Rezension über:

Christine Reinle / Harald Winkel (Hgg.): Historische Exempla in Fürstenspiegeln und Fürstenlehren (= Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit; Bd. 4), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011, V + 217 S., ISBN 978-3-631-58759-1, EUR 44,80
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Rezension von:
Alexander Krey
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Krey: Rezension von: Christine Reinle / Harald Winkel (Hgg.): Historische Exempla in Fürstenspiegeln und Fürstenlehren, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/04/21842.html


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Christine Reinle / Harald Winkel (Hgg.): Historische Exempla in Fürstenspiegeln und Fürstenlehren

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Der hier zu besprechende Sammelband geht auf einen Workshop an der Justus-Liebig-Universität Gießen vom 14. Juni 2008 zurück, der im Rahmen des 2008 ausgelaufenen SFB 434 "Erinnerungskulturen" abgehalten wurde. Nicht alle der damaligen Beiträge kamen hier zum Druck, erweiternd wurden Aufsätze von Gisela Naegle und Michael Rothmann aufgenommen.

Die Beiträge des Bandes reihen sich vordergründig in die umfangreichen Forschungen zu Fürstenspiegeln und Exempla ein. Der Beitrag zu den Exempla in der jiddischen Literatur des 18. Jahrhunderts von Nathanael Riemer fällt allerdings aus dem vom Titel her zu erwartenden Rahmen heraus, da er gleich zu Beginn offenbart, dass es in der jüdischen Literatur die Gattung der Fürstenspiegel gar nicht gab (145). Insofern haben die Herausgeber den Titel des Bandes nicht ganz glücklich gewählt. Im Kern beschäftigen sich die Beiträge mit Fragen der Erinnerungsforschung, die seit einiger Zeit unter verschiedenen Fragestellungen betrieben wird. Sina Kalipke und Christine Reinle legen in ihrer umfangreichen Einleitung das begriffliche Fundament hierzu. Im Anschluss an Markus Schürer sehen beide in einem Exempel ein historisch-persuasives Argument zur Belehrung, Erbauung oder Unterhaltung des Rezipienten (7), womit sie letztlich einer offenen Begriffsbestimmung folgen. Zum zentralen Erkenntnisinteresse, das beide in der Einleitung formulieren, zählen maßgeblich die Verwertung eben jener Erinnerungen, die jüngst zurückliegendes Handeln geprägt hat, in den Exempla sowie der grundsätzliche diesen zukommende Stellenwert (5).

Die Beiträge des Bandes geben hierzu unterschiedliche Antworten. Karl Ubl stellt Fürstenspiegel aus dem scholastischen Umfeld des 14. Jahrhunderts im Umkreis der habsburgischen Herzöge vor und widmet sich vor allem Engelbert von Admont, Johann von Viktring und Konrad von Megenberg (23). Er kann zeigen, dass die ehedem erkenntnisleitende Funktion der Exempla als historisches Argument phasenweise durch die Idee einer vernunftgeleiteten Moralwissenschaft verdrängt wurde (27-33). Vor allem aber kann er belegen, dass, soweit Exempla verwandt wurden, die Auffassung bestand, die eigene Zeit sei nicht exempelwürdig (39). Zugleich mahnt er aber auch weitere Forschungen an, um die Ergebnisse auf eine breitere Basis zu stellen (41).

Demgegenüber zeigt Petra Schulte in ihrem Aufsatz zu den burgundischen Tugendlehren des 15. Jahrhunderts im Kontext des Ordens zum goldenen Vlies, dass dort zwar durchaus zahlreiche Exempel aus der Gegenwartsgeschichte gewählt wurden, hier aber zur Exemplifizierung der ethischen Normen (97-98). In diesem Kontext war es wichtig, die Mängel der Wirklichkeit zwecks Besserung auszusprechen (98).

Nathanael Riemer wendet sich den Exempeln in der jiddischen Literatur des 18. Jahrhunderts und damit einem in der Forschung bislang weitgehend unbeachteten Feld zu. Sein Verdienst ist daher auch darin zu sehen, auf diese Quellen - mit sehr umfangreichen Exzerpten - aufmerksam gemacht zu haben. Er zeigt anhand konkreter Quellenbeispiele, dass Exempla hier auch einen moralischen Bezug hatten und der Verarbeitung kollektiver und emotionaler Krisen dienten (148-151). Bemerkenswert ist hierbei, dass die Exempla hier enthistorisiert waren und die Autoren auf nachvollziehbare geschichtliche Genauigkeit keinen Wert legten (171).

Gisela Naegle sucht den Zugriff über einen Vergleich des "Pentalogus" von Enea Silvio Piccolomini und der Werke von Christine de Pizan. Leider mutet ihr Vergleich an vielen Stellen ein wenig statisch an, und sie verwendet zudem viel Raum für eine biographische Beschreibung. Gisela Naegle arbeitet vor allem die Situationsgebundenheit der Exempla an Gegenwartsgeschichte und ihre Funktion heraus (143). Während Christine de Pizan etwa Karl V. als vorbildlichen Herrscher darstellte, um die Gunst des ins Auge gefassten Rezipienten zu erlangen, nutzte Enea Silvio Piccolomini den Verweis auf zeitgeschichtliche Personen, um beim Rezipienten eine größere Betroffenheit zu erzielen (143).

Ulrike Graßnick widmet sich den englischen Fürstenspiegeln des Spätmittelalters. Sie verweist bei der Auswertung konkreter Textbeispiele auf eine situationsentbundene Argumentation der englischen Fürstenspiegel, bei denen nur gelegentlich zeithistorische oder gar aktuelle Bezüge verwandt worden seien. Hier sei ihnen dann die Funktion einer Aktualisierung der Werteordnung zugekommen (65-68).

Michael Rothmanns Beitrag wendet sich zum Schluss des Bandes den "Otia Imperialia" des Gervasius von Tilbury zu, einer enzyklopädischen Schrift des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Sein Aufsatz beeindruckt durch eine genaue empirische Auswertung der Bezugsstellen des Werkes. Auf dieser Basis kann er zeigen, dass Gervasius für seine Berichte über Mirabilien auch auf vor Ort gesammelte Erfahrungen zurückgriff und damit ein ausschließlicher Autoritätenbezug obsolet wurde (203). Gervasius prägte eine systematische Sammelleidenschaft für das Ungewöhnliche, wobei er die Überlieferung erzählerisch regionalisierte und aktualisierte (208-209). Auch wenn Michael Rothmann zu Beginn seines Beitrages die Befürchtung äußert, sein Aufsatz könne vordergründig am Rande stehen (173), so liefert seine Untersuchung dennoch wertvolle Hinweise auf Fragen des Autoritätsbezugs, gerade auch für Exempla.

Aus dem Blickwinkel der Erinnerungsforschung heraus bietet der Band neue Zugriffe und vor allem eng an den Quellen ausgerichtete, detaillierte Einzelstudien. Da die Untersuchungen zu Exempeln in den letzten Jahren durchaus zugenommen haben und zahlreiche Aspekte bereits Betrachtung fanden, versuchte die dem Band zu Grunde liegende Tagung konsequent die Einengung auf Leitfragen im Kontext der Erinnerungsforschung. Eine der Stärken des Bandes besteht vor allem darin, dass die einzelnen Beiträger diese Leitfragen immer wieder aufgreifen und aus ihren Quellen heraus Antworten zu geben versuchen. Der sich durch den Band ziehende rote Faden ist an vielen Stellen gut erkennbar und erleichtert den Zugriff auf die Thematik sehr.

Alexander Krey