Bernd Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200-1500 (= C.H.Beck Geschichte Europas; 1982), München: C.H.Beck 2011, 304 S., 9 s/w-Abb., 5 Kt., ISBN 978-3-406-61357-9, EUR 14,95
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Dreihundert Jahre europäische Geschichte auf nicht einmal dreihundert Seiten - das ist für sich genommen schon eine Herausforderung. Schneidmüller geht sie mit einem gelungenen darstellerischen Kniff an. Die gesamte Großerzählung nämlich wird eingebettet in zwei Momentaufnahmen: Europa um 1200 und Europa um 1500. Alles, was zwischen diesen beiden Polen liegt, wird wiederum entlang besonderer "Blickachsen" struktur-, d.h. vor allem politikgeschichtlich, entwickelt und an drei Stationen des Zusammentreffens mehrerer historischer Fundamentalereignisse (so genannten "Knotenpunkten") schlaglichtartig verdichtet. Im 13. Jahrhundert sind das der Ansturm der Mongolen und die Absetzung Friedrichs II. durch Innozenz IV.; im 14. Jahrhundert das Große Sterben in Zeiten der Pest sowie die Konsolidierung der europäischen Königreiche in ihrem für die kommenden Jahrhunderte jeweils charakteristischen politischen Gepräge. Im 15. Jahrhundert schließlich bilden das Scheitern der konziliaren Bewegung und die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen den dritten Knotenpunkt. Dadurch entsteht eine Geschichtserzählung, die zwischen den großen Linien und dem Exemplarischen changiert. Und das geht gut auf.
Schneidmüller betont, keine Geschichte Europas, sondern Geschichte in Europa schreiben zu wollen. Einen einheitlichen Begriff in die von ihm behandelte Zeit zurückzuprojizieren, lehnt er strikt ab. Europa sei kein fester geographischer Raum gewesen, auch keine politische Einheit, nicht einmal im präskriptiven Sinne, sondern vielmehr eine Anziehungsfläche, auf der Integrationskräfte unterschiedlicher Kulturen wirkten. Insbesondere der außereuropäische Raum und seine Bewohner hätten dabei eine häufig zu Unrecht vernachlässigte Rolle zu spielen. Schneidmüller setzt damit sehr konsequent das um, was sich das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft getragene und maßgeblich von ihm selbst mitinitiierte Schwerpunktprogramm "Integration und Desintregration der Kulturen im europäischen Mittelalter" (SPP 1173, Laufzeit 2005-2011) programmatisch auf die Fahnen geschrieben hatte.
Der innovative Zuschnitt ist der eine, der enge Quellenbezug der andere Vorzug dieses Buches. Der sparsame Anmerkungsapparat nämlich besteht fast ausschließlich - und das sehr bewusst - aus Nachweisen entsprechender Quellen; möglichst in deutscher Übersetzung. Das ist im Genre der Überblicksdarstellungen aus unerfindlichen Gründen etwas aus der Mode gekommen und umso mehr jetzt zu begrüßen. Es lädt Studierende und Geschichtsinteressierte wieder dazu ein, Quellen zu lesen.
Die Lektüre ist - das kann man nicht anders sagen - alles in allem eine Freude. Sie geht leicht von der Hand und lenkt den Blick überzeugend auf wesentliche Entwicklungslinien. Dabei fällt besonders wohltuend auf, dass Schneidmüller einerseits gar nicht erst versucht, die Widersprüchlich- und Gleichzeitigkeiten der spätmittelalterlichen Geschichte in einer großen Einheitserzählung aufzulösen - im Gegenteil: er verwehrt sich explizit dagegen -, andererseits aber deswegen nicht das Erzählen gleich gänzlich drangibt - auch hier wieder: im Gegenteil.
Kleinigkeiten, die man gerne anders gewichtet oder ausdrücklicher erklärt sehen würde, werden vermutlich jedem Leser an irgendeiner Stelle auffallen. Sie bleiben aber subjektiv, meist ohnehin marginal. Wenn beispielsweise Abb. 10 (145), eine Illustration aus dem Straßburger Frühdruck der Goldenen Bulle von 1485, mit "Der römische Kaiser und die sieben Kurfürsten" untertitelt wird, so ist das erst einmal zwar richtig; dem aufmerksamen Betrachter wird aber auffallen, dass nur sechs Fahnen zu beiden Seiten des Kaisers wehen. Die Begründung dafür liegt dem Mediävisten auf der Hand: Der Böhmenkönig als siebter Kurfürst sitzt natürlich in der Bildmitte - nämlich als Kaiser, der er zu dieser Zeit nun einmal selbst ist. Für den anvisierten breiten Leserkreis dürfte das mitunter aber nicht so klar sein.
Ein bisschen bedauerlich ist auch die Leimung des handlichen Taschenbuches, die schon die Besprechungslektüre nicht überdauert hat. Aber wenn das die einzigen Kritikpunkte bleiben - man könnte noch mit der beinahe klassischen Rezensentenwehklage nach einem auch hier fehlenden Sachregister daherkommen -, dann spricht das im Umkehrschluss eigentlich nur für eines: für den Inhalt dieses lesenswerten Büchleins.
Hiram Kümper