Johannes Beleth: Summe der kirchlichen Offizien. Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen von Lorenz Weinrich (= Corpus Christianorum in Translation; 11), Turnhout: Brepols 2012, 333 S., ISBN 978-2-503-54334-5, EUR 60,00
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Seit 2009 besitzt das Corpus Christianorum, das bekannte theologie- und kirchengeschichtliche Editionsunternehmen, eine neue Reihe: Corpus Christianorum in Translation. Sie publiziert Übersetzungen von Schriften, die zuvor im Rahmen ihrer anderen Reihen kritisch ediert worden sind. Da der Reihe kein Editionsplan zugrunde zu liegen scheint, ist es eher Zufall, dass mit dem anzuzeigenden Buch nun schon die zweite deutsche Übersetzung einer mittelalterlichen Liturgieerklärung vorgelegt wird. Ein Zufall, den diejenigen, die an der mittelalterlichen Geschichte der Liturgie interessiert sind, nur als glücklich bezeichnen können.
So wenig über Johannes Beleth, den Autor der Summa de ecclesiasticis officiis, bekannt ist, so groß war die Verbreitung des Werkes. Davon zeugen 180 erhaltene Handschriften, die sich vier "Grundrezensionen" (21) zuordnen lassen. Die Summa handelt ganz knapp über liturgische Orte und Zeiten, den Klerus und kirchliche Abgaben, ausführlicher über das Stundengebet und die Messfeier (allerdings unter Auslassung des Kanons) und am ausführlichsten über das Kirchenjahr. In der heilsgeschichtlichen Gliederung des Jahreslaufes in die Zeit der Abwendung (Adam bis Moses, versinnbildlicht durch die vorösterliche Fastenzeit), des Rückrufs (Moses bis Christus; Advent), der Versöhnung (Christi Geburt bis Himmelfahrt; Osterzeit bis Pfingsten) und der Pilgerschaft (seit Christi Himmelfahrt; Oktav von Pfingsten bis zum Advent) sieht Weinrich die am stärksten weiterwirkende originäre Interpretation Beleths, ist sie doch in der außerordentlich erfolgreichen Legenda aurea rezipiert worden (22. 26). Im Gegensatz zu der am weitesten verbreiteten Liturgieerklärung (nicht nur) des Mittelalters, Wilhelm Durantis umfangreichen Rationale divinorum officiorum, die direkt und indirekt aus der Summa geschöpft hat, sind Beleths Erklärungen knapp und komprimiert - manchmal geradezu stichwortartig.
Diese Knappheit scheint sich der Übersetzer in seiner Einleitung zum Vorbild genommen zu haben - nicht immer zu ihrem Vorteil. Dass Weinrich die nicht eben übersichtliche Überlieferungsgeschichte nur ganz knapp (und an zwei unterschiedlichen Stellen) abhandelt (19. 21), möchte man nicht kritisieren, wenn man sieht, wie viel Platz die Einleitung der kritischen Edition diesem Thema einräumen musste. [1] Hier gab es wohl nur die Alternative, entweder in der gewählten Kürze zu verfahren oder den Umfang der Einleitung allein für diese Frage erheblich zu erweitern. Dass der Leser die Datierung der Summa dem 'Waschzettel' auf der hinteren Umschlagseite entnehmen muss, wird dagegen nur Paratextologen entzücken, dürfte es doch einmalig sein, dass diese Paratextsorte Informationen bietet, die man im Buch selbst vergeblich sucht.
Weinrich hat die knappen Ausführungen Beleths eher wörtlich als gefällig übersetzt. [2] Wie sein Autor hält er sich mit Erklärungen eher zurück. Der Sachapparat beschränkt sich weitgehend auf den Nachweis der Vorlagen. Wieso einzelne Nachweise auf Vorlagen fehlen, obwohl sie in der Edition leicht greifbar waren, bleibt unerfindlich. [3] Dort, wo er weitergehende Erklärungen gibt, sind diese fast nie überflüssig [4] - im Gegenteil: Der Leser hätte gerne mehr von ihnen.
