondern vor allem durch Visitationsdokumente erzielt werden, die sich gegen alle Formen von Devianz und Missständen richteten. Goez beschreibt die Maßnahmen, die ordensintern zur Sicherung des Archivguts getroffen wurden und spricht davon, dass sich in Zisterzen mehr Dokumente erhalten haben als "anderswo" (31) - gerne hätte man mehr darüber erfahren, wo genau "anderswo" zu verorten ist. Was nun den Buchbesitz selbst angeht, wird mit Blick auf die Skriptorien ein Aufbrechen der unitas ordinis konstatiert, wo in Frankreich im Gegensatz zu den Gebieten östlich des Rheins ein recht einheitliches Bild zisterziensischer Buchkunst vorherrschte. Diese der Regel zuwiderlaufende Uneinheitlichkeit wird auf die Haltung (und Bildungsaffinität) des jeweiligen Abtes zurückgeführt. Mit der Öffnung der Zisterzienser hin zu den Universitäten wurden Bücher für die Konkurrenzfähigkeit des Ordens immer wichtiger - Schrift sicherte (mit) die Existenz und das intellektuelle Überleben der weißen Mönche. Viele der in diesem Überblick angesprochenen Aspekte werden in den folgenden Beiträgen aufgegriffen und weiter ausgeführt. Nur auf Einiges sei im Folgenden eingegangen.
Matthias Untermann und Heinrich Magirius behandeln Aspekte der Baugestalt zisterziensischer Klosterbibliotheken im Allgemeinen, des romanischen Armariums und des spätgotischen Bibliotheksgebäudes in Altzelle im Besonderen. Deutlich wird, dass es zumindest bis ins späte Mittelalter hinein keinen zentralen Aufbewahrungsort für Bücher im Kloster gab, sondern diese auf mehrere Stellen verteilt waren. Neben der Sakristei und den Räumen des Abtes spielte hier vor allem das Armarium im Kreuzgang eine große Rolle, das diejenigen Bücher umfasste, die von den Mönchen zur eigenen Lektüre (im Kreuzgang) ausgeliehen werden konnten.
Interessant ist die Frage, ob in Altzelle die Benutzung der Buchbestände auch durch ortsfremde Mönche oder gar Laien möglich war. Christoph Mackert geht dieser Frage in seiner umfangreichen und äußerst profunden (weil direkt aus den Beständen der Universitätsbibliothek Leipzig gearbeiteten) Untersuchung über eine bibliotheca publica im Kloster nach (Repositus ad bibliothecam publicam - eine frühe öffentliche Bibliothek in Altzelle?, 85-170). Dabei ergibt sich folgendes Gesamtbild: in den späten 1490-er Jahren wurde die Einrichtung einer bibliotheca publica vorbereitet, die den Charakter einer humanistisch-gelehrten Studiensammlung tragen sollte. Ab 1506 wurde gleichzeitig eine nach fachsystematischen Gesichtspunkten geordnete Pultbibliothek (vor allem Theologica und damit den Großteil des Altzeller Bestands umfassend) eingerichtet. Der parallele Ausbau beider Sammlungen endete zwischen 1512-14, als die Bestände der bibliotheca publica in die Pultbibliothek integriert wurden. Diese Zusammenführung beendete die Trennung in Theologie und profane Wissenschaften - die große Bibliothek trug nun den Namen bibliotheca publica. Mackert erkennt in der Pultbelegung die "Lektürestandards einer res publica litterarum" (126), vermag dann jedoch auch nicht so recht zu erklären, wer davon überhaupt profitierte. Allein die in Leipzig immatrikulierten Konventualen, vielleicht die Mitglieder des Leipziger Bernhardinerkollegs? Bis auf weiteres muss diese Frage wohl offen bleiben.
Die Beziehungen von Altzelle zum Leipziger Bernhardskolleg stehen im Mittelpunkt der Ausführungen von Enno Bünz (247-288). Das Kolleg, das bis zu seiner Auflösung 1539 annähernd 400 Zisterziensern ein Studium in Leipzig ermöglichte, entstand nur wenige Jahre nach Gründung der Universität 1409. Bünz führt verschiedene Stränge der Ordens-, Stadt- und Universitätsgeschichte zu einem kohärenten Ganzen zusammen und demonstriert eindrücklich, dass Ordensangehörige bis zur Reformation ein selbstverständlicher Teil des Studienbetriebs in Leipzig waren.
Vergleichende Blicke richten sich nicht nur auf die unmittelbare Nachbarschaft von Neuzelle, wo mit der Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern eine ähnlich wohlhabende - und von Altzelle spirituell betreute - monastische Institution existierte (Marius Winzeler), sondern auch auf Klöster in Böhmen (Ivan Hlavá ček), Polen (Rafal Witkowski) und England (Jens Rüffer). Rüffer zeigt, dass kein einziges der nordenglischen Zisterzienserklöster über Bibliotheksbauten verfügte und weist nach, dass dort kein eigentliches Skriptorium, sondern mehrere, über das Kloster verteilte, kleinere scriptoria existierten. Die Erwerbspolitik war konservativ, die Gestaltung der Handschriften spartanisch, was nicht auf einen (innerhalb der Forschung oft bemühten) Gegensatz zwischen Bernhard von Clairvaux und Stephen Harding, sondern sehr viel stärker praxisorientiert auf fehlende materielle und handwerkliche Ressourcen zurückgeführt wird.
Die Zisterzienser bestechen durch vielerlei - an intellektuelle Strahlkraft denkt man bei ihnen jedoch nicht unmittelbar. Und dennoch illustriert der vorliegende Tagungsband, wie selbst Klöster, die fernab vom burgundischen Kernraum lagen und nur lose mit den europäischen Bildungszentren verbunden waren, über Buchbestände verfügten, die sich sehen lassen konnten. Diese hatten zumeist zwar einen eher konservativen Gesamtcharakter, wiesen aber durchaus auch neuere, im Falle von Altzelle humanistische, Literatur auf. Die Frage bleibt, ob bei den Zisterziensern außerhalb der liturgischen Bestände Normierungsbestrebungen in der Gestalt und Zusammensetzung von Bibliotheken erkennbar sind. Verpflichtende Leselisten existierten noch nicht einmal im Rahmen des Novizenunterrichts. Herstellung bzw. Kauf von Handschriften waren von unterschiedlichen Faktoren abhängig, nicht zuletzt vom intellektuellen Format der jeweiligen Äbte, die die für Bestandspflege und -erweiterung nötigen, z.T. bedeutenden Summen bewilligen mussten. Hier lohnen sich weitere, vergleichend angelegte Forschungen.
Anmerkungen:
[1] Gedicht des Hieronymus Emser, in: Angelus Manrique: Cisterciensium seu verius ecclesiasticorum annalium a condito Cistercio, t. II, Lyon 1642, 21.
[2] Martina Schattkowsky / André Thieme (Hgg.): Altzelle, Zisterzienserabtei in Mitteldeutschland und Hauskloster der Wettiner (= Schriften zur sächsischen Landesgeschichte, 3), Leipzig 2002; vgl. inzwischen auch Harald Winkel: Herrschaft und Memoria. Die Wettiner und ihre Hausklöster im Mittelalter, Leipzig 2010 (zu Altzelle: 141-299).
Ralf Lützelschwab