Norman A. Graebner / Edward M. Bennett: The Versailles Treaty and Its Legacy. The Failure of the Wilsonian Vision, Cambridge: Cambridge University Press 2011, XII + 273 S., ISBN 978-1-107-00821-2, EUR 60,00
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Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2006
Joachim Wintzer: Deutschland und der Völkerbund 1918-1926, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006
Pieter M. Judson: Habsburg. Geschichte eines Imperiums 1740-1918, 2. Auflage, München: C.H.Beck 2017
Der Tenor des Buches ist durch die Explikation von Titel und Untertitel schnell erzählt: Weil Woodrow Wilson mit seiner Idee des Völkerbunds die grundlegende Erkenntnis der "realistischen Schule" missachtet habe, nämlich dass Gleichgewicht (und gegebenenfalls Gewalt zur Erhaltung dieses Gleichgewichts, also lokale Kriege) das Ideal eines stabilen internationalen Systems sei, habe er mit der Pariser Friedensordnung und dem dadurch etablierten Völkerbund, dessen Macht als vermeintliches System kollektiver Sicherheit er auf die öffentliche Meinung der Welt basierte, den Keim für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelegt. Dieser Keim sei dann, weil auch die Nachfolgeregierungen in Washington den Grundfehler nicht korrigieren wollten bzw. überhaupt nicht als Fehler erkannt hätten ("Continuing Escape from Reality" lautet einer der Untertitel zu einer Kapitelüberschrift), zwingend in den dreißiger Jahren zunächst durch den japanischen Expansionismus, dann aber vor allem durch Hitler aufgegangen, als dieser seinen Frontalangriff auf den Versailler Vertrag gestartet habe. Diese Geschichte wird hauptsächlich aus der amerikanischen Perspektive dargestellt; wo Aktionen und Verhandlungen in Europa geschildert werden, liefern sie vor allem die Folie, um die Washingtoner Reaktion betrachten zu können; an verschiedenen Stellen wird dabei aufgegriffen, welche Chancen zur Korrektur der Wilsonschen Fehlentscheidung, vor allem in Washington und daneben in London, verpasst worden seien.
Nun bekennt sich der Rezensent offen dazu, dass er eine originär politische Geschichte der internationalen Beziehungen auch ohne einen häufig nur modisch wirkenden, aber nicht unbedingt gewinnbringenden gewaltigen Überbau an Theorie und Methode durchaus für machbar hält und dass die Erträge einer solchen politischen Geschichte nicht die geringsten sein müssen. Manchmal werfen sie für unser Verständnis der Gegenwart mehr Gewinn ab als eine theoriegesättigte, aber eben deswegen auch sehr spezifische Perspektive auf die internationale Geschichte. Die hier zu besprechende Studie erreicht dieses Ziel allerdings kaum.
Dies liegt vor allem daran, dass Außenpolitik hier weitgehend als Separatum betrachtet wird. Männer machen hier noch Geschichte, indem sie autonom Entscheidungen treffen zwischen verschiedenen Konzepten, die sich allein um die Kategorie politische Macht drehen, und zwar um eine Macht, verstanden als die Möglichkeit, einem Dritten den eigenen Willen aufzuzwingen. Wenn etwa behauptet wird, die USA hätten in den zwanziger Jahren reinen Isolationismus betrieben, verkennt dies, wie sehr Washington aus wirtschaftlichen Interessen heraus Einfluss auf die innereuropäischen Verhältnisse genommen hat: Der Dawes-Plan und der Young-Plan gingen auf amerikanische Initiativen zurück, und wer die Bedeutung wirtschaftlicher Interessen für die Außenpolitik eines Staates des 20. Jahrhunderts (und für dessen Potential, Macht auszuüben) komplett ausblendet, hat ein wichtiges Segment auch "nationaler Interessen", von denen häufiger die Rede ist, einfach nicht wahrgenommen.