Die Entscheidung, die Initien der liturgischen Gebete nicht nur in der deutschen Übersetzung, sondern auch im lateinischen Original anzuführen, ist einleuchtend und zu begrüßen. Allerdings sind nicht alle formalen Entscheidungen so glücklich. Den Rezensenten überzeugt es jedenfalls nicht, Anfang und Ende nichtwörtlicher Übernahmen durch die üblichen Anführungszeichen zu kennzeichnen, sind diese typographischen Signale doch einfach zu fest mit dem wörtlichen Zitat verbunden, als dass diese Praxis keine Irritationen hervorrufen sollte (echte Zitate sind durch Kursivdruck gekennzeichnet). Wörtliche Bibelzitate sind durchgängig im Text nachgewiesen. Bei Anspielungen ist das Vorgehen nicht einheitlich. Während Weinrich zu Anfang auf Nachweise zumeist verzichtet hat, nehmen sie in den späteren Kapiteln merklich zu. Bei den Nachweisen der Psalmzitate wäre es sinnvoll gewesen, nicht nur die Nummerierung der hebräischen Bibel (der die modernen deutschen Übersetzungen folgen), sondern auch jene der lateinischen Vulgata anzugeben.
Die Übersetzung wird durch eine Reihe von Registern erschlossen: Ein Bibelstellenverzeichnis, ein Verzeichnis der übrigen Quellen, ein Sachregister der liturgischen Betreffe und ein Personenverzeichnis, das Heilige und für die Geschichte der Liturgie wichtige Gestalten verzeichnet. Der schön gedruckte Band wird zu einem vergleichsweise moderaten Preis angeboten. Damit sollte die trotz einzelner kleinerer Unebenheiten verdienstvolle Übersetzung - so ist zu hoffen - die ihr angemessene Verbreitung finden.
Anmerkungen:
[1] Johannes Beleth: Summa de ecclesiasticis officiis, ed. ab Heriberto Douteil (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 41-41A), Turnhout 1976, hier Bd. 41, 37*-271*, und das Stemma auf beiliegendem Faltblatt.
[2] Und nicht immer glücklich; vgl. die Übersetzung von "Quod significatur in hoc, quod habet sandalia quoddam genus calciamenti. In hoc enim, quod sandalia desuper sunt aperta, figuratur, quod nos debemus semper erecta corda habere ad Dominum;" (Beleth, Summa, c. 44d): "Hierdurch ist sinnfällig, dass die Sandalen eine bestimmte Art Schuhe sind. Dadurch dass Sandalen nach oben offen sind, wird gezeigt, dass wir immer die Herzen zum Herrn offen empor halten müssen." (100-101). Aber es geht Beleth nicht um die Sandalen, sondern um die Liturgie, die er dingallegorisch mittels des Schuhwerks auslegt. Deshalb wäre besser zu übersetzen: Was durch das gezeigt wird, das die Sandalen als eine bestimmte Art von Schuhwerk auszeichnet. Dadurch dass die Sandalen nach oben offen sind, ... . In der Übersetzung des Satzes "Et ita plus propter significatum festum hoc celebratur quam propter significans." (Beleth, Summa, c. 142d) geht die Unterscheidung von "significatum" und "significans" weitestgehend verloren: "Und so wird wegen des Bezeichneten dieses Fest mehr gefeiert als wegen des zu Bezeichnenden." (270). Sinnvoll wird die Übersetzung, wenn man vor "Bezeichnenden" das "zu" streicht.
[3] Beleth, Summa, c. 118b, nennt fälschlich Hieronymus als Quelle für eine Wundergeschichte. Während die Edition Gregors Dialogi als tatsächliche Quelle nachweist, lässt Weinrich (218) die falsche Angabe unkommentiert.
[4] Allerdings haben sich einzelne Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen: (167, Anm. d) muss es statt "Dionysius Areopagita" heißen: Dionysius Exiguus. Das Pontificale Romano-Germanicum ist nicht "ca. 850", sondern ca. 950 entstanden (171, Anm. c).
Stephan Waldhoff