Überhaupt sind die zwanziger und frühen dreißiger Jahre stiefmütterlich und in der Verkürzung manchmal bis zur Verfälschung abgehandelt. So wird etwa der neue Ansatz Mitte des Jahrzehnts, der mit dem Stichwort "Locarno" charakterisiert sein mag, nur mit wenigen Sätzen gestreift. Eine gewissermaßen "freiwillige" Verständigung zwischen Staaten, die gemeinsame Interessen erkennen, ist bei den ganz hartnäckigen Vertretern der realistischen Schule eben nicht vorgesehen oder jedenfalls unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Man mag auch zweifeln, ob den Verfassern die deutsche Geschichte immer ausreichend geläufig ist oder es sich nur um unglückliche Formulierungen handelt, wenn man etwa den Satz liest: "Hitler launched his crusade against Soviet Communism in Mein Kampf, but not until February 1933 did he assault the German Communist Party (KPD), when he denied it the right to hold open air demonstrations, and then ordered the occupation and ransacking of the Party's headquarters." (S. 210.) Der weniger informierte Leser mag sich wundern, warum Hitler sich mit der Zerschlagung der KPD acht Jahre, von 1924/1925 bis 1933, Zeit ließ (es sei denn, er erinnert sich dunkel daran, dass etwa hundert Seiten zuvor in einem Nebensatz erwähnt war, dass Hitler erst 1933 an die Macht kam).
Dies verbindet sich mit einem anderen Problem: Die Literaturgrundlage ist schlicht einseitig, und vor allem sind etliche neuere Forschungsarbeiten nicht berücksichtigt. Das mag auch daran liegen, dass grundsätzlich nur englischsprachige Publikationen herangezogen wurden; aber auch dort hätten ausreichend Arbeiten vorgelegen, die die Perspektive geweitet hätten. So ist etwa Wichtiges zu den wirtschaftlichen Beziehungen der zwanziger Jahre auch auf Englisch veröffentlicht. Zudem ist etwa der Völkerbund in neueren Studien viel grundlegender untersucht, und seine vermeintliche völlige Wirkungslosigkeit wird von der neueren Forschung, die seine Wirksamkeit in kleineren Krisen der zwanziger Jahre, aber gerade auch in den Tätigkeiten neben der reinen Krisenvermeidung sieht, inzwischen viel differenzierter beurteilt.
Der Rezensent hat vor knapp drei Jahrzehnten einer Podiumsdiskussion anlässlich der Wiederkehr des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs beigewohnt. Dabei zählte einer der Diskutanten auf die Frage nach den Ursachen des Zweiten Weltkriegs unter etlichen anderen Gründen den Versailler Vertrag auf, weil er - wiederum neben einigen anderen Gründen - Hitlers Aufstieg und "Machtergreifung" ermöglicht habe. Auf dem Podium schlug ihm heftiger Widerstand entgegen: Das wurde als schlimmster Revisionismus wahrgenommen, denn an Hitler und am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war doch Deutschland allein schuld, und jeder Hinweis auf strukturelle Ursachen jenseits Deutschlands und deutscher Politik galt als Häresie. Erfreulicherweise kann das heute entspannter diskutiert werden: Selbstverständlich hat Deutschland den Krieg vorsätzlich ausgelöst, aber es ist legitim geworden zu fragen, welche strukturellen Ursachen ihm die Möglichkeit dazu gegeben haben. Ebenso selbstverständlich gehört heute die Erkenntnis dazu, dass die Friedensordnung von 1919/20 eine dieser strukturellen Ursachen bot. Aber schließlich gilt ebenso selbstverständlich, dass sie nicht monokausal und deterministisch, also ohne spätere alternative Abläufe, gedacht werden darf, dass also - um es der verkürzten These der Autoren ebenso verkürzt entgegenzuhalten - nicht Wilson der Hauptverantwortliche für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist.
Wolfgang Elz